Kommentar

Nach Frieden streben – den Krieg ernst nehmen

Werner van Gent* ©

Werner van Gent /  Wer Frieden will, muss die Zeichen des Krieges früh erkennen. Nur so kann das sinnlose Kämpfen und Leiden verhindert werden.

Red. – Dieser Beitrag des ehemaligen Kriegsreporters Werner van Gent erschien zuerst bei der interreligiösen Zeitung «zVisite«.

Irgendwann Anfang der 1980er-Jahre wurde ich zum Kriegsreporter. Das war zwar nie meine Traumvorstellung vom Korrespondentenjob gewesen. Als aber Kriege in «meinem» Gebiet ausbrachen – ich lebte auch damals teilweise in Griechenland –, wollte ich darüber berichten, und zwar unbedingt.

Sehr schnell musste ich dabei erfahren, wie brandgefährlich diese Arbeit und wie brutal und unkontrollierbar die militärische Gewalt ist. Die Schwerverletzten an der Front im Iran-Irak-Krieg, die Kinder, die ihr Augenlicht bei Bombenexplosionen verloren hatten, die Opfer der chemischen Kriegsführung Saddam Husseins, später die Minenopfer im Kosovo.

Kriege vorhersehen

Nun hat der Krieg in der Ukraine all diese grauenvollen Bilder und Eindrücke wieder belebt. Zugleich haben sie in mir eine Grundüberzeugung gefestigt: Kriege müssen vorhergesehen und verhindert werden. Bis zum vergangenen 24. Februar 2022 glaubte ich, dass Putin diesen Krieg gar nicht denken könne. Das war ein Irrtum, er dachte ihn offensichtlich sehr wohl und zeigte damit der Welt: Wirtschaftliche Beziehungen garantieren keinen Frieden. Dass er sich über den Kriegsverlauf geirrt haben mag, bestätigt lediglich die alte Weisheit, wonach in einem Krieg nur der erste Schuss berechnet werden könne.

Die Kernfrage, die sich uns allen stellt – auch mir als Medienschaffendem –, ist: Warum sind wir sehenden Auges in diese Katastrophe geschlittert? Was machte uns taub und blind? War es das billige Gas, war es der lange Frieden in Europa?

Leider wird die Debatte über den Krieg inzwischen weitgehend von Militärexperten dominiert – darunter übrigens nur wenige Frauen –, die den Krieg mit Tabellen über die Truppenstärken, mit Schaubildern modernster Waffensysteme und mit detailliertem Kartenmaterial verklären. Dieser Blick verdrängt die unerträglichen Bilder des Schreckens.

Schaler «Siegfrieden»

Diese auch von einigen Medien mitgetragene militärwissenschaftliche Verklärung eines längst für beide Seiten aussichtslosen Krieges führt dazu, dass wider besseres Wissen die Aussicht auf einen Sieg postuliert wird. Gemeint ist aber wohl eher ein Siegfrieden. Ein Frieden, der nur zu neuen Kriegen führen kann, die womöglich noch katastrophaler sein werden. Der Krieg in der Ukraine bestimmt längst unser tägliches Leben, vielleicht auch unser Überleben. Wir können ihn jedenfalls nicht mehr ausblenden. Und wir sind Partei geworden, ohne dass wir das wollten. Genauso ging es der Zivilbevölkerung in allen Kriegen, über die ich berichtet habe. Nur tobten jene in sicherer Entfernung zu unserem Land.

Lange galt die Friedens- und Konfliktforschung als ein Spielfeld für weltfremde Utopisten. Heute besteht hier ein enormer Nachholbedarf. Wenn wir langfristig für den Frieden etwas tun wollen, müssen wir lernen, das Undenkbare zu denken. Eben weil die Putins, Erdogans und all die anderen Potentaten dies tun. Frühe Zeichen müssen erkannt und ideologiefrei gewertet werden. Im Ukrainekrieg wurde diese Aufgabe leider nicht rechtzeitig wahrgenommen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Werner van Gent war 40 Jahre lang Auslandkorrespondent für diverse Schweizer Medien und berichtete aus Griechenland, Zypern, dem Balkan, der Türkei und dem Nahen Osten.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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2 Meinungen

  • am 14.12.2022 um 01:54 Uhr
    Permalink

    Ja, da bin ich mit Werner van Gent einverstanden. Wären die Minsker-Verträge nicht nur diskutiert und unterschrieben , sondern auch umgesetzt worden, wäre wohl kein Krieg ausgebrochen.
    Ausserdem ist heute ganz Europa in diesem Krieg involviert, man verschwendet Waffen und Geld, aber niemand schaut in den Rückspiegel : es ist möglich, dass in den nächsten Jahren ein Krieg zwischen der Türkei und Griechenland, zwischen dem Kosovo und Serbien ausbricht. Also sollte man die Konflikte bereits heute schlichten, denn ein Kriegsausbruch würde Europa völlig in die Knie zwingen!

  • am 15.12.2022 um 08:59 Uhr
    Permalink

    A propos «das Undenkbare denken» möchte ich folgenden Vorschlag machen:

    Da in der Vergangenheit produzierte Waffen immer auch eingesetzt wurden, das Zerstörungspotenzial mittlerweile die Grenzen unseres Planeten Erde sprengt und wir nüchtern feststellen müssen, dass es keine «guten» Kriege gibt – auch und mit Nachdruck keine illegalen US- oder NATO-Kriege – bleibt eigentlich nur ein vernünftiger Vorschlag:

    Ein globales Gewaltverbot und totale Abrüstung.

    In der Welt der globalen Kriegstreiber mag das vielleicht noch utopisch klingen, aber ich bin sicher, dass eine grosse Mehrheit der Menschen dafür stimmen würde, falls darüber ernsthaft abgestimmt und die Abrüstung dann auch rigoros durchgezogen würde.

    Das wäre eine Aufgabe für eine «neue» UNO.
    Stellen Sie sich vor, wieviel Gutes mit den frei werdenden Ressourcen gemacht werden könnte!

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