Ein Zinnrausch und unser Konsum zerstören ein Inselparadies
Wegen ihrer Tropenwälder und Traumstrände einst als die «Seychellen Indonesiens» gerühmt, bieten die Inseln östlich von Sumatra heute ein Bild der Verwüstung. Das zeigt eindrücklich die ZDF-Dokureihe «planet e» im Film «Zinnfieber – Wie unser Konsum eine Insel zerstört».
Die Bilder erinnern an Szenen aus apokalyptischen Filmen wie «Mad Max». Auf der fieberhaften Jagd nach zinnhaltigem Erdreich pflügen Hunderttausend Arbeiter insbesondere die Insel Bangka um, buchstäblich. Schultertief waten Männer mit Saugschläuchen durch riesige Schlammlöcher und pumpen Schlick auf abenteuerlich gezimmerte Holzplattformen, wo sie das Zinnerz auswaschen. Sie sind aus ganz Indonesien angereist, denn die Zinnförderung verschafft ihnen ein Mehrfaches dessen, was sie als gewöhnliche Arbeiter, Fischer oder Farmer verdienen könnten. Doch der Boom hat eine hässliche Kehrseite: Ausbeutung, Kinderarbeit, viele Unfälle mit Toten und schwer Verletzten, dazu die flächendeckende Zerstörung des insularen Ökosystems zu Land und in den Küstengewässern.
Google beschreibt Bangka als «Insel mit ruhigen Sandstränden, einem Leuchtturm und den Ruinen einer niederländischen Festung aus dem 19. Jh.»
Zinn steckt in Smartphones und Computern
Die globale Industrieproduktion benötigt Zinn für alles Denkbare: Es steckt in Smartphones und Computern, in Elektronikprodukten und Elektrogeräten, in der Medizinaltechnik, in Autos und in Konservendosen. Indonesien kann liefern, seine Exporte decken die Hälfte des Bedarfs der Industrieländer. Nur gerade China kann für den eigenen Bedarf selber sorgen, alle anderen Länder müssen froh sein um die üppig sprudelnde Zinnquelle in Indonesien. Das Land ist durchzogen von der weltgrössten Zinnader. Sie ist 2800 Kilometer lang und 400 Kilometer breit,erstreckt sich über Malaysia und Thailand bis hinauf nach Myanmar und China. Mehr als 9,6 Millionen Tonnen Zinn kommen aus dieser Region, über die Hälfte der weltweiten Produktion. Mehr als 70‘000 Tonnen stammen allein von der Insel Bangka.
Der Zinnabbau ist oft die einzige Erwerbsperspektive
Etwas über 1000 Minenkonzessionen gibt es in Bangka, doch Abertausende graben illegal auf eigene Faust nach Zinnerz, von keiner Behörde kontrolliert. Das Phänomen erinnert an den kalifornischen Goldrausch Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Zinnerz wird in Säcken gewogen und an Händler verkauft, die diese wiederum an Giessereien weiterverkaufen. Minenarbeiter erhalten je nach Qualität 4 bis 6 US-Dollar pro Kilo – ein Preis, der sich sehen lassen kann. Täglich können sie bis zu 10 Kilo Zinn fördern. Für eine Menge von 60 Kilo erhalten sie rund 300 Euro – ein durchschnittlicher Monatslohn in Indonesien. Nicht selten sind daher ganze Familien in die Arbeit involviert, auch viele Kinder, die dafür die Schule abbrechen.
Ob legal oder illegal, dem Staat ist’s egal
Die Zinnminen bedecken geschätzt Dreiviertel der Inselfläche, 65 Prozent der Primärwälder sind abgeholzt und verschwunden. Was geblieben ist, sind vergiftete, steintrockene Kraterlandschaften, in denen keine Pflanze mehr wächst. Das staatliche Bergbauunternehmen PT Timah hat sich zwar verpflichtet, seine ehemaligen Minen wieder aufzuforsten, doch das wird kaum umgesetzt und weder kontrolliert noch sanktioniert. Jessik Amundi, Vorsitzender der NGO «Walhi Friends of the Earth» klagt: «Die behaupten, dass ihr Sanierungsplan ein Erfolg sei. In Wirklichkeit ist die Natur in einem erbärmlichen Zustand. Die Minenindustrie ist schlicht und ergreifend gerade dabei, Bangka zu zerstören.»
