Medikamente Senioren quadratisch

Je mehr chronische Krankheiten, desto mehr Medikamente erhalten Seniorinnen und Senioren. Damit einher gehen auch mehr unerwünschte Wirkungen. © Furian / Depositphotos

Welche Medikamente für ältere Menschen ungeeignet sind

Martina Frei /  Die neue «Priscus»-Liste mit riskanten Medikamenten für Senioren ist erschienen. Sie nennt auch mögliche Alternativen.

Fast die Hälfte der Spitex-Patienten bezog im Jahr 2019 eine «potenziell inadäquate Medikation» (PIM), also ein Medikament, das diesen Patienten möglichst nicht verordnet werden sollte. Die Patientinnen und Patienten der Spitex seien «grossen Medikationsrisiken ausgesetzt», berichtete die Helsana 2020. 

Bei den über 65-Jährigen nahm gemäss einer schon älteren Schweizer Studie etwa jeder Fünfte ein Medikament, das bei Senioren als ungeeignet gilt. In Deutschland ergab eine Auswertung der «Barmer» Krankenkasse im Jahr 2016, dass jeder vierte Versicherte über 64 Jahre mindestens einmal ein Medikament erhalten hatte, das potenziell ungeeignet war. Bei den über 80-jährigen Frauen sei dies sogar bei jeder dritten der Fall gewesen. 

Solche ungeeigneten Medikamente rufen zum Beispiel Gedächtnisstörungen hervor oder sie erhöhen das Sturzrisiko und führen deshalb zu mehr Spitalaufenthalten. Einzelne Studien, vor allem mit Pflegeheimbewohnern, hätten jedoch gezeigt, dass sich die Sturzhäufigkeit erheblich reduzieren liess, wenn ihre Medikation angepasst wurde, gibt die «Hausärztliche Leitlinie Multimedikation» zu bedenken. Dazu zählt auch, möglichst jede PIM zu streichen.

187 Wirkstoffe werden bei älteren Menschen als ungeeignet eingestuft

Welche Medikamente für Senioren als ungeeignet erachtet werden, fasst die «Priscus-Liste 2.0» zusammen. «Priscus» bedeutet alt, ehrwürdig – und das war auch die vor über einem Jahrzehnt erstmals veröffentlichte Liste, bevor sie nun aktualisiert wurde. 187 potenziell für Senioren ungeeignete Wirkstoffe zählt die jetzt veröffentlichte, überarbeitete Fassung auf.

Die Priscus-Liste gilt in der Hausarztmedizin als gutes Hilfsmittel beim Entscheid, welches der (oft vielen) Medikamente einer Patientin oder eines Patienten am ehesten gestrichen werden könnte, um «auf ein überschaubares und pharmakologisch sinnvolles Mass» zu kommen, schreibt der Pharmakologie-Professor Bernd Mühlbauer im «Deutschen Ärzteblatt». Er rät aber davon ab, sich «sklavisch» an die Liste zu halten und ihr «reflexartig» zu folgen, denn im Einzelfall könne die Weiterverordnung eines solchen Medikaments unverzichtbar für die Gesundheit und Lebensqualität sein.

Maximaldosis für Seniorinnen und Senioren angegeben

Die überarbeitete Priscus-Liste kennt im Gegensatz zur früheren auch Abstufungen. So gelten beispielsweise Magensäureblocker bei Senioren jetzt nicht mehr pauschal als PIM, sondern erst ab einer Einnahmedauer von mehr als acht Wochen. Auch beim Anti-Durchfallmittel Loperamid beispielsweise differenziert die Liste und rät, es nicht länger als drei Tage zu nehmen. 

