Auspuff Abgas

Bei Minus-Temperaturen stösst ein Fahrzeug in den ersten drei Minuten mehr Schadstoffe aus als auf einer 1000 Kilometer langen Fahrt mit betriebswarmem Motor. © Matt Boitor Unsplash

Die Lüge von den wirksamen Katalysatoren

Esther Diener-Morscher /  Die heutigen Katalysatoren funktionieren noch immer viel zu schlecht. Weil die Autoindustrie von laschen Vorgaben profitiert.

Marc Gonin fährt jeden Morgen mit dem Velo durch zwei Wohnquartiere zur Arbeit. Ihm fällt dabei jedes Mal auf, dass es in den Quartieren viel mehr nach Abgasen stinkt als in der Thuner Innenstadt. Nun ist Marc Gonin nicht nur Velofahrer, sondern auch Physiker und Chef der Thuner Firma Tofwerk. Diese stellt Geräte her, die Luftverschmutzungswerte messen. Deshalb ging er den Ursachen für seine Sinneseindrücke mit wissenschaftlichen Methoden auf den Grund.

Geräte messen im Sekundentakt

In einem Gastbeitrag im Velojournal zeigte er, wie es um die Luftqualität in Thun bestellt ist. Eine Besonderheit seiner Messstation ist, dass sie nicht nur Durchschnittswerte über eine Viertelstunde liefert, sondern die Luftqualität im Sekundentakt messen kann. Das Gerät zeigte einzelne, sehr hohe Schadstoffspitzen, die bis das Zwanzigfache der Durchschnittswerte betrugen. Die Luftverschmutzung sei wie Lärm neben einem Schiessstand, kurze aber unglaublich intensive Ereignisse, kommentierte Gonin die gemessenen Werte.

Er fragte sich, warum das so ist und kam zum Schluss: Die Abgasbelastung stammt weitgehend von einzelnen «Stinker»-Autos, welche kurzfristig ein Hundertfaches der Immissionen eines normalen Autos produzieren. Seine Analyse an zwei Messstellen zeigte auch: Je weniger lang die Autos bereits unterwegs waren, umso mehr schädliche Stoffe stiessen sie aus.

Gonin geht davon aus, dass die Schadstoffspitzen, die er mit seinem Gerät gemessen hat und die er mit seiner Nase jeweils morgens im Quartier auch riecht, von kalten oder von kaputten Katalysatoren herrühren. Wissenschaftliche Untersuchungen geben Marc Gonin recht.

«Nur ein heisser Kat ist ein guter Kat»: Das haben zum Beispiel Viola Papetti und Panayotis Dimopoulos Eggenschwiler von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) schon vor drei Jahren gezeigt.

In den ersten drei Minuten sind Autos unglaubliche Dreckschleudern

Bei einem Kaltstart bläst der Motor heisse Verbrennungsgase in den kalten Katalysator. Dieser muss sich aber erst aufwärmen, damit er seine chemische Reinigungswirkung entfalten kann. Solange er kalt ist, entweichen Kohlenmonoxid (CO), Stickoxide (NOx) und unverbrannte Kohlenwasserstoffe ungehindert an die Aussenluft. Die guten Emissionswerte erreichen auch moderne Fahrzeuge erst bei warmem Katalysator. Die Unterschiede sind drastisch: Bei Minus-Temperaturen stösst ein Fahrzeug in den ersten drei Minuten nach dem Kaltstart mehr Schadstoffe aus als bei einer 1000 Kilometer langen Fahrt mit betriebswarmem Motor.

Ausgerechnet die als umweltfreundlicher geltenden Hybridautos können sogar besonders viele giftige Schadstoffe absondern. Denn in der Stadt schalten sie besonders oft zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor um. Im Elektrobetrieb kühlt der Katalysator immer wieder ab. Startet der Verbrennungsmotor danach wieder, strömen Abgase teils ungereinigt durch den Katalysator.

Den Katalysator vorzuwärmen, wäre einfach

Es gäbe eine Lösung für das Kaltstartproblem, das die Luft vor allem in Städten und bei kalten Aussentemperaturen stark belastet.

