Kommentar

Ukraine: Die «Informationen» zur weihnächtlichen Waffenruhe

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Medien erweckten den Eindruck, Russland habe an der orthodoxen Weihnacht unvermindert weiter geschossen. Was geschah wirklich?

Präsident Selensky und Präsident Biden hatten die Feuerpause, die Putin während der orthodoxen Weihnachten einseitig ankündigte, als «zynische Falle», «scheinheilig» und «nicht glaubhaft» bezeichnet.

Was passierte nun tatsächlich am orthodoxen Heiligen Abend des 6. Januars und am Weihnachtstag des 7. Januars? Aufgrund ungenügender und fehlender Informationen können wir es nicht wissen.

Gab es ähnlich viele Angriffe mit Artilleriegeschossen, Drohnen und Raketen wie in den Tagen und Wochen zuvor? Gab es 80 Prozent so viele? 50 Prozent? 20 Prozent oder nur 5 Prozent?

Die unbefriedigende Antwort: Aufgrund der grossen Medien kann man es nicht wissen. Zu wichtigen Fragen fehlen zuverlässige Informationen: 

  • Kurz nach Beginn der angekündigten Waffenruhe meldeten einige Medien, die Ukraine habe in weiten Teilen des Landes einen Luftangriff-Alarm ausgelöst. Vielleicht gab es tatsächlich Anzeichen, dass Drohnen- und Raketenangriffe bevorstanden. Vielleicht wollte die Regierung Selensky dem Volk auch nur von Anfang an weismachen, dass die Waffenruhe von Beginn weg nur Lüge und Propaganda sei.
  • Während der 36 Stunden gab die Ukraine keine Einschläge von Raketen und Drohnen bekannt. Auch nicht, wie viele Drohnen und Raketen die ukrainische Verteidigung abgeschossen hat. In den Wochen zuvor wurden diese Zahlen stets bekanntgegeben. 
  • Im Donbass hätten die Russen auch an Weihnachten mit Artilleriefeuer angegriffen, meldete die Ukraine. Wie viele Artilleriegeschosse es waren und ob vorher die ukrainische Seite geschossen hat, wurde nicht gesagt. Die Satellitenüberwachung hätte zuverlässige Angaben liefern können, aber sie blieb geheim.
  • Die Satellitenüberwachung konnte auch feststellen, ob es bei den Russen in den 36 Stunden zu Truppenverschiebungen oder zu unüblichen Nachschubbewegungen kam. Aber die Satellitenbilder blieben geheim.

Selensky und Biden hatten ein Interesse daran, so zu informieren oder eben nicht zu informieren, dass der Eindruck entstand, ihre Prophezeiungen seien eingetroffen. Wie es wirklich war, bleibt unklar. Aufgrund der unpräzisen und fehlenden «Informationen» in den Medien ist nicht festzustellen, ob die russischen Streitkräfte die Bevölkerung an Weihnachten tatsächlich während 36 Stunden weitgehend in Ruhe gelassen haben oder nicht.

Die NZZ meinte am 7. Januar, Putins «Weihnachtsruhe» sei «primär» Rhetorik. Nach russischer Aussage habe die Armee am 6. Januar auf ukrainischen Beschuss hin reagieren müssen. Laut Kiew sei dabei ein Spital im Ort Kurachowo im Bezirk Donezk getroffen worden. Doch auch die NZZ ist sich nicht sicher, ob die Waffenruhe gebrochen wurde: «Es ist teilweise unklar, ob die gemeldeten Angriffe kurz vor oder schon während der für 12 Uhr Moskauer Zeit angeordneten Waffenruhe erfolgten. Zudem lässt sich noch nicht sagen, ob es quantitativ zu einer Verringerung der Kampfhandlungen kam.» Nur von einem «Willen» zur Deeskalation sei wenig zu spüren.

Auch die Frage, wer von einer Weihnachtsruhe profitieren könne, beurteilte NZZ-Korrespondent Ivo Mijnssen im Gegensatz zu vielen anderen differenziert: «Grundsätzlich ist zwar nichts gegen eine Waffenruhe einzuwenden. Die Soldaten beider Seiten könnten eine Feuerpause brauchen, die Kämpfe um Bachmut [Bezirk Donezk] sind enorm verlustreich, und auch ukrainische Quellen räumen ein, dass die Russen jüngst vorgerückt sind […] Eine Verstärkung der Positionen könnte beiden Kontrahenten nützen, wenn auch an unterschiedlichen Abschnitten.»