Bei anderen Substanzen ist neu eine Dosis definiert, die ältere Menschen möglichst nicht überschreiten sollten. So gilt beim bekannten Schmerzmittel Ibuprofen laut der Priscus-Liste dreimal täglich 400 Milligramm als obere Grenze, und auch dies nur für beschränkte Zeit. Beim Schmerzmittel Naproxen sollten ältere Menschen maximal zweimal täglich 250 Milligramm einnehmen, ebenfalls zeitlich begrenzt. Von Acetylsalicylsäure (zum Beispiel Aspirin®) als Schmerzmittel – nicht aber zum Blutverdünnen – wird in der Priscus-Liste abgeraten.

Möglichst kein Zolpidem zum Schlafen

Auch viele weitere Wirkstoffe empfiehlt die Priscus-Liste möglichst gar nicht einzusetzen. Dazu zählen beispielsweise so populäre Mittel wie Gingko, das Schlafmittel Zolpidem oder Codein gegen Husten. 

Die Priscus-Liste zeigt auch mögliche Alternativen auf: Anstelle von Zolpidem zum Schlafen könnte das beispielsweise Baldrian, Melatonin oder – bei entsprechender Diagnose – das müde machende Antidepressivum Mirtazapin sein. Keine Erwähnung finden hingegen geschlechtsspezifische Unterschiede in der Priscus-Liste. Frauen genügt beispielsweise bei Herzschwäche oft eine reduzierte Medikamentendosis, verglichen mit Männern.

Insgesamt 59 Fachleute beteiligten sich am Erstellen der Priscus-Liste. Sie stützen ihre Empfehlungen so gut wie möglich auf Studien ab, wobei speziell zu Seniorinnen und Senioren leider oft nur spärlich Daten vorhanden sind – obwohl die über 60-Jährigen fast zwei Drittel der verordneten Medikamente bekommen. 

Populäre Schmerzmittel sind fast immer ungeeignet

Nebst der Priscus-Liste gibt es seit etwa 30 Jahren weitere Medikamentenlisten, so die in den USA erarbeitete «Beers»-Liste, die europäische «EU (7)-PIM Liste» und die an der deutschen Universität Heidelberg entwickelte FORTA-Liste. Auch wenn die Empfehlungen nicht überall gleich ausfallen, werden die sogenannten Benzodiazepine (Schlaf- und Beruhigungsmittel) und die populären entzündungshemmenden Schmerzmittel übereinstimmend am häufigsten als für Senioren und Seniorinnen ungeeignet erachtet.

«FORTA» ist die Abkürzung für «Fit for the Aged», also Medikamente, die für ältere Menschen geeignet sind. Was dort mit «A» bewertet wird, hat – richtig eingesetzt – eindeutig Vorteile für Senioren. «B» bedeutet: Vorteilhaft mit gewissen Einschränkungen. Mit «C» klassierte Arzneimittel gelten als fragwürdig bei Senioren. Das heisst: Möglichst weglassen oder – wenn das nicht geht – maximal zwei C-Medikamente pro Patient. In die «D»-Gruppe eingeordnete Arzneimittel sollten bei älteren Menschen vermieden werden. Doch auch bei der FORTA-Liste gilt: Nicht pauschal befolgen, denn jeder Mensch ist anders und hat andere Bedürfnisse. 

In mehreren Studien profitierten betagte Patienten im Spital, wenn ihre Medikamentenliste gemäss FORTA optimiert wurde. Sie bewältigten ihren Alltag besser, sie stürzten seltener, ihre Nieren arbeiteten besser und sie hatten weniger unerwünschte Wirkungen – obwohl sie insgesamt nicht weniger Medikamente nahmen.

Nicht-medikamentöse Methoden werden oft zu wenig berücksichtigt

Wer «sein» Medikament auf der Priscus-Liste entdeckt, spricht am besten seine Ärztin oder seinen Arzt darauf an. Es kurzerhand selbst abzusetzen ist keine gute Idee, weil sich bei diversen Medikamenten ein «Rebound»-Phänomen einstellen kann: Nach dem plötzlichen Stopp von Magensäureblockern etwa kommt es oft zur verstärkten Magenübersäuerung. Nach dem abrupten Absetzen von Schlafmitteln ist Schlaflosigkeit eine häufige Folge, es können im Extremfall sogar Entzugssymptome mit Verwirrtheit, Halluzinationen oder Krämpfen auftreten. Medikamente richtig umzustellen oder abzusetzen kann Tage bis mehrere Monate dauern, weil bei manchen Substanzen behutsam vorgegangen werden muss.

