Konzerne mit Sitz in der Schweiz profitieren vom Kohle-Abbau
- 40 Prozent des weltweiten Kohlehandels erfolgen über Schweizer Unternehmen,
- 3,15 Milliarden US-Dollar haben Schweizer Banken zwischen 2016 und September 2022 dem Kohlesektor geliehen;
- die von Schweizer Unternehmen geförderte Kohle verursacht in einem Jahr fast 5,4 Milliarden Tonnen CO2 – mehr als die jährlichen Emissionen der USA.
Diese Zahlen hat Public Eye auf der Grundlage einer längeren Recherche zusammengetragen und im jüngst erschienenen Magazin publiziert. «Die Schweiz und das Comeback des Klimakillers» – so der Titel dieses Hefts, das der Rolle der Schweiz im globalen Geschäft mit der Kohle gewidmet ist. Eigentlich hat die offizielle Schweiz an der Klimakonferenz COP-26 in Glasgow von letztem Jahr die Abkehr von der Kohle beschlossen. Aber wie die Recherche von Public Eye zeigt, gehören Konzerne mit Sitz in der Schweiz nach wie vor zu den wichtigsten Treibenr der Klimakrise – auch wenn das letzte Kohlewerk hierzulande vor 75 Jahren geschlossen worden ist.
Förderung, Handel, Finanzierung
Im Fokus der Recherche von Public Eye stehen drei Kernbereiche des Kohlegeschäfts:
- die Förderung des Rohstoffs;
- dessen Handel;
- die Finanzierung der Kohleförderung.
Bei allen drei Bereichen spielt die Schweiz eine wichtige Rolle.
«Seit der Jahrtausendwende haben sich die grössten Kohleförderer der Welt in der Schweiz angesiedelt, allen voran russische Firmen. Insgesamt bauen die in der Schweiz angesiedelten Unternehmen weltweit rund 536 Millionen Tonne Kohle ab …» Dieses Jahr dürfte die weltweit geförderte Kohle die Grenze von 8 Milliarden Tonnen übersteigen; davon wird etwas mehr als eine Milliarde Tonnen international gehandelt. Aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Energieknappheit in grossen Teilen der Welt feiert die Kohle, die schon jetzt für 40 Prozent des Anstiegs der CO2-Emissionen verantwortlich ist, ein unerwartetes Comeback.
«Bis zur Verhängung der Sanktionen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 wurden 75 Prozent der 212 Millionen Tonnen russischer Kohle, die 2021 weltweit exportiert wurden, über die Schweiz gehandelt». Aufgrund dieser Sanktionen wird Kohle in diesem Jahr dreimal so teuer gehandelt wird wie im Vorjahr. Die in der Schweiz ansässigen Rohstofffirmen und Finanzinstitute haben dadurch ihre Gewinnmargen nochmals vergrössern und die «Verluste» durch diese Sanktionen mehr als wettmachen können. Das Kohlegeschäft blüht trotz oder gerade wegen der Russland-Sanktionen wie noch nie, und die Schweiz mischt tüchtig mit.
Das helvetische Dreieck
Wie kam es dazu, dass die rohstoffarme Schweiz zu einem der wichtigsten Player im Rohstoffmarkt insgesamt und dem Geschäft mit der Kohle im Besonderen geworden ist? Public Eye spricht unter Berufung auf den Kohlehändler Lars Schernikauf von «einer Kombination verschiedener Faktoren, von denen die Steuerfrage eine wichtige Komponente» sei. Dazu komme «die Nähe zu Schweizer und europäischen Banken, die Stabilität der Schweiz und ihrer Währung, eine unkomplizierte Logistik sowie eine gewisse Kultur des wirtschaftlichen und regulatorischen Laissez-faire».
Nach Public Eye gibt es in der Schweiz insgesamt 245 Unternehmen, die im Handelsregister eingetragen sind, um «Kohle zu vermarkten, die in unternehmenseigenen Minen abgebaut, auf dem Markt verkauft oder in ausserbörslichen Geschäften gehandelt wird; oder aber, um Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit Kohle oder Kohlederivaten zu erbringen». Die meisten dieser Unternehmen haben ihren Sitz in Zug, Genf oder Lugano, dem «helvetischen Dreieck» des Kohlegeschäfts.
Was den Abbau der Kohle betrifft, ist Glencore mit Sitz im zugerischen Baar einer der wichtigsten Konzerne. 1994 aus der Marc Rich + Co hervorgegangen, engagiert sich das Unternehmen ab 1998 zunehmend beim Kauf von Kohleminen. «Im Jahr 2000 ist Glencore der weltweit grösste Exporteur von Kraftwerkskohle, auf den ein Sechstel des Welthandels entfällt.» Glencore ist heute im Besitz von insgesamt 26 Kohleminen. Weil Kohle einen schlechten Ruf hat («Kohle ist nicht sexy»), bildet sie im Portfolio der Konzerne und Banken ein – allerdings sehr lukratives – Nebengeschäft.
