Politikprofessor denunziert Kriegsangst als «Krankheit»
Der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, Joachim Krause, rechnet damit, dass NATO-Staaten in absehbarer Zeit Kampfjets an die Ukraine liefern. Mit Blick darauf sei «Eskalationsbereitschaft» angesagt, nicht «Eskalationsphobie», erklärt Krause, der auch dem Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik angehört, des militärpolitischen Strategiezentrums der Bundesregierung.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine haben deutsche Politiker und Medien immer wieder Kriegsangst zu stigmatisieren versucht. In einem aktuellen Medienbeitrag heisst es über Furcht vor dem Übergreifen des Krieges auf die Bundesrepublik: «Panikmache müsste … strafbar sein.»
«90 Sekunden vor Mitternacht»
Unterdessen hat UN-Generalsekretär António Guterres vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs zu einem «grösseren Krieg» gewarnt. Vor der UN-Generalversammlung konstatierte er, die «Doomsday Clock» («Weltuntergangsuhr»), mit der Wissenschaftler die Nähe zu einer von Menschen herbeigeführten apokalyptischen Katastrophe darzustellen suchen, stehe seit kurzem auf 90 Sekunden vor Mitternacht – ein Punkt, den sie nicht einmal in den härtesten Phasen des Kalten Kriegs erreicht habe.
Ursache seien neben der drohenden Klimakatastrophe nukleare Gefahren und vor allem der Ukraine-Krieg.[1] «Die Aussichten auf Frieden verschlechtern sich weiter», warnte Guterres, «die Wahrscheinlichkeit weiterer Eskalation und Blutvergiessens steigt weiter.» Er fuhr ausdrücklich fort: «Ich fürchte, die Welt schlafwandelt nicht in einen grösseren Krieg, sie bewegt sich mit weit geöffneten Augen in ihn hinein.» Der UN-Generalsekretär forderte eindringlich zum Gegensteuern auf: «Wir müssen härter für den Frieden arbeiten – überall.»
«Der Dritte Weltkrieg»
Schon vor rund einem Monat hatte Papst Franziskus ebenfalls eindringlich vor einem grossen Krieg gewarnt. Franziskus äusserte sich in seiner traditionellen Neujahrsansprache, die er wie jedes Jahr vor den beim Vatikan akkreditierten Diplomaten aus aller Welt hielt und die als aussenpolitische Grundsatzrede des Papstes gilt, zu den zahlreichen aktuellen Konflikten – von Syrien über den israelisch-palästinensischen Konflikt, den Bürgerkrieg in Myanmar und die Spannungen und Unruhen etwa in Peru und Haiti bis zu den Kriegen in der Sahelzone sowie in weiteren Ländern Afrikas.
Zwar beträfen die zahlreichen Kriege und Konflikte jeweils «nur bestimmte Gebiete des Planeten unmittelbar»; doch bezögen sie, sei man ehrlich, «im Grunde genommen alle mit ein». «Das beste und jüngste Beispiel dafür» sei «der Krieg in der Ukraine mit seiner Spur von Tod und Zerstörung, mit den Angriffen auf die zivile Infrastruktur, bei denen Menschen nicht nur durch Bomben und Gewalt, sondern auch durch Hunger und Kälte ihr Leben verlieren.» Der Papst urteilte über die gegenwärtige Lage: «Heute ist der Dritte Weltkrieg in einer globalisierten Welt im Gang».[2]
«Panikmache müsste strafbar sein»
Während der UN-Generalsekretär und der Papst vor der Ausweitung des Ukraine-Kriegs bis hin zu einem Dritten Weltkrieg warnen, werden in Deutschland nun erneut Forderungen lauter, sich von der Kriegsgefahr nicht abschrecken zu lassen. Das ist nicht neu. Nur wenige Wochen nach Kriegsbeginn behauptete die damalige stellvertretende Leiterin des European Union Institute for Security Studies, Florence Gaub, die Furcht vor dem Weltkrieg sei «genau, was Putin erreichen will»: «Nicht die Bombe, sondern die Angst vor der Bombe ist die Waffe.» Daher dürfe man sie nicht zulassen.[3] Anfang Mai sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, befragt, ob er nicht einen Atomkrieg fürchte: «Ich habe keine Angst.»