Die Abfall-Revolution muss warten
Aufpassen, es ist kompliziert! Stadtberner Haushalte sollen in ihren Küchen künftig einen kleinen Entsorgungshof einrichten. Mit fünf verschiedenen kostenpflichtigen Plastiksäcken:
- Blau: für den Kehricht.
- Gelb-blau: für PET.
- Gelb: für gemischte Kunststoffe.
- Grau: für Metall.
- Violett: für Glas.
Entsorgt wird das Sammelgut nicht mehr laufend, sondern erst dann, wenn die Säcke voll sind. Und zwar vor dem Haus. Dort kommen mehrere Container aus Plastik in zwei Farben zu stehen:
- Grau: für die blauen Säcke.
- Ebenfalls grau: für alle anderen Säcke sowie für loses Altpapier und den Altkarton.
- Grün: für die Grün- und die Rüstabfälle.
Das Ziel der Stadtregierung: «Bern nimmt mit dem Farbsack-Trennsystem in der Schweiz eine Vorreiterrolle ein.»
Aber schon jetzt zeigt sich: Andere Städte sollten sich Bern nicht zum Vorbild nehmen. Denn da droht ein Fiasko. Doch der Reihe nach.
Dichtes Netz an Sammelstellen
Heute ist alles viel einfacher. Den Kehricht stellen die Stadtberner und Stadtbernerinnen in kostenpflichtigen Säcken an die Strasse, Altpapier und Altkarton gebündelt. Glas, Plastik und Metall bringen sie gratis in eine der 45 Quartier-Sammelstellen. Das System funktioniert gut.
10,7 Millionen Franken
Das Stadtberner Stimmvolk hat dem Ansinnen der Stadtregierung im November 2021 mit einem Ja-Anteil von über 58 Prozent zugestimmt und damit einen Kredit von 10,7 Millionen Franken gesprochen. Mitte 2022 hätte das Farbsack-Trennsystem im ersten von fünf Stadtteilen eingeführt werden sollen, Mitte 2026 im letzten.
Platz ist knapp
Doch die Sache harzt. Denn vor vielen Häusern lassen sich die Container gar nicht abstellen. Sei es, weil der Platz fehlt, sei es, weil eine Treppe den Vorplatz von der Strasse trennt. Die Stadt will deshalb Container-Standplätze auf öffentlichem Grund einrichten – für alle jene, die vor dem Haus keinen Platz haben. Sie müssten dann der Stadt eine Gebühr für den Standplatz zahlen.
Schon vor einem Jahr mussten die Verantwortlichen feststellen: «Öffentlicher Raum für Container ist knapp.» Es müssten zu viele Parkplätze aufgehoben und möglicherweise auch Sitzbänke entfernt werden. Zudem liessen sich die Asphaltflächen nicht wie geplant entsiegeln.
Im Vorgarten verboten?
Jetzt kommt es noch schlimmer: Die Verantwortlichen haben inzwischen die städtische Bauordnung gelesen. Dort steht, dass der Raum zwischen Fassade und Trottoir «als Garten zu gestalten» sei. Und im kantonalen Baugesetz steht, dass Bauten das «Orts- und Strassenbild nicht beeinträchtigen» dürfen. Das heisst: Die Container dürfen möglicherweise selbst dann nicht im Vorgarten stehen, wenn es eigentlich Platz hätte. «Wir haben unsere eigene Bauordnung unterschätzt», konstatiert nun plötzlich das zuständige Regierungsmitglied Marieke Kruit (SP). Ist es zum Lachen oder zum Heulen?
Das spricht auch dagegen
Der fehlende Platz für die Container ist nicht das einzige Problem. Das Farbsack-Trennsystem hat weitere Nachteile:
- Teuer: Einführung und Betrieb kosten Millionen. Ob und wann mit Einsparungen zu rechnen ist, lässt sich nicht sagen.
- Mühsam: Die Säcke fürs Sammelgut werden kostenpflichtig sein. Deshalb sollten sie in der Küche stehen, bis sie voll sind. Doch dafür fehlt in vielen Küchen der Platz.
