Kommentar
Ein Ukraine-Sondertribunal schwächt das Weltstrafgericht
Bundesaussenministerin Annalena Baerbock sollte einsehen, dass es die Autorität des Weltstrafgerichts in Den Haag untergräbt, wenn sie jetzt im Einklang mit den Amerikanern ein Ukraine-Sondertribunal fordert.
Putin packen? Ein Sondertribunal nach ukrainischem Recht, wie Baerbock es vorschlägt, könnte das gar nicht, es könnte nur die Handlanger Putins verfolgen. Das reicht aber nicht. Nur beim Weltstrafgericht gilt keine Immunität für aktive Staats- und Kriegslenker.
Gleichwohl: Die Amerikaner wollen unter Aufbietung all ihrer juristischen und diplomatischen Hilfstruppen den von ihnen bekämpften Weltstrafgerichtshof lahmlegen. Die USA bekämpfen den Weltstrafgerichtshof, weil sie ihre Kriege und ihre Kriegführung nicht von einem Weltstrafgericht prüfen und aburteilen lassen wollen. Sie fürchten den Autoritätsgewinn, den die Ankläger in Den Haag und der Weltstrafgerichtshof hätten, wenn dort Haftbefehle gegen Putin, Lawrow und Co. ausgestellt würden.
Weltstrafgerichtshof soll ausgebootet werden
Deshalb soll dieser Weltstrafgerichtshof durch ein Sondertribunal ausgebootet werden, das sich offenbar in Den Haag schon im Aufbau befindet. Das ziemlich dürftige Argument lautet: Das Weltstrafgericht könne ja „nur“ die Kriegsverbrechen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermordsverbrechen untersuchen und bestrafen, wie das 43 Staaten aus allen Kontinenten schon beantragt haben. Beim Verbrechen der Aggression seien aber dem Weltstrafgerichtshof die Hände gebunden; die Statuten geben seine Zuständigkeit nicht her. Das ist richtig. Aber wenn man die Aggressionsverbrechen hinzunimmt, würden die zu erwartenden Strafen ohnehin nicht höher ausfallen.
Der Internationale Strafgerichtshof ist ein Geschenk der Hoffnung
Sehr ins Gewicht fallen die Nachteile eines Sondertribunals: Es würde den weiteren Ausbau einer globalen Strafjustiz verhindern, die auch vor Staatsangehörigen und Staatslenkern einer UN-Vetomacht nicht haltmacht. Das wäre den US-Amerikanern ein Gräuel, weil es auch sie treffen könnte. Deshalb wollen sie ein Sondertribunal, nur Russland und die Ukraine betreffend. Deshalb wollen sie auf diese Weise den Weltstrafgerichtshof, den sie ebenso wenig anerkennen wie Russland und China, schwächen.
Der Internationale Strafgerichtshof, das Weltstrafgericht, braucht Stärkung, nicht Schwächung. Karim Khan, der Chefankläger, hat es sensibel auf den Punkt gebracht: „We don’t want dilution, we want consolidation“ («Wir wollen keine Verwässerung, wir wollen Verbesserung»). Der Internationale Strafgerichtshof muss ausgebaut, seine Statuten müssen verbessert und geschärft werden. Er ist kein „Monster“, wie ihn US-Politiker nennen, er ist ein Geschenk der Hoffnung.
Hoffen wir, dass die Eskalation von Krieg und Gewalt gestoppt werden kann – auch mit justitiellen Mitteln.
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Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien am 29. Januar 2023 als „Prantls Blick“ in der Süddeutschen Zeitung.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Solange der Westen – vor allem die USA, aber nicht nur – nicht für seine Verbrechen und Kriegsverbrechen die er seit dem 2. Weltkrieg, beginnend in Korea, dann im Vietnam Krieg in ganz Indochina, und an vielen anderen Orten, darunter in letzter Zeit auch Libyen, Syrien und Irak entweder selbst begangen oder doch immerhin maßgeblich unterstützt hat (so zum Beispiel im Saudi Arabischen Krieg gegen Jemen) zur Verantwortung gezogen wird, bleiben all diese Bemühungen und Wortmeldungen, die vorgeben an Menschenrechten und Gerechtigkeit interessiert zu sein, für mich einfach nur heuchlerische Versuche, von den eignen Tagen abzulenken. Die Opfer der westlichen Hang zur Missionierung gehen hier in die Millionen Toten, komplett zerstörte Infrastrukturen und teilweise noch heute Problem mit Missbildungen, wegen eingesetzten Chemischen(Agent Orange in Vietnam) und angereicherten Uran-Waffen (Serbien).