Das Empa-Forschungsteam mit Pananyotis Dimopoulos Eggenschwiler hat eine wirksame Vorheizung für Katalysatoren entwickelt. Sobald die Autotür geöffnet wird, heizt Mikrowellenstrahlung den Katalysator auf. Die dazu nötige Leistung von einem Kilowatt kommt aus der Autobatterie.

Kaltstart-Emissionen könnten somit längst Geschichte sein. Doch solche Verbesserungen der Katalysator-Wirkung kosten etwas. Viele Autohersteller begnügen sich deshalb damit, den Katalysator möglich nahe am Motor zu platzieren, damit er schneller aufgewärmt wird.

Wirksamere Massnahmen sind für die gesetzlich vorgeschriebenen Abgasmessungen nicht nötig, weil die Testbedingungen derzeit noch zu wenig streng sind. Der «Kaltstart» wird bei einer Umgebungstemperatur von 23 Grad durchgeführt.

Damit die Hersteller auf Katalysatoren umstellen, die ihre Wirkung schneller entfalten, bräuchte es strengere Abgasvorschriften. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) setzt sich zwar gemäss eigenen Angaben «für strengere Kaltstart-Vorgaben ein, die den Temperaturen in unserem Land gerecht werden» – vorgesehen ist unter anderem auch ein Kaltstart bei minus 7 Grad –, doch bis solche Vorschriften kommen, dauert es noch mindestens bis 2025. Mindestens. Denn einflussreiche Organisationen, wie der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA), haben bereits Opposition gegen «die unrealistischen Extrem-Ziele» angekündet. Der Verband prophezeit «signifikante Preiserhöhungen», während die EU-Kommission abwiegelt und die Mehrkosten pro Fahrzeug auf 80 bis 180 Euro schätzt.

Die Schweiz wartet nun ab, was die EU dereinst beschliesst. Hierzulande gab es bis 1995 zwar eigene und im Vergleich mit anderen Ländern viel strengere Abgasgrenzwerte. Diese hatten denn auch zur Folge, dass sich der Katalysator in der Schweiz früher als anderswo etablierte. Seit 1995 sind die Abgasvorschriften aber vollständig mit denjenigen der EU harmonisiert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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13 Meinungen

  • am 28.12.2022 um 11:00 Uhr
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    «Denn einflussreiche Organisationen, wie der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA), haben bereits Opposition gegen «die unrealistischen Extrem-Ziele» angekündet.» Diesen Organisationen scheint die Umweltverschmutzung egal zu sein. Viele sagen zur Privatwirtschaft, die «Privaten» könnten es besser als der Staat. Stimmt eben nicht. Vieles macht der Staat besser. Nur Profit machen auf Kosten des Gemeinwohls können die Privaten besser.

  • am 28.12.2022 um 15:30 Uhr
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    Diese «Breaking News» sind ganz alter Kaffee. Alles seit Jahrzehnten bekannt. Wo bitte wird hier eine Lüge verortet? Schon dem einfachsten Blick-Leser dürfte bekannt sein, dass 1. die Konvertierungsrate eines kalten Katalysators Null ist, 2. Die Konvertierungsrate eines betriebswarmen Katalysators für die meisten Substanzen in der Grössenordnung von 98% liegt, und 3. dass daraus abzuleiten ist, dass die Schadstoffemissionen des kalten Motors ca. 50 Mal höher sind.

    • Esther Diener-Morscher
      am 28.12.2022 um 19:59 Uhr
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      Dass Katalysatoren, nicht wirken, solange sie kalt sind, ist in der Tat nicht neu. Interessant ist aber, welche Auswirkungen sich zeigen, wenn die Schadstoffe im Sekundentakt gemessen werden. Nämlich dass die Schadstoff-Spitzen in Wohnquartieren dramatisch höher sind als in Stadtzentren.

    • am 28.12.2022 um 22:37 Uhr
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      @Stefan Roth: Finde den Beitrag wertvoll, denn ich bin in Physik geschult, mehr als 50 Jahre Verbrenner und nun gegen acht Jahre Elektro-Auto gefahren, kannte aber diese Werte nicht. Insbesondere zeigt Ihre Rechnung nicht, wie lange der extreme Ausstoss dauert, was der Beitrag plastisch aussagt:
      «… in den ersten drei Minuten nach dem Kaltstart mehr Schadstoffe aus als bei einer 1000 Kilometer langen Fahrt mit betriebswarmem Motor.»