Handel und Finanzdienstleister
«Die Finanzialisierung des Sektors und die Internationalisierung des Handels haben es der Schweiz ermöglicht, sich als Drehscheibe für Kohle zu profilieren. Zusammen mit den Kohleförderern und Financiers bilden die Händler ein Netzwerk, über das rund 40 Prozent des internationalen Handels abgewickelt wird.»
Konzerne wie Trafigura oder Vitol, die traditionell mit anderen Rohstoffen Handel getrieben haben, diversifizierten ihre Aktivitäten ab den Nuller Jahren ins Kohlegeschäft. Sogar «der Stromriese Axpo handelt zwar mit Kohle, veröffentlicht aber keine Zahlen dazu». Dabei hat sich Lugano zur Drehscheibe des Kohlehandels in der Schweiz entwickelt. Die Symbiose mit dem Stahlhandel war ausschlaggebend und ist mit dem Konzern Duferco verbunden, der aktuell im Besitz der chinesischen Hesteel Group ist. «Neben den Stahlhändlern entstand ein grosses Netzwerk von Unternehmen, die im Kohlehandel tätig sind. Sie heissen Flame, Bulk, Spark Energy Ressources, Genesis Trade oder Lyra Commodities».
Ohne die Finanzierung dieser Geschäfte durch Schweizer Banken wäre allerdings der Abbau und Handel von Kohle in diesem Ausmass gar nicht möglich. Dabei kommt den Konzernen die Nähe zum Schweizer Finanzplatz gelegen. Laut der Recherche von Public Eye haben «Schweizer Banken seit dem Pariser Abkommen von 2015 fast 3,15 Milliarden US-Dollar an die Schweizer Kohleindustrie verliehen». Dabei hat sich die offizielle Schweiz vor einem Jahr in Glasgow zum Ausstieg aus dem Kohlegeschäft verpflichtet. Besonders stossend sei dabei die Tatsache, dass neben der Credit Suisse (über 2 Milliarden) und UBS (800 Millionen) auch die Kantonalbanken das Kohlegeschäft mitfinanzieren, «deren öffentliche Eigentümerschaft doch dazu einladen würde, Kredite mit grösserer Sorgfalt zu vergeben». Die Zürcher Kantonalbank ist mit rund 340, die Waadtländer mit 92 und die Genfer Kantonalbank mit rund 50 Millionen Dollar im Kohlegeschäft engagiert.
«Die Schweiz – ein riesiger rauchender Kohleberg»
Hierzulande verdeckt der Russ von Kohle schon lange nicht mehr die Sonne, wie dies etwa Charles Dickens im 19. Jahrhundert eindrücklich geschildert hatte. Aber «allein in der Schweiz belaufen sich die indirekten Emissionen, die durch die Produktion, den Transport und die Verbrennung von Kohle durch die hier ansässigen Unternehmen verursacht werden, auf fast 5,4 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr. Damit könnte man die Schweiz in einen riesigen rauchenden Kohleberg verwandeln».
Offiziell beträgt der CO2-Ausstoss der Schweiz im Jahr 2020 43,4 Millionen Tonnen, weniger als ein Prozent dessen, was aufgrund der Tätigkeiten von Schweizer Unternehmen und Banken im Kohlegeschäft weltweit emittiert wird.
Die Recherche von Public Eye zeigt mit der Auslagerung die wahren Umweltkosten und damit dem tatsächlich rauchenden Kohleberg weltweit, der von der Schweiz aus verursacht wird.
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Kohleförderung pro Kopf ist aussagekräftiger als pro Land
Es leuchtet sofort ein, dass etwa China und Indien mit ihren je 1,4 Milliarden Einwohnern mehr Kohle fördern als Kasachstan oder andere viel kleinere Länder. Trotzdem veröffentlichte Public Eye eine Grafik pro Land, auf der China und Indien an der Spitze stehen. Weiter unten als Vergleich die Kohleförderung pro Einwohner der Länder.
Und so sieht die Kohleförderung pro Einwohner der Länder aus:
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Den Bezug zur Schweiz finde ich jetzt etwas konstruiert. Welche Zahl mir hier fehlt ist wieviel Kohle pro Kopf in einem Land verfeuert / verbraucht wird.
Australien beispielsweise ist ein Exporteur der bis nach z.B. Deutschland liefert. Kasachstan würde bei fehlender ausländischer Nachfrage sicher nicht so weit oben auf der Liste stehen.
Lieber Herr Guggisberg,
die Recherche von Public Eye ist wirklich alles andere als konstruiert. Es geht ja gerade darum, dass innerhalb der Schweiz praktisch keine Kohle abgebaut und/oder verfeuert wird, aber der ökologische Fussabdruck von Schweizer Unternehmen und Banken weltweit riesig ist. Dies nennt man «Externalisierung» von Emissionen.