Sperberauge

Kulanz bei den SBB

Martina Frei © zvg

Martina Frei /  Wegen eines defekten Automaten werden der Kundin 90 Franken Busse aufgebrummt. Als sie reklamiert, kommt keine Antwort.

Ein Dezembertag am Bahnhof in Lenzburg. Der Zug wartet. Und der Stempelautomat für die Mehrfahrten-Tageskarte geht nicht. Im Gedränge zum nächsten Automaten rennen? Unmöglich, dann ist der Zug weg und ich komme zu spät. Also rein in den Zug, sofort den Kugelschreiber zücken, das Feld von Hand ausfüllen und die kleine Papierecke, die sonst der Automat wegstanzt, abreissen. Damit ist das Feld entwertet.

Eine Viertelstunde später kommt der Kontrolleur. Er fragt, welcher Automat genau defekt war, notiert meine Angaben, macht ein Foto vom Billet mit der abgerissenen Ecke – und brummt mir eine Busse von 90 Franken plus 10 Franken «Fahrpreispauschale» auf, weil mein «Fahrausweis nicht entwertet» sei. Man werde meine Angaben prüfen, und – falls der Automat tatsächlich defekt sei–, dann könne man mir die Busse erlassen, lässt er durchblicken.

«Sie müssen an einem anderen Automaten stempeln, wenn einer defekt ist», klärt mich der Kondukteur auf. Das hätte ich ja gern gemacht, bloss beginnen die Probleme für Reisende, die mit dem Auto nach Lenzburg kommen, schon 100 Meter vor dem Bahnhof. Dort steht ein Parkautomat, der Münzen nimmt – jedoch nur, wenn es ihm beliebt. 

Mitten im Zahlvorgang befindet der Automat, dass ich eine ungültige Münze eingeworfen hätte. Das stimmt zwar nicht, trotzdem spuckt er alle Münzen wieder aus. Der Zahlvorgang beginnt wieder von vorn. Dreimal. Weil der Automat nicht der Schnellste ist, vergeht dabei Zeit. Die SBB muss das nicht kümmern, denn ihnen gehört dieser Automat nicht. Und die Regionalpolizei, die diesen Parkplatz regelmässig kontrolliert, weiss zwar um das Geplänkel, reagiert aber achselzuckend mit einem «dann twinten Sie halt».

Dreimal den Standort des Automaten beschrieben

Am Zielort angekommen, gehe ich zum nächsten Bahnhof, schildere alles, gebe nochmals an, welcher Stempelautomat genau defekt war. Wieder wird notiert, wieder wird mir in Aussicht gestellt, dass die SBB kulant seien, wenn meine Angaben stimmen. Man werde das prüfen. 

Zwei Tage später rufe ich die Nummer an, die auf dem Bussgeldbescheid angegeben ist. Ich beschreibe ein drittes Mal, was vorgefallen ist, welcher Automat defekt war. Sie könne mir die Busse nicht erlassen, antwortet die Dame am Telefon. Denn sie wisse ja nicht, ob meine Angaben stimmen würden. Man habe das nicht geprüft. «Aus Kulanz» erlasse mir die SBB aber 50 Franken. 

Bleiben 50 Franken. Ich fühle mich ungerecht behandelt: 50 Franken dafür bezahlen, dass der SBB-Stempelautomat nicht geht? Und die SBB halten es nicht mal für nötig, den Automaten zu prüfen? Vermutlich sind seither weitere SBB-Kunden gebüsst worden, denen es ähnlich ergangen ist. 

Ich bitte darum, mit dem Vorgesetzten zu sprechen. Das gehe nicht, antwortet die Dame. 

An einem anderen Bahnhof erkundige ich mich beiläufig, ob dies das übliche Vorgehen der SBB sei. Sie finde das Verhalten der SBB befremdend, antwortet die Mitarbeiterin. Wenn bei ihnen eine Meldung eingehe, dass ein Automat defekt sei, würde das sofort geprüft und wenn es stimme, storniere man die Busse.