    • am 28.12.2022 um 23:07 Uhr
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      Ich kann Stefan Roth nur beipflichten. Diese Zusammenhänge hatte ich schon seit vielen Jahren im Grundlagenfach Chemie an den Mittelschulen aufgezeigt.

  • am 28.12.2022 um 20:24 Uhr
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    Hilft das weiter?
    Aus Priuswiki https://www.priuswiki.de/index.php?title=Katalysator

    Ein Katalysator benötigt eine relativ hohe Mindesttemperatur um die Abgasumwandlung vornehmen zu können. Auf diese Temperatur wird er vom heißen Abgasstrom gebracht.
    Beim Prius 2 wird er in 10 Sekunden auf seine Betriebstemperatur von 600 °C gebracht. Selbst dabei ist die Hybridtechnik hilfreich, denn das schnelle Aufwärmen geschieht durch ein fetteres Kraftstoffgemisch, eine Veränderung der Zündung und die zusätzliche Belastung des Motors durch den Generator (der dabei die Hybrid-Batterie lädt). Eine andere Möglichkeit um den Katalysator schnell auf seine Betriebstemperatur zu bringen ist die Verwendung der Sekundärlufteinblasung.
    Dadurch, dass der Motor beim Prius nach der Warmlaufphase nicht im Leerlauf läuft, kühlt der Katalysator auch nicht so schnell ab wie bei anderen Autos, so dass er über mehrere Minuten optimale Abgaswerte behält (siehe Grafik).

  • am 28.12.2022 um 20:47 Uhr
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    Habe ich alles nicht gewusst, aber jetzt eine teilweise Erklärung für das enorme Stinken moderner Fahrzeuge beim Kaltstart. Mein alter BMW E21 von 1981 stank weit nicht so. Was kann man machen?:
    1) Katalysatorvorwärmer als Produkt zur Marktreife entwickeln (gibt es vlt. eh schon).
    2) Dem mündigen Kunden für die kolportierten € 80-180 plus Einbaukosten mit den vorgetragenen positiven Argumenten zum Kauf anbieten.
    3) Bei Gemeinden und Städten lobbyieren, dass diese Geräte eingebaut werden bzw. Einbau gefördert wird (ähnlich Lastenfahrrad etc.)

  • am 28.12.2022 um 23:25 Uhr
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    Ja, die angegebenen Werte und Zahlen sind wohl etwas weit hergeholt, 3 Minuten Kaltlauf sollen mehr Schadstoffe ausstossen wie 1000 Kilometer Warmfahrt? Also 10 bis 12 Stunden oder 60.000 – 72.000 Minuten? Ich weiss auch nicht wo man eine Batterie mit einer Abgabeleistung von 1 kw für das bischen Geld welches die EU dafür aufruft, inklusive Mikrowellensender, herbekommen soll?
    Unbestreitbar machen die Fahrzeuge im Kaltlauf, gerade im Winter, ordentlich Dreck aber kann man nicht mal damit anfangen die richtigen Dreckschleudern zu verbessern als dem Bürger immer weiter den Geldbeutel aus zu rauben?
    Die Industrie selbst wäre da mal am Zuge etwas für die Umwelt zu tun, anstatt immer höher und weiter immer mehr Gewinne zu verteilen. Und wer sich ausgedacht hat die Bushaltestellen auf die Strasse zu verlagern um, hinter den Bussen mangels Überholmöglichkeiten, lange Staus mit Fahrzeugen und laufenden Motor zu provozieren, hätte besser auc mal an die Umwelt denken können….

    • am 29.12.2022 um 10:10 Uhr
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      Der Beitrag von Frau Diener Momrscher bezieht sich über den Umweg des Veojournal (https://www.velojournal.ch/blog/detail/die-katalysatorenluege) auf den Beitrag zur Berechnung des Kaltstartverhaltens von Katalysatoren im Empa Blog vom 27.2.22, Autor Rainer Klose.:

      https://www.empa.ch/de/web/s604/the-cold-start-dilemma.

