Das WC soll Gesundheitsdaten sammeln
Man hätte an einen Aprilscherz denken können, als der Wissenschaftler Savas Tasoglu im April 2022 im Fachmagazin «Nature Reviews Urology» vom «toiletten-basierten Gesundheitsmonitoring mit Hilfe von Urin» berichtete. Doch ihm, mehreren Forschergruppen und Firmen ist es ernst: Sie entwickeln «smarte Toiletten».
Während sich die Toilettenbenutzer erleichtern, analysiert und vermisst das WC, übermittelt die Daten drahtlos an einen Speicher, wo «künstliche Intelligenz» sie abruft und auswertet, Diagnosen stellt, die Resultate verschickt – und gegebenenfalls vor drohender Erkrankung oder Verschlimmerung einer Krankheit warnt.
Beim Pinkeln im Nachtclub den Alkoholpegel messen
Den Anfang machte 2013 der Nachtclub «Zouk» in Singapur. Besucher, die mit dem Auto anreisten, erhielten eine Parkkarte mit Funkerkennung. Diese Karte wurde auch auf dem WC registriert, wo im Urinal ein «Pee-Analyzer» angebracht war. Er mass während des Urinierens automatisch den Alkoholgehalt im Harn.
Je nach Pegel leuchtete dann über dem Urinal eine Warnung auf: «Sie hatten einen zu viel. Rufen Sie ein Taxi oder benützen Sie unseren Heimfahrdienst.» Autofahrer, die das Angebot ausschlugen, wurden ein zweites Mal dazu aufgefordert, sobald sie mit der Parkkarte ihr Auto holen wollten.
Als die Aktion begann, entschlossen sich innerhalb von zwei Wochen 342 von 573 als alkoholisiert erkannte Fahrer, sich heimbringen zu lassen, berichtete «newatlas».
Doch solche Alkoholmessungen sind nur Pipifax, verglichen mit dem, was die «smart toilet»-Forscher vorhaben.
«Urin ist der beste Kandidat für die kontinuierliche Gesundheitsüberwachung»
Menschlicher Urin enthalte über 4500 Stoffwechselprodukte. Von den Körpersäften «ist Urin der beste Kandidat für die kontinuierliche Gesundheitsüberwachung», schrieb Tasoglu, der an der türkischen Universität Koç und am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme arbeitet. Urin sei in grossen Mengen verfügbar und für die Früherkennung vieler Krankheiten geeignet. Infektionen, Schwangerschaft, Leberkrankheiten, Diabetes, Blasenkrebs und vieles andere verändern seine Zusammensetzung.
Eines der bisher ausgefeiltesten «smarten» WCs stellte der Ingenieur Seung-min Park von der Stanford University in Kalifornien in der Fachzeitschrift «Nature Biomedical Engineering» vor.
Zusammen mit seinen Kolleginnen entwickelte er eine Klobrille mit Aufsatz, die viele Menschen wohl nicht einmal geschenkt haben möchten – und die ethische Fragen aufwirft.
Mehrere Kameras schauen zu
Parks Prototyp erfasst mit Hilfe von Sensoren, kleinen Videokameras an der Klobrille, Analysegeräten und Computern Dutzende von Parametern. Ein Sensor auf der Sitzfläche etwa misst, wie lange der Benutzer auf dem WC sitzt und wie lange die Defäkation dauert. Eine Kamera filmt die Stuhlbeschaffenheit. So erkennt der Computer, ob der Benutzer beispielsweise an Verstopfung leidet oder an Durchfall.
Das WC warnt
Hochgeschwindigkeitskameras messen, wie oft jemand Wasser löst, die Harnmenge, die Entleerungszeit der Harnblase, die maximale Flussrate. Beim Nachtröpfeln haperte es mit der Messgenauigkeit allerdings noch, wie Experimente zeigten – ein potenzielles Manko beispielsweise bei der Verlaufsbeobachtung der Prostatavergrösserung, welche die smarte Toilette dereinst ermöglichen soll.
Anstatt einen Teststreifen von Hand in den Urin zu tauchen, erledigt Parks WC das selbst. Mikroskopische Blutspuren, Hinweise auf Blasenentzündung, erhöhte Eiweissausscheidung … insgesamt zehn krankhafte Veränderungen analysiert das WC und setzt eine Meldung ab, wenn etwas nicht stimmt. So das Fernziel.
Personenerkennung anhand der Afterrosette
Weil eine Toilette meist von mehreren Personen benützt wird, sei die Benutzeridentifikation entscheidend. Seung-min Park und seine Kolleginnen und Kollegen bieten dafür zwei Lösungen an: Beim Betätigen der WC-Spülung erkennt ein Sensor den Fingerabdruck und kann die Urin- und Stuhl-Daten so einer Person zuordnen.