Nicht ausgeschöpft werden häufig die nicht-medikamentösen Methoden. Bei Schlafstörungen zum Beispiel ist eine kognitive Verhaltenstherapie langfristig wirksamer und auch sicherer als Medikamente. Vier bis acht Sitzungen genügen laut einem Fachartikel im «Schweizerischen Medizin Forum» in der Regel. Zu besserem Schlaf können auch mehr wohltuende, soziale Kontakte verhelfen, tägliche Entspannungsübungen (hier ist eine Auswahl), sowie viele weitere Massnahmen. Das englischsprachige «Handbuch der nicht-medikamentösen Methoden» HANDI listet wirksame, nicht-medikamentöse Methoden (gegen diverse Gesundheitsprobleme) auf.


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5 Meinungen

  • am 1.03.2023 um 12:06 Uhr
    Permalink

    Danke, Martina Frei, für die hilfreiche Zusammenstellung mit den Links. Super! Auch im Medizinbereich ist der Konsum im Vordergrund. Dazu gehört auch fehlende Selbstsorge – die Forderung nach immer mehr hat tragische Folgen.

  • am 1.03.2023 um 12:15 Uhr
    Permalink

    Interessant wäre, wenn die Medikamente, die diese fraglichen Stoffe beinhalten, genannt würden. Sonst muss ich auf die Suche, gemäss meinem Medikamenten-Beschrieb, ob mein Medikament solche fragliche Stoffe enthalten?

    • Portrait Martina Frei 2023
      am 1.03.2023 um 23:41 Uhr
      Permalink

      @ Hrn. Brauen: Das würde den Rahmen eines solchen Artikels sprengen. Allein der Wirkstoff Pantoprazol (gegen zu viel Magensäure) zum Beispiel ist in etwa 20 Medikamenten enthalten. Die Priscus-Liste umfasst aber noch 186 weitere Wirkstoffe und bei den meisten gibt es mehr als ein Markenpräparat.
      Sie könnten aber so vorgehen: Notieren sie den Wirkstoff, der auf der Packung ihres Medikaments angegeben ist. Dann öffnen sie die Priscus-Liste. Nun drücken sie auf ihrer Tastatur zugleich die Tasten «command» und den Buchstaben f. Daraufhin öffnet sich ein Fenster. Dort hinein schreiben sie den Wirkstoff oder auch nur einen Teil dieses Worts. Danach drücken sie die enter-taste. Nun werden alle Stellen in der Priscus-Liste hervorgehoben, in denen der von ihnen eingegebene Begriff auftaucht. Mit der Pfeil-Funktion können sie auf- oder abwärts suchen und so alle Stellen mit dem gesuchten Begriff finden.

      • am 2.03.2023 um 00:18 Uhr
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        Besten Dank für den Hinweis! Gruss

    • am 2.03.2023 um 10:41 Uhr
      Permalink

      Hilfreich ist vielleicht auch die Suche auf der Spezialitätenliste. Wenn Ihr Medikament von der Krankenkasse übernommen wurde, finden Sie auf der Spezialitätenliste Ihr Medikament.

      https://www.spezialitaetenliste.ch/ShowPreparations.aspx

      Dann können Sie sowohl nach Präparatname als auch nach Wirkstoff suchen.

      Ein Beispiel, wenn ich nach Präparatname Temesta suche, erscheint eine grosse Tabelle und in der Spalte Wirkstoff erscheint Lorazepamum, welches auch in der Priscus-Liste als Lorazepam erscheint.

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