      Es handelt sich hier um eine Modellrechnung von Frau Papetti und Herrn Eggenschwiler aus der Forschungsgruppe Informatik und Nachhaltigkeit (Leiter L. Hilty)
      Was fehlt ist jeglicher Bezug zu aktuellen Abgasnormen. Ferner fehlt eine Angabe, welche Schadstoffe denn in den 3 Minuten ausgestoßene werden und in welchen Fraktionen.
      Stutzig macht bei dieser Berechnung das für einen Verbrennungsmotor mögliche Mengenverhältnis.
      Und: Das Katalysatorproblem ist in der KFZ-Industrie bekannt, seit es Katalysatoren gibt. Eine elekrische Heizung ist da sicher auch schon durchgespielt worden.

  • am 29.12.2022 um 13:01 Uhr
    Permalink

    Bei Elektroautos gibt es dieses Problem nicht….
    Übrigens: Versucht es doch einfach wieder einmal mit unaufgeregter, sachlicher Information.
    Was nützt mir das Ganze? Und eine Gesamtbetrachtung des Emissionsverhaltens mit Katalysator fehlt….
    Werde mein Verbrenner-Auto noch etwa 2 Jahre fahren, und dann auf Elektro umsteigen. Da spielt jetzt die Musik.

    • am 30.12.2022 um 14:33 Uhr
      Permalink

      Sehr geehrter Herr Richner,

      genau das ist das Problem dieses Beitrags. Batteriebetriebene Fahrzeuge sind sicher umweltfreundlich, besonders wenn man eine PV Anlage hat. Hat aber nicht jeder.
      Und da beginnt die Grundsatzdiskussion. Wenn die sachlich geführt und mit Zahlen belegt wird, ist das eine prima Sache. Wenn die Zahlen „irgendwo“ her geholt sind, hier aus einem Konferenzbeitrag von 2019, bei dem es ausschließlich um die Vorstellung eines Rechenmodells für Katalysatoren geht, führen grobe Ungenauigkeiten zu unzulässigen Emotionalisierungen.
      Das fiel mir auf und deswegen auch die Bitte um konkrete Zahlen. Hier hat Herr Bonin, CEO eines Messtechnikunternehmens seine gemessenen Zahlen im Velojournal „wild“ interpretiert, und kommt zu einer Verallgemeinerung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht den Realitäten entspricht.
      Deswegen mein Beitrag.

      • am 31.12.2022 um 01:10 Uhr
        Permalink

        Sehr geehrter Herr Dudel
        Danke für Ihren Kommentar. Nun, meine Meldung war als generelles Statement gedacht. Finde die Aufmachung als «Lüge von der Wirksamkeit des Katalysators» etwas reisserisch. Schliesslich findet man relativ schnell heraus, dass ein Katalysator eine «Anspringtemperatur» hat, bei der erst eine wirksame Abgasreinigung stattfindet.
        Habe jetzt nicht weitergeforscht, wie aufwendig eine wirkungsvolle Vorheizung wäre.
        Wenn der Artikel das Ziel hat, bei den Lesern ein Bewusstsein für diese Problematik zu wecken und darauf hinzuarbeiten dass etwas zur Verbesserung der Anfangswirkung des Katalysators unternommen wird, hätte man dies auch so darstellen können

  • am 29.12.2022 um 21:05 Uhr
    Permalink

    Ich sehe oft stehende Autos, minutenlang volles Rohr Motorlaufen (riecht etwa wie eine Farbspraydose). Ist Verboten!
    1) Gesundheit:
    https://www.beobachter.ch/umwelt/benziner-russen-schlimmer-40207
    2) Schaden für Umwelt:
    Schweiz. Bundesgericht: «Das Laufenlassen des Motors eines stillstehenden Personenwagens, um diesen aufzuheizen, stellt eine vermeidbare Belästigung dar und ist deshalb unzulässig.»:
    https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?highlight_docid=atf%3A%2F%2F101-IV-324%3Ade&lang=de&zoom=&type=show_document
    3) Schaden für Motor:
    Zitat: Da der Motor im Stand deutlich länger braucht, um warm zu werden, verlängert das Warmlaufen lassen die Aufwärmzeit. Das ist für Motor besonders schädlich, erklärt der ADAC: «Durch das Laufenlassen im Stand verlängert sich nicht nur diese Warmlaufphase, sondern auch die Phase mit erhöhtem Verschleiß.»
    4) Wird offenbar fast nie bestraft:
    https://www.20min.ch/story/motor-eine-minute-laufen-gelassen-60-fr-busse-920016069574

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