- Aufwendig: Zuerst sammeln die Leute die verschiedenen Stoffe separat, dann landen alle zusammen im Kehrichtwagen, und schliesslich werden sie im Sortierwerk von Hand wieder getrennt.
- Schädlich: Die Ökobilanz könnte negativ ausfallen, wie eine Studie zeigt.
Rückenprobleme
Doch warum zettelt die Stadtregierung überhaupt eine Revolution bei der Abfall-Entsorgung an? Sie nennt drei Gründe: 1. Die Separat-Sammelstellen in den Quartieren seien überlastet. 2. Katzen, Füchse und Krähen würden immer wieder Kehrichtsäcke, die zu lange an der Strasse stehen, aufreissen. 3. Viele Angestellte der Kehrichtabfuhr litten wegen der schweren Kehrichtsäcke unter Rückenproblemen.
Die Gesundheit der Angestellten ist ein wichtiges Argument. Fragt sich aber, ob sie sich nicht anders schützen liesse. Denn das Farbsack-Trennsystem schafft neue Probleme. In Bern war davon bisher kaum die Rede. Deshalb nennt sie Infosperber.
In 14 Jahren günstiger – vielleicht
In der Abstimmung vom Herbst 2021 ging es um einen 10,7-Millionen-Kredit für die Einführung. Doch angesichts der Probleme wird das Geld nicht reichen. Hinzu kommen die Betriebskosten. Die Stadt rechnet jedenfalls damit, dass die Kosten frühestens nach 14 Jahren «durch Synergiegewinne kompensiert werden» — wenn überhaupt.
Ein Mischmasch im Lastwagen
Generell scheinen die Behörden die Folgen des Systemwechsels zu schönen. So schreiben sie, der Pilotversuch von 2018 und 2019 habe gezeigt, dass «die Reinheit der Wertstoffe im Farbsack-Trennsystem» über dem Schweizer Durchschnitt liege. Das hat allerdings nichts zu bedeuten. Denn die Teilnahme am Pilotversuch war freiwillig. Deshalb machten vor allem motivierte Leute mit.
Weil manche Pilotversuchs-Teilnehmer immer noch mit Farbsäcken entsorgen, lässt sich die Absurdität des Systems täglich auf den Berner Strassen beobachten. So landen die Säcke mit dem fein säuberlich getrennten Kunststoff, dem PET, dem Glas und dem Metall sowie das lose Altpapier und der Altkarton zusammen im Kehrichtlastwagen. Die Säcke werden in die Mulde geschoben. Es entsteht ein Mischmasch aus gerissenen und geplatzten Säcken.
Auf Anfrage von Infosperber behauptet die Stadt zwar: «Für die Sammlung der Farbsäcke wurden neue Kehrichtwagen, sogenannte Leichtverdichter, als Ersatz für ausgediente Fahrzeuge beschafft. Diese pressen den Abfall nicht, sondern verschieben ihn lediglich in den Aufbau. Dadurch werden die Farbsäcke bei der Sammlung im Kehrichtwagen kaum noch beschädigt.»
Von Hand sortiert
Doch Infosperber weiss: Der Lastwagen und der Lieferwagen wurden erst letzten Herbst bestellt. Geliefert werden sie bestenfalls im Sommer 2024. In der Zwischenzeit fahren immer noch konventionelle Kehrichtlastwagen. Sie behandeln die Farbsäcke ziemlich grob. Angestellte im Sortierwerk müssen das Gemisch aus Scherben, Blech, Plastik und losem Papier, das in den Haushalten schon mal getrennt wurde, wieder separieren.
Schlimmer noch: Die Tageszeitung «Der Bund» deckte 2019 auf, dass separat gesammelte Kunststoffe nach dem Sortieren zusammen mit dem Kehricht in der Kehrichtverbrennung landeten. Die Stadt musste das bestätigen. Die Vielfalt an Kunststoffen sei sehr gross. Manche liessen sich gar nicht rezyklieren, hiess es.
