Kommentar

Kinder müssen eine politische Stimme haben

Heinz Moser © zvg

Heinz Moser /  Immer öfters spielen Kinder in den Medien die Rolle von Expertinnen und Experten. Das kann zum Ärgernis werden.

Laut Lucien Scherrer, Redaktor bei der «NZZ», gebärden sich heute viele Journalisten als Anwälte und Sprachrohre der Kinder: «Sie lassen Schüler und Kindergärtlern erklären, was die Politik zu tun hat, zitieren Aussagen von Siebenjährigen, als wären es Orakelsprüche.» Die Zeitung sieht darin eine Manipulation von vornehmlich linksgrüne Journalistinnen und Journalisten:  Medien zitieren Kinder als politische Subjekte, die mitbestimmen sollen – aber nur da, wo es in den Kram der Journalisten passe. Ob es vornehmlich linksgrüne Politik ist, die sich so verhält, kann man bezweifeln. Aber ungerechtfertigt ist die Kritik an den Medien nicht.

So wird als Beispiel aus einem Bericht des Westdeutschen Rundfunks der siebenjährige Leon zitiert: «Meistens fahren die Autos richtig schnell, und ich finde, dass man eher laufen soll als fahren, weil die Autos dann Umweltverschmutzer sind.»

Wie Kinder im Berliner «Tagesspiegel» Probleme lösen

Anstoss erregt beim NZZ-Autor auch eine Serie des Berliner «Tagesspiegels», in der Kinder «Berlins Probleme» lösen – und da sträuben sich die Nackenhaare zu Recht.  So antworten Kinder zum Beispiel In Folge 33 vom 14.3.2022 auf die Frage: «Wie verhindert man einen Krieg wie den in der Ukraine?» Die Redaktion fand folgende Vorschläge «innovativ»:

Mio, 5 Jahre alt: Welchen Krieg meinst du, den von Putin? Praktisch wäre, wenn es einen Typ mit Superkraft geben würde, der dafür sorgt, dass alle Menschen sich lieb haben.

Bruno, 5 Jahre alt: Immer wenn Leute vorschlagen, Kriege zu machen, einfach der Polizei Bescheid sagen und die kommt dann und sorgt für Ordnung.

Rike, 4 Jahre alt: Putin einsperren!

Und am 19.4. 2022 wollte der «Tagespiegel» wissen, wo man bei steigenden Lebensmittelpreisen und Heizkosten sparen kann:

Antonia, 8 Jahre alt: Auf mehr verzichten, zum Beispiel auf Süssigkeiten. Dann ist mehr Geld übrig und die Zähne werden nicht schlecht

Johan, 6 Jahre alt: Ich kann auf Gemüse verzichten!

Die Rezepte der befragten Kinder sind wie überall in der ganzen Serie simpel gestrickt. «Jöö» und «schnusig» muten solche Vorschläge an. So sind sie eben, unsere Kleinen. Zwar geht der NZZ-Redaktor zu weit, wenn er unterstellt, damit verpasse man ihnen eine Vorliebe für «grün-sozialistische Rezepte». Schliesslich passen Beispiele wie Johans Gemüseverzicht kaum zu dieser politischen Einordnung. Aber natürlich hat er Recht, dass man kleine Kinder nicht ernst nimmt, wenn man als «Expertenmeinungen» in die Zeitung stellt, was kleine Kinder so daher plappern.

Das Kindchenschema wertet ab

Bei der «Tagesspiegel»-Serie fällt zudem auf, dass Kinderaussagen immer wieder mit Fotos bebildert werden, die dem sogenannten Kindchenschema entsprechen. Nach dem Dorsch – Lexikon der Psychologie geht es dabei um die rundlichen kindlichen Körper- und Gesichtsproportionen, die als Schlüsselreiz gedeutet werden und Kümmerungs- und Fürsorgeverhalten auslösen. Süss und niedlich sind die Kleinen mit ihren Aussagen, wird damit suggeriert.

Das Kindchenschema für den politischen Nachwuchs, den man damit nicht mehr ernst nehmen muss, fällt auch bei Fotos von Greta Thunberg und ihrem Klimaprotest auf. Das gilt nicht allein für die Bilder, sondern auch für manche Texte. So kommentierte die «Zeit» einen Auftritts Thunbergs in Berlin, nicht die Anhänger der neuen Jugendbewegung «Friday for Future» würden da am lautesten applaudieren, «sondern deren Mütter und Väter an der Seitenlinie oder zu Hause an den Bildschirmen.» Laut «Zeit» sind es die Eltern, die sich mit dem Engagement der Kinder schmücken und voll Ergriffenheit twittern, wie sich das Familienleben von heute auf morgen verändert habe.

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen muss verstärkt werden

Allerdings ist das Narrativ, dass man Kinder und Jugendliche zu politischen Fragen nicht ernst nehmen kann, ebenfalls zu einfach gestrickt. Schliesslich sind es die heute Heranwachsenden, die Krisen wie den Klimawandel ausbaden werden. Deshalb ist die Stimme von Jugendlichen und Kindern wichtig. Sie müssten bei der Meinungsbildung und der Äusserung ihrer Anliegen unterstützt und nicht heruntergemacht werden.

Förderung von Engagement und Partizipation der heranwachsenden Generation ist dabei weit mehr als die Produktion journalistisch verwertbarer Statements. Eine Medienarbeit, welche politische Bildung auf sinnvolle Weise unterstützt, muss Kinder und Jugendliche auf Augenhöhe ansprechen und sie bei der Einordnung von Nachrichten und Informationen zu politischen Ereignissen nicht allein lassen. Beispiele dafür sind Kindernachrichtendienste wie «logo!» des ZDF oder Suchmaschinen wie «Blinde Kuh».

Auch die Schweiz sendet mit den «SRF Kids News» Nachrichten aus der Schweiz und der ganzen Welt, die für Kinder verständlich erklärt sind. Jede Woche gibt es ein neues Video auf dem YouTube-Kanal «SRF Kids News» und auf Play SRF, damit Kinder Ereignisse, von denen sie im Alltag hören, besser einordnen können.

Die Kids kommen dabei regelmässig auch selbst zu Wort. Wenn sie zum Beispiel in Beiträgen zum internationalen Frauentrag vom 8. März 2023 einbezogen werden, dann geht es um ernsthafte Diskussionen, welche an die eigene Generation gerichtet sind und das Engagement der Beteiligten dokumentieren. Es wird deutlich, dass Kinder aus ihrer Perspektive kritisch, aber manchmal auch zu Recht verständnislos reagieren. So kommen ihnen Einspieler aus Diskussionen um die Einführung des Frauenstimmrechts von 1971 wie Stimmen von einem anderen Stern vor. Die Erwachsenen waren eben damals mit ihren Stammtischmeinungen nicht schlauer als die heutigen Kinder und Jugendlichen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Eine Meinung zu

  • am 20.03.2023 um 14:37 Uhr
    Permalink

    ja, polemik ist immer wieder eine interessante möglichkeit, um auf sachverhalte des lebens zu reagieren.
    nichtsdesto trotz kann es nicht schaden, sich durch die noch nichterwachsenen den spiegel vorhalten zu lassen.
    nur zu oft stelle ich fest, dass die meinungen von «erwachsenen» nicht immer sehr erwachsen daherkommen… was nicht heissen soll, dass sie immer falsch sind.

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