Sperberauge
Russlandversteher in Berlin mit 2000 Euro bestraft
Es geht hier ausschliesslich um die Freiheit der Meinungsäusserung. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Berliner Amtsgericht den bekannten Berliner Friedensaktivisten Heiner Bücker zu einer Geldstrafe von 2000 Euro oder ersatzweise zu einer 40-tägigen Haftstrafe verurteilt. Das meldeten die Junge Welt und die Nachdenkseiten am 24., beziehungsweise 25. Januar.
Das strafbare Vergehen: Bücker hielt am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin eine 12-minütige Rede. Folgende Passagen der Rede hielt das Amtsgericht Tiergarten für Verstösse gegen das deutsche Strafgesetz:
«Mir ist unbegreiflich, dass die deutsche Politik wieder dieselben russophoben Ideologien unterstützt, auf deren Basis das Deutsche Reich 1941 willige Helfer vorfand, mit denen man eng kooperierte und gemeinsam mordete.»
«Alle anständigen Deutschen sollten vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, der Geschichte von Millionen ermordeter Juden und Abermillionen ermordeter Sowjetischer Bürger im 2. Weltkrieg jegliche Zusammenarbeit mit diesen Kräften in der Ukraine zurückweisen.»
«Nie wieder dürfen wir als Deutsche an einem Krieg gegen Russland in irgendeiner Form beteiligt sein.»
«Wir müssen offen und ehrlich versuchen, die russischen Gründe für die militärische Sonderoperation in der Ukraine zu verstehen.»
«Ich persönlich will und kann die Sichtweise in Russland und die des russischen Präsidenten Wladimir Putin sehr gut nachvollziehen.»
«Ich hege kein Misstrauen gegen Russland, denn der Verzicht auf Rache gegen Deutsche und Deutschland bestimmte seit 1945 die sowjetische und danach auch die russische Politik.»
Der Berliner Amtsrichter Tobias Pollmann bewertete diese Aussagen von Heiner Bücker nicht einfach als stossend oder als schockierend, sondern als eine Straftat nach Paragraph 140 des deutschen Strafgesetzbuches. Begründung: «Damit [mit diesen Aussagen] stimmten Sie dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine zu.» Die Rede Bückers habe das «Potential, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima in der Bevölkerung aufzuhetzen». Laut Paragraph 140 ist es verboten, «den öffentlichen Frieden zu stören», indem man öffentlich ein Kriegsverbrechen oder eine Kriegs-Aggression billigt.
Die Verurteilung ist noch nicht rechtskräftig, weil Heinrich Bücker nach eigenen Angaben Einspruch erhoben hat. Es kommt damit zu einem ordentlichen Gerichtsverfahren.
Der Strafbefehl im Wortlaut HIER.
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PS. Für alle diejenigen, welche Vergleiche nicht einfach als Whataboutism abtun: Wer in Russland öffentlich nur schon das Wort «Krieg» in den Mund nahm, wurde ungleich härter bestraft als der Friedensaktivist in Deutschland.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Selbst man gewillt ist, den Ausführungen des Richters zu folgen, so bleibt die Urteilsbegründung konkrete Beweise, die über Behauptungen, Annahmen und Allgemeinplätze hinausgehen, schuldig, warum Bü.’s Behauptungen «das Vertrauen in die Rechtssicherheit erschüttern», «das psychische Klima» «aufhetzen» (kann man ein «Klima» aufhetzen?) und der öffentliche Friede gestört würde. Außerdem wäre hier der Gleichheitsgrundsatz verletzt, da die Kriege und Kriegsverbrechen der USA und andere mit Deutschland verbündeter Staaten sehr wohl relativiert, geleugnet und gebilligt werden (dürfen). Deutschland duldet auf seinem Territorium gar US-Drohnenkontrollzentren, von denen aus völkerrechtswidrig Zivilisten getötet werden. Es wäre außerdem zu klären, welche juristische Instanz den Tatbestand eines Kriegsverbrechens nach §140 rechtsverbindlich feststellen muss – der Bundestag ist ja kein Gericht; selbst dann wäre es aber durch die Meinungsfreiheit gedeckt, ein entsprechendes Urteil anzuzweifeln.
J.F. Kennedy :
„Wir haben keine Angst davor, das amerikanische Volk mit unangenehmen Tatsachen, ausländischem Gedankengut, fremden Philosophien und kompetitiven Werten zu konfrontieren; denn eine Nation, die Angst davor hat, von ihren Bürgern Wahrheiten und Unwahrheiten in einem offenen Markt beurteilen zu lassen, ist eine Nation, die Angst vor ihren Bürgen hat.“
Kennedy ist tot.
In vielen Medien (Europa/Schweiz) sehe ich leider nur eine Richtung.
Beispiel Blick.ch (26.1.2023) titelt: Putins Ex-Diplomat Bondarew fordert Klartext: «Müssen aufhören, uns etwas vorzumachen – Europa ist im Krieg». Weiter schreibt Blick: Bondarew ruft zum Sturz von Putin auf. Alle Bewohner Europas seien durch Putin in Gefahr, der Kontinent befinde sich im Krieg. Russlands «verheerendes Waffenarsenal» bedrohe die USA. Zwischenbemerkung: Ich sehe die USAtomraketen an Russlands vulnerabler Westflanke (nahe Moskau) als Bedrohung, aber das ist mein persönlicher Irrtum, oder? Und was sonst noch darüber im Blick steht, also ich weiss nicht, stehen da den Europäern nicht die Haare zu Berge? Ist das nicht «Meinungsfreiheit» am falschen Ort?
https://www.blick.ch/ausland/putins-ex-diplomat-fordert-klartext-muessen-aufhoeren-uns-etwas-vorzumachen-europa-ist-im-krieg-id18262265.html
Die Statements von H. Bücker und T. Pollmann verursachen Ohnmachtsgefühle. Und ich denke, dass sowohl Herr Bücker, wie die AFD, ein Teil der orthodox-Linken aus ähnlichen Gründen den Staat D. ablehnen. Ich vermute, dass T. Pollmann, das Untergraben des Rechtsstaates Deutschland (dessen stellvertr. Bundestagsprä*in äußerte: «die Leoparden sind freigelassen» ) verhindern möchte. aus einer wissenscha. Arbeit(gekürzt):
Beim 38. Deutschen Juristentag 1951 wurde festgestellt: «Wenn es gelingt, im Bewußtsein des Volkes die Vorstellung über die Legitimität der Staatsgewalt zu schwächen, und ihm den Glauben an die Berechtigung der revolutionären Idee zu geben, sodaß es im Konfliktfall der Autorität des Revolutionärs folgt und dem Staat den Gehorsam aufsagt, dann ist die Revolution am Ziel». …das bisher am tatbest.mäßigen Handeln orientierte Strafrecht darauf abzustellen, politische Gesinnung zu verfolgen, indem weitgefasste Straftatsbestände für Richter gut interpretierbar sein müssen.