Kundendienst antwortet nicht

Einige Zeit später kommt die erste Mahnung der SBB. Also reklamiere ich per Online-Formular beim SBB-Kundendienst und maile auch dem Ombudsmann. Sechs Tage später antwortet der Ombudsmann: Er könne erst etwas unternehmen, wenn etwas Schriftliches von den SBB vorliege. 

Von den SBB kommt keine Antwort per E-Mail – aber 13 Tage später ein Brief: Die zweite Mahnung mit Betreibungsandrohung plus 40 Franken Mahngebühr. Macht 90 Franken. Ich bezahle. 

Dann schreibe ich dem Ombudsmann erneut. «Leider können wir nicht tätig werden, solange uns nicht eine schriftliche Korrespondenz zwischen Ihnen und der SBB in der Sache vorliegt», schreibt er. Er stelle den SBB mein Anliegen nun direkt zu, und: «Sie werden in den nächsten Tagen vom Kundendienst der SBB hören.»

Inzwischen sind 13 Tage vergangen. Der SBB-Kundendienst hat sich nicht gemeldet.

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Nachtrag: Bei einem Versuch, den Stempelautomaten einige Wochen später zu benützen, funktionierte er wieder – aber mangels Tinte war nun der Stempelaufdruck nicht erkennbar. Das war zwar einige Wochen später behoben. Doch nun funktionierten zwei von drei getesteten Automaten an diesem Bahnhof nicht.

Nicht einfach auf den Kondukteur warten

«Die SBB haben rund 3000 Entwerter im Einsatz, die ältesten sind 30 Jahre alt», schrieb der «K-Tipp» 2019. «Die Entwerter für Mehrfahrtenkarten stempeln oft nicht korrekt ab. Die Kunden werden bestraft, obwohl sie keine Schuld trifft.» 

«Der desolate Zustand der Entwerter» habe sogar Eingang in die Tarifbestimmungen gefunden, berichtete die Zeitschrift: Wenn beispielsweise das letzte Feld des Mehrfahrtenbillets am Automaten nicht abgestempelt werden könne, dann müsse man Schalterangestellte oder sofort nach der Abfahrt den Kondukteur um eine handschriftliche Entwertung bitten. «Sie dürfen nicht einfach auf den Kondukteur warten. Es ist auch nicht erlaubt, die Karte selbst mit einem handschriftlichen Eintrag zu entwerten.» Melde sich der Passagier nicht selber beim Kondukteur, kassiere er eine Busse von 90 Franken. In Zügen mit Selbstkontrolle würden die SBB «Augenmass und Kulanz» versprechen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Die Autorin findet die Busse, die ihr auferlegt wurde, ungerecht.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Konsumentenschutz

Einseitige Vertragsklauseln. Täuschungen. Umweltschädlich. Hungerlöhne. Erschwerte Klagemöglichkeiten.

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8 Meinungen

  • am 14.02.2023 um 13:10 Uhr
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    «Missbrauch einer Monopol-Position», oder wie sonst könnte man das Verhalten der SBB seit längerem bezeichnen? Dass «wir» die Volksinitiative «Service Public» ablehnten, finde ich äusserst bedauerlich.

  • am 14.02.2023 um 14:36 Uhr
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    Ich finde die Politik der SBB sei viele Jahrzehnten verfehlt, vom einstigen SBB-Freund werde ich langsam zum Skeptiker, der sich überlegt, ob er sein Halbpreis-Abo erneuern soll.
    Mein erstes Halbtax-Abo hatte damals noch 360 Fr. gekostet…

    Die solide Funktionsweise der Infrastruktur zusammen mit dem super-motivierten Personal wurde mehr und mehr bodenlosen Marketing-Phantasien unterordnet.