Wie wäre es mit einem Sondergericht zu den Angriffen auf den Donbass ab 2014 ? Oder der «Invasion» von Süd-Ossetion durch die Georgische Armee ? Oder den diversen Kampagnen und Angriffskriegen verschiedener Nato-Länder im Balkan und Mittleren Osten ? oder … oder ? Namibia – nie gehört ! Völkermord gilt ja als unverjährbar. Wer im Glashaus sitzt, sollte mit Steinen vorsichtig umgehen.
Wie Frau Sandoz vor ein paar Wochen im Rahmen der RTS-Sendung «Les beaux parleurs» sagte, ist internationales Recht weniger Recht als die ritualisierte Form internationaler Machtverhältnisse. Das Recht des Gewinners ist hier immer das «beste».
(wenigstrens solange man auf der Seite des Gewinners ist)
Man könnte meinen das Deutsche Journalisten Befürchtungen haben sich den USA gegenüber klar zu äußern, oder es passt nicht in das augenblickliche mediale Narrativ.
Die USA haben dem Internationalen Strafgerichtshof mit Sanktionen gedroht, sollten Ermittlungen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vorangetrieben werden. Die Chefanklägerin Fatou Bensouda hätte in dem Fall Sanktionen getroffen.
Das Fatale ist nämlich, das hier keine Konflikte zwischen Staaten verhandelt werden: Hier müssen sich Einzelpersonen vor einem unabhängigen Gericht verantworten. Es würde auch die Angehörigen der US-Armee und des Geheimdienstes CIA betreffen.
Stellt sich die Frage warum ausgerechnet gegen Putin Anklage erhoben wird?
Was ist mit den Morden durch amerikanische Drohnen ohne richterlichen Beschluss und/oder Kriegserklärung? Der Völkerrechtswidrigen Verhängung von Embargos? Den kriegerischen Akten der USA in den vergangenen Jahrzehnten unter dem Mantel von Lügen abgesichert?
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, heisst es, aber in dem Fall macht ein eigener Gerichtshof schon Sinn. Sonst müsste man mit auf der Anklagebank sitzen.
Dumm nur das man dazu aber erst mal einen Verlierer braucht den ein Sieger vorführen kann. Das davor vielleicht eine zu strahlende Zukunft über Europa hereinbricht, scheint den Ambitionen keinen Abbruch zu tun.
Aber der Aussenministerin Denkensweise kam mir schon immer sehr weltfremd vor, so wundert einen auch das nicht.
Es sei daran erinnert, dass ein Bezirksgericht in Den Haag 11.2022 zwei Separatisten der Ukraine wegen des Abschusses der MH17 und Mord an 298 Insassen in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt hat.
In der Urteilsbegründung stand noch: «Offenbar dachte die Besatzung, die Rakete nicht auf ein ziviles, sondern auf ein militärisches Flugzeug abzufeuern. Aber selbst dann besteht immer noch die Absicht und der Vorsatz, das Flugzeug abzuschießen und seine Insassen zu töten. . . .Da aber die Russische Föderation und die Verdächtigen bis heute eine russische Beteiligung abstreiten, können die DVR-Kämpfer nicht als Teil der russischen Streitkräfte angesehen werden.» Damit kam «Kombattantenimmunität» nicht in Frage.
Rechtsprechung muss sich an Gesetze halten. Die eigentlichen Verantwortlichen sind oft nicht zu kriegen. Ein politisches Urteil wird dann gefällt, wenn nicht das Recht im Vordergrund steht sondern einem politischen Ziel gedient wird. Dann dient die Justiz aber Machtinteressen.
Vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Ich interessiere mich vor allem für die Aussage im vierten Paragraph, wo Herr Prantl schreibt, dass der Internationale Strafgerichtshof (ICC) das Verbrechen der Internationalen Aggression nicht richten kann. 2017 wurde die Gerichtsbarkeit des ICC über Internationale Aggression aktiviert. Das gilt für Vertragsstaaten, welche diese Änderungen ratifiziert haben. Bis heute sind es 30. Russland hat die Änderungen noch nicht ratifiziert.
Das man das Weltstrafgericht nicht bemühen will, hat schon seinen Sinn: Man will recht haben und nicht Gerichtigkeit, dies sind zwei verschiedene Dinge!