Der WWF hält die Wiederaufforstung der platt gemachten Böden für schwierig. Der Zinnabbau habe zu viele chemische Substanzen freigesetzt, erklärt Rohstoffexperte Tobias Kind-Rieper: «Die Böden sind gar nicht mehr in der Lage, Bäume zu halten.»
Auch den Inselküsten droht Verödung
Die jahrelangen Bohrungen haben die Lagerstätten in den ehemaligen Wäldern weitgehend erschöpft, doch die Bergbaukonzerne und die illegalen Freibeuter schürfen mittlerweile auch unter Wasser vor den Inselküsten, wo im Meeresboden reichhaltige Zinnadern liegen. Wieder sind sowohl Konzessionierte wie Illegale am Werk, erstere mit grossen Förderschiffen, letztere auf wackeligen Flössen. Unfälle mit Verletzten und Toten sind an der Tagesordnung.
Taucher stochern im Meeresboden und saugen über Schläuche alles ab, fördern es hoch auf die Boote, auch Fische, Krebse, Muscheln, Korallen, Algen, Seegras. Auf den Flössen und Schiffen wird das Zinnerz aus der Brühe herausgewaschen. Der Rest-Schlamm landet zurück im Meer, das sich immer mehr eintrübt. Schlick erstickt die Korallen und vertreibt die Fische, an den Ufern verklebt er die Wurzeln der für die Biodiversität so wichtigen Mangrovenwälder. Die Fischbestände schrumpfen seit Jahren, immer mehr Fischer beschließen, Minenarbeiter zu werden, weil sie dabei viel mehr verdienen. Sie bauen Ihre Boote um und kreuzen in der Gruppe, um Lagerstätten grossflächiger abzusaugen.
Ohne neue Erwerbsmöglichkeiten wird der Raubbau nicht enden
Die ZDF-Filmcrew stöbert Ari Dharmansyah auf, Mitglied einer Umweltschutzorganisation. Er versucht vergeblich, erstickte Korallenriffe wieder «aufzuforsten». Das grundsätzliche Dilemma beschreibt er so: «Natürlich verstehen wir, dass die Bewohner von Bangka mit den Minen ihren Lebensunterhalt verdienen wollen, aber wir hoffen, dass die Regierung die Anzahl der genehmigten Konzessionen senken wird. Sie muss Gebiete für den Erzabbau und Gebiete für den Naturschutz einrichten und sie muss auch genug Arbeitsplätze außerhalb des Minengewerbes schaffen, denn sonst wird das niemals aufhören. Die Regierung muss sich für den Umweltschutz einsetzen. Wir haben diese Insel nicht geerbt, sondern nur geliehen, und wir müssen sie einmal an die künftigen Generationen weitergeben.»
Derselben Meinung ist Tobias Kind-Rieper vom WWF: «Eines müssen wir uns klarmachen: Der Abbau vor Ort wird für die Menschen, die dort leben, langfristig dazu führen, dass sie dort nicht mehr leben können – und das ist keine Option, für niemanden.»
Die Regierung denkt nur an die Minenfirmen
Die katastrophale Entwicklung des Zinnabbaus in Bangka hat schon vor Jahren internationales Aufsehen in Europa erregt (ARD Weltspiegel vom 26.10.2014 «Indonesien: Der Fluch der Schatzinsel»), doch Indonesien kümmert das nicht – im Gegenteil. Die Regierung hat im Mai 2020 das Gesetz für Kohle und Bergbau überarbeitet. Dieses hat die Rechte von Unternehmen in der Erschliessung neuer Zinnvorkommen sogar noch erweitert. Davor waren Erkundungen neuer Vorkommen nur in einem Umkreis von zwölf Kilometern vor der Küste erlaubt. Doch diese Begrenzung wurde aufgehoben. Griffige Schutzmassnahmen zugunsten von Bevölkerung und Natur fehlen weiterhin.
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➔ Zum ZDF-Dokumentarfllm «Zinnfieber – Wie unser Konsum eine Insel zerstört»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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