Unglaublicher Aufwand
Heute wird in Bern das Altglas nach Farben getrennt gesammelt. Mit dem Farbsack-Trennsystem kommt sämtliches Glas in den gleichen Sack – egal ob weiss, ob grün oder ob braun. Laut der Stadt ist das kein Problem. Angeblich wird «das gemischt gesammelte Altglas nach Farben sortiert. Die sortierten Glasscherben werden anschliessend wie das farbgetrennte Glas wiederum für die Herstellung von Flaschenglas eingesetzt».
Und die Umweltbilanz?
Nützt das Farbsack-Trennsystem wenigstens der Umwelt? Laut der Ökobilanz-Studie, welche die Stadt Bern hat erstellen lassen, wirken sich die Container aus Plastik und die Sortieranlage zwar negativ aus. «Der Umweltnutzen», heisst es in der Studie, «ergibt sich aus der Reduktion des privaten Transports zu Detailhändlern, Sammelstellen bzw. zu den Entsorgungshöfen.» Unter dem Strich soll die Umweltbelastung um 3 bis 16 Prozent sinken.
Doch das ist der Best Case. Und dabei geht der Studienautor von einer falschen Annahme aus — dass nämlich gegenwärtig 43 Prozent der Haushalte mit dem Auto zur Sammelstelle fahren. Künftig sollen es laut der Studie deutlich weniger sein. Daraus resultiert dann der angebliche Umweltnutzen. Nur: In der Stadt Bern besitzen zwar tatsächlich 43 Prozent der Haushalte ein Auto. Doch ein grosser Teil der Autobesitzer entsorgt das Sammelgut schon heute zu Fuss oder mit dem Velo. Die Annahme, dass alle mit dem Auto entsorgen, ist falsch; die Zahl der eingesparten Autofahrten wird gering sein; der errechnete Umweltnutzen ist viel zu hoch.
In Alternativszenarien korrigiert der Autor deshalb diverse Annahmen. Das Ergebnis müsste zu denken geben. Denn bei einigen Alternativszenarien sinkt die Umweltbelastung nicht, sondern steigt um bis zu 4 Prozent! Und das ist noch nicht einmal der Worst Case. Aber das alles haben die Stimmberechtigten vor der Abstimmung nicht erfahren.
Warum eigentlich nicht? Die Stadtbehörden behaupten, nur das Normalszenario zähle. Die Alternativszenarien seien weder plausibel noch realistisch.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Rot grün halt. Ich meine die Säcke. Also, nicht die Abfallsäcke.
Ich finde das Bündner System gut. Kehrichthäuschen im Quartier mit Container für Kehricht, Ablage für Karton und Glascontainer. Pet geht im Laden, alles zu Fuss erreichbar.
Bis alle Fragen geklärt sind, entsorge ich meinen Verpackungsmüll beim Detailhändler. Einzig vermisse ich den Selbstscanner in der Recyclingecke, um das Leergut zu scannen und mit Bonus- oder Cumulus-Punkten abgelten zu können.
Zum Artikel: Es ist frustrierend zu lesen, wie die Initiative an der Bauordnung oder der Energiebilanz zu scheitern droht, während im benachbarten Bundesland Baden das Sammeln von Leergut von Pet bis Tetra längst Realität ist. Brachiale Plastiksäcke türmen sich dort am Sammeltag am Strassenrand. Das macht einerseits die Verschwendung wertvollen Werkstoffes sichtbar und führt andererseits zur nächsten Frage, die da ansteht: Was tun mit dem gesammelten Werkstoff?