Oder man benützt statt des Fingerabdrucks den «Analabdruck» als Erkennungsmerkmal. Dazu filmt eine Kamera die «Region des Interesses», in diesem Fall den After. Anhand der Aufnahmen weiss der Computer, wer sich gerade auf der smarten Toilette erleichtert.
Ein Herz-EKG auf der Toilette machen
Noch haben Park und seine Kollegen nicht alle Funktionen in einem WC-Aufsatz integriert, aber das soll kommen. «Die Toilette wird schliesslich als tägliche Klinik für das kontinuierliche Monitoring menschlicher Ausscheidungen dienen», prophezeien sie.
Andere Forschergruppen experimentierten mit «e-Nasen», welche den Harngeruch untersuchen. Oder sie trainieren die «smart toilets» auf Geschlechtserkennung, Körperfettmessung, Messung des Körpergewichts oder das Aufzeichnen der Herzströme, während die Versuchspersonen auf der Klobrille sitzen.
Urin als «das neue Blut»
An der Tech-Messe CES in Las Vegas stellten mehrere Firmen im Januar 2023 ihre Produkte fürs stille Örtchen vor, das nun ein High-Tech-Labor werden soll. Da ist zum Beispiel der WC-Aufsatz von «Olive Diagnostics», der auf die Klobrille montiert wird. Laut Hersteller diagnostiziert das Gerät mit Hilfe von Photodioden Harnwegsinfekte, Nierensteine, Verstopfung, Dehydrierung und Herzversagen. «Urin ist das neue Blut», ist man bei der Firma überzeugt.
Die Frage nach der Anzahl richtiger, falsch-positiver und falsch-negativer Ergebnisse beantwortet der Hersteller ausweichend: Bezüglich der Pinkelfrequenz, der Dauer und der Harnmenge habe man bereits «starke, genaue Resultate». Was die Urinanlaytik betreffe, erwarte man in den nächsten sechs Monaten erste «starke, genaue Resultate». Das spezielle Gerät sei derzeit an einer Handvoll Orte in den Niederlanden im Einsatz, berichtete «engadged«.
In der zweiten Jahreshälfte 2023 soll der «u-scan» auf den Markt kommen. Dieses im Durchmesser neun Zentimeter messende, batteriebetriebene Gerät wird in die WC-Schüssel gehängt und kann laut dem Hersteller «Withings» im Urin das Hormon messen, das bei Frauen den Eisprung auslöst. Über eine App wüssten die Benutzerinnen dann, wann ihre fruchtbaren Tage sind.
Ausserdem werde der rund 500 Euro teure «u-scan» unter anderem den Säuregrad (pH-Wert) des Urins analysieren und wie stark konzentriert der Harn sei. Via App erhalten Benutzerinnen und Benutzer die Resultate und daraus abgeleitete Empfehlungen, beispielsweise, wie viele Gläser Wasser sie trinken sollen. Der Hersteller weist auf seiner Website im Kleingedruckten jedoch darauf hin, dass der «u-scan» noch nicht behördlich geprüft sei und die Herstellerangaben daher nicht als Fakten betrachtet werden sollten.
Darmkrebs-Früherkennung als Fernziel
Wenn es nach den Tüftlern geht, könnten smarte Toiletten dereinst ein ganzes Potpourri an Diagnosen stellen und zum Beispiel automatische Früherkennungstests auf Blut im Stuhl zum Darmkrebs-Screening durchführen, Darmentzündungen, Zyklusunregelmässigkeiten, sexuell oder anderweitig übertragbare Krankheiten frühzeitig erkennen, bei schlechter Nahrungsverwertung oder zunehmender Dehydrierung warnen, Schwangerschaftstests oder Drogenscreening machen, Veränderungen der Darmflora analysieren und vieles mehr.
Diskret, schmerzfrei und bequem sei das, lobt Tasoglu die Vorzüge. «Das ultimative Ziel» sei es, die erhobenen Daten via PC oder Smartphone in Echtzeit mit dem Benutzer und seinen medizinischen Betreuern zu teilen.
Es hapert an der Akzeptanz
Doch wollen die Benutzer das wirklich alles wissen? Selbst unter 300 Studierenden der Elite-Universität Stanford im Silicon Valley, an der Seung-min Park und sein Team die smarten Toiletten entwickeln, gab in einer Umfrage fast jeder Dritte an, er oder sie fühle sich nicht wohl bei dem Gedanken, so ein WC zu benützen. Vor allem der «Analabdruck» sowie die Kameras, die Benutzer bei ihren Verrichtungen filmen, stiessen auf Ablehnung.
Was die Kameras betrifft, hat Tasoglu schon eine Idee: Der Harnfluss liesse sich auch mit Hilfe von Ultraschall messen. «Das könnte die Akzeptanz bei den Benutzern erhöhen», schreibt er in «Nature Reviews Urology».
