Sperberauge
«Kaufen Sie jetzt endlich den Kia EV6!»
Haben es die Leser der Tamedia-Zeitungen eigentlich immer noch nicht kapiert? Dass sie einen Kia EV6 kaufen sollen. Und zwar möglichst bald!
Anders sind die Artikel im Tages-Anzeiger, in der Berner Zeitung oder in der Basler Zeitung fast nicht zu deuten. Online schrieben die Zeitungen im April letzten Jahres: «Biedermann wird Brandstifter». Ein halbes Jahr später: «Aufbruch in eine neue Ära.» Diesen April: «Korea zündet den Elektroturbo.» Und im August: «Ein E-Sportler als Imageträger.» Immer ging es um das gleiche Elektroauto – den Kia EV6. Auf Papier folgten die Artikel jeweils mit etwas Verspätung.
Die Lobhudelei
Der erste Artikel ist eine einzige Lobhudelei. Der Kia-Chef darf sagen: «Der EV6 verkörpert den neuen Kia. Er wurde erschaffen, um Menschen bei jeder Fahrt durch kühnes Design, progressive Technik, innovative Technologien und eine aufregende elektrische Leistung zu inspirieren.» Der Journalist hingegen sieht das Auto offenbar nur von weitem. Vom Hörensagen kann er schreiben: «Der EV6 soll besonders viel Platz für die Passagiere bieten.»
Die Begeisterung
Im Oktober letzten Jahres darf ein Tamedia-Journalist dann selber ans Steuer sitzen. Zunächst tut er so, als ginge es um ein Vernunftauto: «Wie selbstverständlich spricht man heute nicht mehr über Hubraum und Leistung.» Doch dann gehen die Pferde trotzdem mit ihm durch: «Mit einem maximalen Drehmoment von 605 Nm, das aus dem Stand zur Verfügung steht, schiesst der EV6 davon – die 100-km/h-Marke wird in 5,2 Sekunden erreicht.»
Die Mitfahrt
Im April dieses Jahres ist endlich auch die GT-Version da. Doch der Tamedia-Journalist darf leider nur auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Das tut seiner Begeisterung aber keinen Abbruch: «Wenn der EV6 GT loslegt, die Kraft von 585 PS über alle vier Räder auf den Asphalt der freien deutschen Autobahn hämmert, scheint er unbezwingbar.» Allerdings nur, «bis sich wieder ein Kleintransporter in den Weg stellt».
Der Prospekt
Ob vier Monate später ein anderer Tamedia-Journalist tatsächlich ans Steuer durfte, ist unklar. Sein Artikel tönt so, als hätte er irgendwo Zahlen abgeschrieben, ohne sie zu verifizieren. So hält er fest, dass der «Akku theoretisch in 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent» geladen werden könne. Er schreibt auch, dass das Auto «zumindest theoretisch mit 424 Kilometern über eine ausreichende Reichweite» verfüge. Und er schwärmt davon, dass der Kia «theoretisch eine Spitzengeschwindigkeit von 260 Kilometern pro Stunde» erreiche.
Der Journalist hätte ebenso gut den Prospekt abdrucken können. Denn da stehen genau diese technischen Daten drin. Interessant wäre gewesen, ob die technischen Daten denn auch zutreffen, ob die Reichweite also theoretisch oder tatsächlich 424 Kilometer beträgt. Zweifel sind angebracht, wie ein Test des norwegischen Autoclubs NAF zeigt (in der ausführlichen Version auf Norwegisch).
Zahlt Kia?
Die Frage stellt sich: Warum wird das gleiche Auto vier Mal vorgestellt? Sprechen die Tamedia-Journalisten nicht miteinander? Möchten sie den Verkauf des Kia EV6 ankurbeln? Immerhin schreibt einer: «Es bleibt spannend, ob Premiumkäufer auch mal den Ausflug in ein koreanisches Autohaus wagen, wenn der EV6 GT Ende des Jahres auf die Strasse darf.» Zahlt Kia womöglich sogar für die Gefälligkeitsartikel?