[4] Ende vergangenen Jahres erklärte Carlo Masala, Professor an der Münchner Universität der Bundeswehr, in einer Talkshow, «Angst vor einer Eskalation» durch Russland zu haben sei «ein bisschen paradox»: «Da stehen wir mit unserer Angst auf der falschen Seite.»[5] Am Wochenende brüstete sich ein Autor im Springer-Blatt «Die Welt»: «Corona, Weltkriegsgefahr und Klimawandel machen mir keine Angst». «Vertreter aus SPD und Grünen» wollten der Bevölkerung jedoch Furcht einjagen: «Deren Panikmache müsste … strafbar sein.»[6]
Kriegsangst als «Krankheit»
In einem aktuellen Zeitungsbeitrag bezeichnet nun ein deutscher Politikprofessor die Angst vor einer unkontrollierten Eskalation des Ukraine-Kriegs als eine «deutsche Krankheit». Wie der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, Joachim Krause, in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» erklärt, sei damit zu rechnen, dass es in absehbarer Zeit zur Gründung eines «westlichen Konsortium[s] zur Lieferung von Kampfjets» an die Ukraine komme – «denn ohne Luftunterstützung werden die Ukrainer nicht zu jener beweglichen Kriegführung in der Lage sein, die notwendig ist, um die russischen Truppen zu vertreiben».[7] Zur Lieferung von Kampfjets hat der Militärhistoriker Sönke Neitzel, eher als Hardliner bekannt, unlängst geurteilt, liefere der Westen sie, dann erreiche der Krieg «eine ganz neue Eskalationsstufe». Neitzel warnt offen, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gehe es bei der Forderung nach Kampfflugzeugen darum, «die Nato in diesen Krieg hineinzuziehen».[8]
«Eskalationsphobie»
Mit Blick auf Warnungen wie diese erklärt Krause, der dem Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik angehört, des militärpolitischen Strategiezentrums der Bundesregierung: «Die Deutschen leiden unter einer Krankheit, die man als Eskalationsphobie bezeichnen muss.»[9] «Eskalationsbereitschaft» habe sich immer wieder als «erfolgreich» erwiesen, so beispielsweise im Kalten Krieg. Deshalb müsse man auch heute «den Ukrainern neue Mittel der Kriegführung zur Verfügung» stellen. Weil Bundeskanzler Olaf Scholz sich kürzlich nicht für die rasche Lieferung von Kampfjets ausgesprochen hat, wirft Krause ihm vor, sich «in stiller Pflege der Eskalationsphobie» zu üben.
Furcht vor dem Weltkrieg
Die Furcht vor einer Eskalation des Ukraine-Kriegs, die Krause als «Eskalationsphobie» denunziert, ist in der deutschen Bevölkerung verbreitet. Im Oktober zeigte eine Umfrage, dass 59 Prozent der Bevölkerung Angst vor einem Dritten Weltkrieg haben. Am geringsten ausgeprägt ist die Weltkriegsangst mit jeweils 51 Prozent bei Menschen mit monatlichem Durchschnittseinkommen von 4000 Euro oder mehr und bei Wählern von Bündnis 90/Die Grünen.[10]
FUSSNOTEN:
[1] Secretary-General’s briefing to the General Assembly on Priorities for 2023. un.org, 06.02.2023.
[2] «Papst spricht vor Diplomaten vom dritten Weltkrieg». tagesspiegel.de, 09.01.2023.
[3] S. dazu Ukrainisch Roulette.
[4] «Merz: Habe keine Angst vor Atomkrieg». n-tv.de, 02.05.2022.
[5] Thomas Fritz: «Militärexperte Carlo Masala wundert sich bei «Maybrit Illner» über merkwürdige Angst im Westen». web.de, 09.12.2022.
[6] Harald Martenstein: «Wer wenig Angst hat, gilt in dieser Gesellschaft schnell als politischer Aussenseiter». welt.de, 05.02.2023.
[7] Joachim Krause: «Eskalationsphobie – eine deutsche Krankheit». «Frankfurter Allgemeine Zeitung», 07.02.2023.
[8] Dimitri Blinski: Sönke Neitzel: «Es geht Selenskyj darum, die Nato in diesen Krieg hineinzuziehen». stern.de, 27.01.2023.
[9] Joachim Krause: «Eskalationsphobie – eine deutsche Krankheit». «Frankfurter Allgemeine Zeitung», 07.02.2023.