    Jetzt ist angesagt, viel in die neueste, kostpieligste und wohl gesundheitsschädlichste Mobilfunktechnik zu investieren. Ein alter Slogan hiess «ihr Herz schlägt ruhiger im Zug».
    Heute begibt man sich in die Hölle des Elektrosmogs und darf zudem ununterbrochen zuhören, wie mobiltelefonische Belanglosigkeiten ausgetauscht werden.
    Am Laptop arbeiten, Video etc würde auch off-air funktionieren.
    Wir Normalfahrer und Steuerzahler bezahlen für den übertriebenen und ungesunden Service, derweil normal-guter Service eingestellt wird.
    Rauchfrei & e-smogfrei, dies müsste die Idee sein.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 14.02.2023 um 20:12 Uhr
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    Wohl besser mit dem Auto fahren… Politik und Realität im Wiederspruch ?

    Klingt irgendwie vertraut. Auch die SBB sind nicht perfekt… nobody is perfect. Aber eine Busse einkassieren kann auch ein «dummes» System.

  • billo
    am 14.02.2023 um 20:28 Uhr
    Permalink

    Im Verwaltungsapparat der SBB – bei der Post und manchen städtischen Verkehrsbetrieben ist es leider nicht anders – herrscht trotz «Liberalisierung» noch immer zu viel Beamtentum. Dementsprechend mangelt es an Kundenorientierung. Wenn erreichbare Entwertungsautomaten – das ist eine vom Kunden mit dem Fahrschein bezahlte (!) Dienstleistung des Anbieters – nicht funktionieren, dann ist es die absolut nächstliegende Lösung, den Fahrschein selber mit einem Kugelschreiber durch Vermerk von Datum und Uhrzeit zu entwerten. Wenn ein Reglement des Anbieters dies nicht gelten lassen will aus bürokratischer Furcht vor Beschiss, dann heisst das nichts anderes, als dass die Damen und Herren in Ihren bequemen Büros jeden Kunden für einen potentiellen Betrüger halten. So gesehen ist es direkt erstaunlich, dass die Züge überhaupt noch fahren – aber dafür sind ja nicht die Bürolisten zuständig, sondern Personal, das näher an der Kundschaft ist…

    • am 16.02.2023 um 21:16 Uhr
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      Jeder Fahrgast könnte ein «potentieller Betrüger» sein, trifft das Verhalten so mancher Kontrolleure genau auf den Kopf. Habe ich schon mehrmals erlebt. Die sind aber nur so, weil sie höchstwahrscheinlich in diese Richtung ausgebildet werden. Dieses Verhalten sollte die SBB dringendst überprüfen.

  • am 14.02.2023 um 23:58 Uhr
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    Da ich fast 60 Jahre Erfahrung mit dem SBB-Personal habe, kann ich diese Geschichte gut nachvollziehen. Wir leben zwar (noch) nicht in einem Polizeistaat, aber wir leben in einem Staat, indem jeder gerne Polizist spielt. Ich empfehle jedem der Bahn fahren will, immer mit der schlimmstmöglichen Panne zu rechnen. Also immer Bargeld und Postfinance-Karte mitzunehmen, weil eines von beiden am Automaten nie funktioniert. Statt mit dem Auto zum Bahnhof zu fahren und dort horrende Parkgebühren zu zahlen, empfehle ich gleich mit dem Auto ans Zielort zu fahren. Und wer auf den Zug nicht verzichten will, sollte eine gute Verkehrs-Rechtsschutzversicherung haben, die auch für den öffentlichen Verkehr gültig ist.

  • am 15.02.2023 um 08:39 Uhr
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    Das sind ja Prioritäten wie in der DDR. Dort funktionierte alles nur halb, dafür hatte es nie einen Mangel an… Kontrolleuren.

  • am 15.02.2023 um 16:14 Uhr
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    Dieses Vorgehen, mauern oder aussitzen genannt, wird auch bei Versicherungen, Banken, online Händlern, Grossverteilern und Kommunikationsanbietern zunehmend beliebter. So wird man bequem unbeliebige Kundschaft, obendrein noch finanziell einträglich, los. Da hilft oft nur eine Radio Konsumentenschutz Sendung oder eine Rechtschutzversicherung. Nicht nachgeben! Noch ekliger werden!

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