Die Getrenntsammlung funktioniert vor allem deshalb, weil für «Wertstfoffe» wie PET, Altpapier, Glas etc. die Entsorgung kostenlos ist. Wenn nun für jede getrennt gesammelte Wertstoffkategorie Gebührensäcke benötigt werden, wird sich eine grosse Anzahl Bürger nicht mehr die Mühe machen, getrennt zu sammeln; schon nur weil dazu oft der Platz fehlt und weil es ja sowieso kostet. Weiter werden die «Leichtverdichter»-Kehrichtwagen sehr viel weniger Ladekapazität aufweisen, was noch mehr Fahrten resp. Verkehr bedeutet. Aber vielleicht sieht die Vision von Frau Ursula Wyss ja vor, dass mit Lastenvelos abgeführt wird…
Um Gottes Willen, das ist ja typisch für Bern und andere linke Grossstädte. Ich lade alle Stadträte von Bern ein sich zusammen mal einen Ausflug im Kanton Graubünden zu leisten. In Chur kann man sehen wie ein 40’000 Menschen Stadt die s alles sauber und völlig unaufgeregt löst, eine Reise in die Bündner Täler wird Ihnen zeigen, dass e im ganzen Kanton so einfach geht. Nirgends schmutzige Container, alles im Boden versenkt, sauber tag und nacht nutzbar wenige Schritte vom Haus aus. Fahrten zur Sammelstelle kann man mit dem System weitgehend verhindern. Wer trotzdem mal Karton selber entsorgen will, der geht dann anschliessend noch seine so oder so nötigen Einkäufe machen und verhindert so sogar Leerfahrten. Nun natürlich kann man sagen, dass die Reithalle in Bern auch keine Schönheit sei, aber es gefällt offenbar dem Stadtrat farbige Säcke und Container alle 200 Meter in der Stadt aufzustellen , notabene noch auf öffentlichem Grunde. Bravo Tourismus Schweiz!
Klingt nach einem Schildbürgerstreich, der auf den Ritterschlag im Kabarett wartet. Spontan erinnerte mich dieser verwirrende Firlefanz an die debilen Wächter in RITTER DER KOKOSNUSS, die partout den Auftrag zur Bewachung des Prinzen immer falsch verstehen: https://www.youtube.com/watch?v=NISBlRtmUqU
Wahlweise liese sich auch großartiger Tarantino-Dialog im Stile der Pulp-Fiction-Killer Jules und Vincent draus machen: «Kennst Du Europa? Kennst Du die Schweiz? Die trennen ihren Müll…ja, wirklich.. Na, wegen der Berge…und das geht so…»
hier in der luzerner Landschaft läufts genau entgegengesetzt. Als Sparmassnahme der Gemeinde wurden hier in Wolhusen die Quartiersammelstellen vor etwa 5 Jahren aufgelöst. Etwa 3 km vom Dorf entfernt gibts seither eine privat geführte Entsorgungshalle. Es lebe das Automobil! Natürlich gabs Protest aus der Bevölkerung… die Reaktion der Behörde: «Personen ohne Auto sollen sich halt mit den Nachbarn organisieren»
Rot-Grünes Seldwyla – oder: wie die Verwaltung voraus denkt! Böser, wer da glaubt, dass der Stimmbürger verschaukelt werden soll.
Unglaublich, wie sich Stadtregierungen profilieren wollen!
Das Ziel der Stadtregierung: «Bern nimmt mit dem Farbsack-Trennsystem in der Schweiz eine Vorreiterrolle ein.»
Und dafür dilettantische Planung und Millionen Kosten.
Winterthur ist schon viel weiter als Bern.
– Abfallsäcke und Sperrgutmarken (wöchentlich)
– separate Papiersammlung und separate Kartonsammlung (vierzehntäglich)
– alles andere (PET-Getränkeflaschen, übrige PET- und Plastikflaschen, Glasflaschen, Konservendosen, Metallteile, Elektrogeräte, Elektrokabel usw.) sammelt jeder selber getrennt im Haushalt/Keller und fährt je nach Anfall jedes Vierteljahr zum lokalen Entsorgungsunternehmen.
Wo sind die Probleme?
1. Viele Haushalte schmeissen ALLES in den Kehricht. Abfalltrennung Fehlanzeige – aber gut für die Kehrichtverbrennungsanlage, die Fernwärme produziert.
2. Deponieren von Papier und Karton nicht nach Vorschrift an der Strasse.
Dass es bei den öffentlichen Entsorgungsstellen mal immer wieder Engpässe gibt, stimmt schon. Man könnte die auch einfach häufiger leeren,oder eine Stelle schaffen,die regelmässig kontrolliert,wo noch Zusatzschichten einzulegen sind. Wäre wohl günstiger,aber halt nicht über neue Gebühren zu finanzieren.