Tamedia schreibt auf die Frage, warum das gleiche Auto vier Mal vorgestellt werde: «Weil es sich beim Kia EV6 um das internationale ‹Auto des Jahres 2022› handelt.» Und auf die Frage, welche Gegenleistungen Tamedia von Kia erhalten habe: «Keine.» Üblich ist indessen, dass Autojournalisten die Autos an schönen Orten Probe fahren dürfen — etwa in Portugal oder in Skandinavien — und dafür natürlich eingeladen werden. Zudem sind Auto-Hersteller und -Importeure wichtige Inserenten.
Kein Einzelfall
Der Kia EV6 ist kein Einzelfall. Letztes Jahr stellten die Tamedia-Zeitungen den Hyundai Ioniq 5, der aus dem gleichen Konzern wie der Kia stammt, drei Mal innert sechs Monaten vor. Laut Tamedia, weil er alle möglichen Auszeichnungen geholt habe. Die Begründung will allerdings nicht so richtig einleuchten. Ein Buch wird ja auch nicht wieder und wieder vorgestellt, wenn es Preise einheimst.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Wer nimmt denn die Autowerbung noch ernst? Der Quatsch, der dem Leser da ins Hirn sticht, ist das Gegenteil davon, wie man Konsumenten informieren sollte. Dass Räder Kraft auf die Autobahn hämmern sollen, ist semantischer Unsinn, wie das meiste in den Texten der Autojournalisten. Werbebroschüren von Autoherstellern lesen, ist vergeudete Zeit.
Für mich grenzt das an Korruption. Ich abonniere keines dieser Zeitungen, auch nicht online, obwohl mir das Thuner Tagblatt am besten dienen würde, sondern den «Bund», der auf solche Autowerbung verzichtet, allerdings leider nicht in den Beilagen und auch nicht auf redaktionelle Werbung für Reisen und Apple-Produkte.
Wenn es wenigstens ein fortschrittliches Elektroauto wäre. Aber mit solchen solchen Fahrleistungen ausgestattet kann die Klimakatstrophe und der Blutzoll auf den Strassen natürlich nicht vermieden werden.
Da kommen zwei Aspekte zusammen: Verlage, die mit allen Mitteln Profit erwirtschaften wollen, und Journalisten Freude an gespendeten Demonstrationsfahrten haben. Alles ohne weitere Überlegungen.
Fakt ist:
– Diese Autos sind total über motorisiert: solche Beschleunigung (und Höchstgeschwindigkeit) kann man nur auf Rennstrecken einsetzen. Für den Alltags Gebrauch völlig unnütz.
– Elektroautos sollten ENERGIEARM funktionieren, so wie das 2010 mit dem Mitsubishi i-MiEV angefangen hat, mit Nachfolger BMW i3, Renault ZOE usw.
– Auch KIA wird seine (sehr guten) Autos bestens verkaufen. Weltmeister in Effizienz und Sparsamkeit sind sie aber weit weitem nicht. Zu gross, zu schwer, zu viel unnötige Leistung.
Gruss von einem Sportfahrer, der viele Jahre mit Benziner über europäische Rennstrecken gefahren ist – und jetzt seit 22 Jahren nur noch elektrisch fährt, aber mit weniger als 150PS. Mehr brauche ich nie!
«…aber mit weniger als 150PS. Mehr brauche ich nie!» Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht ironisch gemeint ist. Wenn nicht, zeigt es wie extrem sich selbst vernünftige Menschen und Ingenieure vom menschlichen oder natürlichen Mass entfernt haben. Ein stromlinienförmiges Ultraleicht-Fahrzeug für eine Person könnte mit einem PS (746 Watt) theoretisch 100 km/h fahren, ein gebrauchstaugliches 2-Personenfahrzeug wie das Twike 3 fährt laut Herstellerangeben mit 3 kW (4 PS) 85 km/h. Nutzfahrzeuge wie von ARI für 2-4 Personen schaffen 78 km/h mit 7.5 kW (10 PS) und können dabei über 500 kg transportieren. D.h. selbst die sparsameren gängigen Autos sind um einen Faktor 10-100 übermotorisiert und können diese Leistungen nur benutzen zum sehr schnell beschleunigen, zum vollbeladen steil und schnell bergauf zu fahren, und um auf leeren deutschen Autobahnen (gibt’s das?) extrem schnell zu fahren.