Fazit: Viele «Informationen» zur Lage über die orthodoxen Weihnachten sind wenig wert. Medien sollten auf Lücken deutlich aufmerksam machen und mit der Darstellung von Tatsachen äusserst vorsichtig sein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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9 Meinungen

  • am 9.01.2023 um 11:21 Uhr
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    Genau so ist es. Wir werden nicht so informiert, damit wir uns ein reales Bild der Geschehnisse machen können, sondern mit Skandalisierungen gefüttert die unsere Meinung beeinflussen sollen. Stellt sich nur die Frage, weshalb das Gros der berichterstattenden JournalistInnen diese Desinformation mitmacht. Sind die derart „eingebettet“ in ihre Lohnabhängigkeit?

    • am 9.01.2023 um 23:56 Uhr
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      Die Deutsche Politik hat für alles womit sie sich nicht auseinandersetzen will, unworte erschaffen unter denen die Menschen deklariert werden mit denen man sich eben nicht auseinandersetzen will, oder kann weil sie die Wahrheit sagen könnten.
      Pauschal fallen dann die Wörte wie Antisemit, Querdenker, Reichsbürger oder wie in diesem Fall einfach «Putinfreund»
      Klar deklariert erübrigt sich jedwede Diskussion weil als falsch deklariert, gegen die politische Meinung, gegen die angebliche Mehrheit, einfach unerwünscht.
      Wer will schon unerwünscht, auf dem falschen Weg gehend, Querdenkend wie Querulant oder Renitent gelten?
      Keiner der seinen Arbeitsplatz erhalten will oder gar eine Karriere plant.

  • am 9.01.2023 um 14:03 Uhr
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    Man erfährt aus lokalen Quellen genug. Es war eine einseitig erklärte weihnachtliche Waffenruhe, welche von Putin angeordnet wurde, damit die Bewohner der Ukraine feiern und z.B. in die Kirche gehen konnten. Zur Zeit der Waffenruhe gab es meines Wissen, abgesehen, von den direkt an der Front im Donbass gelegenen Gebieten, keine Drohnen, Luft oder Artillerieangriffe der Russischen Streitkräfte im gesamten von Kiew kontrollierten Teil des Landes. Im Donbass an der Front wurde aber weiter gekämpft.

  • am 9.01.2023 um 15:17 Uhr
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    Auch die Satellitenüberwachung von Russland hätte Aufschluss über Kriegsaktivitäten geben können. Warum haben sie das nicht gemacht? Denn Russland müsste ja eigentlich beweisen, dass sie den Waffenstillstand eingehalten haben. Nicht die Ukraine, die nicht in den Waffenstillstand eingewilligt hat. Haben Sie das vergessen, Herr Gasche?

    • am 10.01.2023 um 13:10 Uhr
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      Die wäre verleugnet worden, Russland kann und darf nicht was gutes tun, das würde die Lügen des Westens aufdecken.
      Also hätten es amerikanische Bilder sein müssen, aber das wäre gegen deren eigener Interessen gewesen sollte die Waffenruhe tatsächlich bestand gehabt haben.

      • am 11.01.2023 um 23:53 Uhr
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        Das einzig Gute das Russland tun kann ist, aus der Ukraine abzuhauen. Russland kann gar nicht gewinnen. Alle verlieren bei dieser Sinnlosigkeit. Was die Russen tun, sie schicken mobilisierte Zivilisten die keine Ahnung von Waffen haben nach Bachmut wo tausende Ukrainer mit MG’s verbarrikadiert sind. Zivilisten ohne Panzerung ohne Schusswesten ohne nichts werden nach Bachmut geschickt wo sie ins offene Maschinengewehr-Feuer laufen und sinnlos sterben. Wofür?? Es ist bitter für die Ukrainer und für die Russen und niemand kann gewinnen. Dieser Krieg ist noch sinnloser als der Vietnamkrieg…

    • am 10.01.2023 um 16:30 Uhr
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      Die Russen müssen niemandem beweisen, ob sie eine Waffenruhe einhalten oder nicht, besonders nicht, wenn der Gegner sie ablehnt. (Dass der ganze Angriffvölkerrechtswidrig ist, ist eine andere Frage.)
      Herr Gasche wendet sich mit seiner berechtigten Kritik vor allem an diejeinigen Medien, welche, statt präzise Informationen zu liefen, ihre diesbezüglichen Lücken mit Meinungsmache füllen. Ich bin ihm dafür sehr dankbar.

  • am 9.01.2023 um 22:38 Uhr
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    Eigentlich sollten wir alle wissen, dass alle Kriegsgegner in allen Kriegen einen Informationskrieg führen. Das ist heute so, war gestern so und wird morgen so sein. Wahrheit ist da nicht angesagt.

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