[10] Oliver Stock: «Mehrheit der Deutschen hat Angst vor Drittem Weltkrieg». focus.de, 21.10.2022.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Online-Plattform german-foreign-policy.com. Diese «Informationen zur Deutschen Aussenpolitik» werden von einer Gruppe unabhängiger Publizisten und Wissenschaftler zusammengestellt, die das Wiedererstarken deutscher Grossmachtbestrebungen auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet kontinuierlich beobachten.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Gewisse Leute müssten tatsächlich bestraft oder sogar eingesperrt werden, nämlich all die jenigen, welche anders denkende nicht zu Wort kommen lassen wollen, eine Mode die in den letzten Jahren wieder vermehrt um sich greift. Scheinbar haben die Befürworter einer Eskalation weder gute Argumente, noch Gedächnis, sonst würden sie sich errinnern, dass uns die «Eskalationsbereitschaft» sowohl den ersten wie auch den Zweiten Weltkrieg beschert hat.
Auch der Kalte Krieg war bei langem nicht so «kalt» wie man meinen würde, dank immer neuen ehemals geheimen Dokumenten, welche der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wissen wir heute, dass es mehrmals mehr dem Zufall oder dem Mut einzelner zu verdanken war, dass es nicht zu einem Dritten Weltkrieg gekommen ist. Die Situation war und ist also keines falls unter Kontrolle.
Selbstverständlich wäre nichts einzuwenden, wenn die Kriegstreiber selbst an vorderster Front kämpfen wollten, dies würde ihnen vielleicht die Augen öffnen.
Neulich sagte der Philosoph Peter Sloterdijk im Interview mit der NZZ: «Deutschland ist die grösste Exportnation für Irrtümer».
Deutschland ist da nur die Nummer drei nach den USA und Großbritannien…
um diese Aussage von Joachim Krause richtig einordnen zu können müsste man auch seine finanziellen Interessen kennen. Könnte es sein, dass das Institut für Sicherkheitspolitik vom Militär und der Rüstungsindustrie mitfinanziert wird? Die europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel wird ja auch zu über 80% von der Industrie finanziert. Wieso sollte es hier anders sein? Ich vermute diese systemischen Fehler finden sich in vielen Behörden und beratenden Instanzen, und sollten möglichst schnell ausgemerzt werden, sonst siehts nicht gut aus um unsere Zukunft.
Der erste Weltkrieg, der Krieg «der dummen Politiker und dummen Generäle» brach aus, weil sich alle in eine Kriegshysterie hineinsteigerten und wie heute glaubten, mit einem kurzen frischen Waffengang alle Probleme lösen zu können. Aus der Eiterbeule Sarajevo wurde ein Wundbrand, der alle verzehrte. Hätten weder Österreich-Ungarn noch das russische Zarenreich sich an der serbischen Frage aufgehängt, wäre dieser Krieg nicht ausgebrochen (im Grunde war Franz Josef II. ja sogar froh, dass der bizarre und ungeliebte Franz Ferdinand nicht mehr Thronfolger war).
Weder Deutschland noch ein anderes NATO-Land sind der Ukraine zur Bündnistreue verpflichtet; außer humanitärer Hilfe muss kein Staat ihr irgendwelche Unterstützungen und schon gar keine Waffen gewähren. Es gibt auch (anders als Korea 53) kein UN-Mandat, das so etwas ermöglichte. Hier geht es ganz klar um Kriegsabsichten, die natürlich keiner offen auspricht. Stattdessen wird vom Verteidigen von Freiheit und Demokratie geredet.
Das solche Äusserungen auch vom deutschen politischen Umfeld kommen, ist schockierend! Nicht weil Deutschland innerhalb weniger Jahre zwei Weltkriege zu verantworten hatte, sondern weil gerade Deutschland und seine Bevölkerung desswegen grosses Leid und Zerstörung auf sich nehmen musste. Das es das heutige Deutschland, so wie wir es kennen überhaupt gibt, ist letztendlich eine Konsequenz der Angst der Alleiirten vor Stalin’s Macht- und Expansionspolitik, sonst würde Weltkarte heute anders aussehen.
Es gibt Dinge, welche man recht einfach verwechseln kann, zum Beispiel: Mut, Torheit und eben auch Dummheit.
Angst gehört zu den Sinnen, welche sowohl Menschen, wie Tieren zu Überleben verhilft. Das militärische Zerstörungspotential Russlands ist reel und somit handelt es sich nicht um eine Phobie, sondern um Fakten. Ob und wie dieses Potential entfesselt wird, entscheidet ein Mann in Moskau und der heisst Putin!