Die High-Tech Klobrille wirft viele ethische Fragen auf
Auch ethische Fragen sollten erst noch gelöst werden, zum Beispiel:
- Kann ein Mensch, der dringend aufs WC muss, tatsächlich freiwillig den Urin- oder Stuhlanalysen zustimmen, wenn das einzige erreichbare WC in dem Moment eine «smart toilet» ist?
- Sind die Daten, die in privaten Badezimmern oder an öffentlichen Orten installierte, smarte Toiletten erheben, als Gesundheitsdaten zu betrachten, die speziell geschützt werden müssen?
- Was ist, wenn die «smart toilet» in einem Land, in dem Schwangerschaftsabbrüche verboten sind, merkt, dass eine seit kurzem schwangere Frau wieder menstruiert?
- Was, wenn die «smart toilet» illegale Drogen im Urin findet oder eine Alkoholabhängigkeit erkennt?
- Was geschieht mit den Daten, die weitergegeben werden?
In einem Anfang Februar erschienen Artikel in «Science Translational Medicine» weisen Seung-min Park und mehrere Kolleginnen selbst auf diese Punkte hin. Ausserdem müsse noch geklärt werden, in welchen Abständen die «smart toilets» Urin- und Stuhlanalysen durchführen und ab wann ein Wert als krankhaft gelten soll.
Der Nutzen ist noch nicht erwiesen
Noch ist gar nicht klar, ob die Toilettenbenutzer von verfrühter und verstärkter Krankheitserkennung in jedem Fall profitieren – möglicherweise verlängert ein solches Frühwarnsystem nur ihre Angst- und Leidenszeit mit einer Diagnose, treibt die Gesundheitskosten hoch oder schadet den Betroffenen sogar, weil es zu Fehldiagnosen führt oder zu unnötigen «Überbehandlungen» von Krankheiten.
Dass da noch gewisse Hürden zu überwinden sind, ist auch den Forschenden klar. Trotzdem glauben sie an die Zukunft der smarten WCs: akkurat, verlässlich, kosteneffizient, komplett automatisiert würden diese dereinst funktionieren. Und nebenbei liessen sich damit ganz viele Daten für die Wissenschaft sammeln – auch von Personen, die bisher kaum an Studien teilnehmen, weil sie keine Zeit dafür haben oder in einem Heim sind.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Anstatt dass wir (wieder) erlernen, auf unseren Körper zu achten, Gefühle zu interpretieren und danach zu handeln erhalten wir immer mehr elektronische Helferlein und Gadgets, die uns diese Aufgaben abnehmen sollen. Und die Abstumpfung unserer Intuition wird langfristig wahrscheinlich zu mehr Krankheit führen als zu weniger.
Unser Gesundheitswesen (Krankheitsunwesen) ist bald so perfekt , dass in ein paar Jahren niemand mehr GESUND ist. Als ehemaliger Elektrikerlehring hat uns Hans Schweri (Aarau) gelernt; wer misst misst Mist. Vor 9 Jahren habe ich eine 3fache Krebsdiagnose erhalten und gehe seit über 8 Jahren nicht mehr zu einem Arzt, habe 100000tausende Franken Kosten eingespart und lebe immer noch. Jeden Tag erwache ich mit grosser neuer FREUDE. Das Leben will einfach LEBEN, wie die Pflanzen und Tiere. Pflanzen und Tiere kann man nicht medial manipulieren, werden auch deshalb niemals (warum auch) eine monatliche Krankenkasse bezahlen obwohl Wissenschaft eine starke Sektenhafte Tendenz hat.
Und in Echtzeit erhält man dann Angebote von Entzugskliniken, Werbung für Babykleidung, Adressen von Ärzten und Spitälern passend zur gestellten Diagnose auf das Smartphone.
Und für jeden gewonnenen Kunden erhält der Betreiber der «Smart Toilet» eine Gutschrift.
Mal ganz abgesehen von den Problemen des Datenschutzes (auch jede WC-Kamera wird gemäss Murphys Law früher oder später gehackt) scheint mir ein breiter Einsatz von Überwachungs-WCs nicht sinnvoll, beziehungsweise höchstens sinnvoll für die Medizinalbranche, die damit ihren Umsatz steigern und die Gesundheitskosten in die Höhe treiben könnte.
Es ist ja ähnlich wie mit den unmotivierten Check-ups beim Arzt: Die Medizinalbranche spielt mit der Angst vor einer unentdeckten Krankheit, liefert aber häufig fragwürdige Diagnosen und fördert tendenziell eine Überbehandlung.
Ich bin jedenfalls gut gefahren mit der Strategie, mich von Ärzten fernzuhalten, wenn es keinen expliziten Grund für einen Besuch gibt.