Spöl_Mündung

Die Mündung des Spöl in den Inn bei Zernez © cc-by-sa Wikimedia Commons, Adrian Michael

Gift im Nationalpark: Streit blockiert PCB-Sanierung

Daniela Gschweng /  Seit Jahren ist der Gebirgsfluss Spöl mit giftigen Chemikalien verseucht. Doch passiert ist bisher wenig.

PCB, kurz für polychlorierte Biphenyle, zählen zu den gefährlichen Umweltgiften. Sie sind krebserregend, beeinträchtigen wahrscheinlich die Fortpflanzung und bauen sich in der Umwelt kaum ab.

Chemie, die keiner in seiner Nähe haben will, schon gar nicht im Naturschutzgebiet.

Im Unterengadin ist aber genau das der Fall. PCB sitzt unter anderem in den Sedimenten des Gebirgsbachs Spöl. Seit 1986 sind PCB in der Schweiz, seit 2001 weltweit verboten. Vollständig zerstört werden sie nur bei über 1000 Grad. Verwendet wurden sie vor allem in elektronischen Bauteilen, Kunststoffen, Dichtungen, Farben und Lacken. Aus diesen können sie noch immer in die Umwelt gelangen.

Eine Baupanne und ihre giftigen Folgen

Genau das ist im Engadin passiert. Bei der Sanierung der Staumauer Punt da Gall am Lago di Livigno gab es 2016 eine Panne. PCB-haltiger Staub aus einer Korrosionsschutzfarbe wurde in grossen Mengen in die Umwelt geblasen. Der Spöl, der bei Zernez in den Inn fliesst, war stark betroffen.

Ob der Spöl schon vorher verschmutzt war, weiss niemand so genau. Die Staumauer wurde 1970 fertiggestellt. PCB könnte seit ihrem Bau in den Fluss gelangt sein. 2013 gab es eine Schlammlawine, bei der sich PCB «möglicherweise» in den Sedimenten abgelagert habe, schrieb die EMPA 2021 in einer Pressemitteilung mit dem Titel «Giftquelle im Idyll».

Das Bündner Amt für Natur und Umwelt gehe davon aus, dass über 80 Prozent des im Bach gefundenen PCB «bereits vorher möglicherweise durch den Betrieb abgerieben» wurde, schrieb «Der Beobachter» bereits 2018 in einer ausführlichen Reportage.

Der Verzehr von Fischen aus dem Spöl jedenfalls ist seit 2017 verboten, im gleichen Jahr wurde das Becken nach der Staumauer aufwendig saniert.

Teilsanierung des Staubeckens reicht nicht

Der Rest des Flusses ist noch immer verschmutzt und muss saniert werden. Darüber, was «Rest» heisst und wer die Kosten tragen soll, ist man sich nicht einig. Strittig ist vor allem, wie viele Kilometer des Spöl saniert werden müssen.

Die Engadiner Kraftwerke (EKW) favorisieren eine Sanierung auf den oberen 2,7 Kilometern des Flusses, bei der das verschmutzte Sediment einen halben Meter tief ausgebaggert und von PCB befreit wird. Die grössere Variante, die der Nationalpark fordert, sieht einen 5,75 Kilometer langen Abschnitt vor.

Bezahlen müssten den Schaden eigentlich die Engadiner Kraftwerke (EKW). Diese sind bereit, die Sanierung vorzufinanzieren, auf den gesamten Kosten von schätzungsweise 18 Millionen Franken (kleinere Variante) wollen sie aber nicht sitzenbleiben.

2021: Ein toter Vogel sorgt für Nachdruck

Im Dezember 2020 platzten die Verhandlungen zwischen dem Nationalpark und den Engadiner Kraftwerken. Im Februar 2021 verfügte der Kanton Graubünden, dass nur die oberen 2,75 Kilometer saniert werden sollen. Es gab mehrere Beschwerden. Beteiligt sind neben den EKW und den Verantwortlichen des Nationalparks auch die Naturschutzorganisationen Aqua Viva, Pro Natura und der WWF.

Im März 2021 reichte der Nationalrat Jon Pult eine Interpellation ein, in der er fragte, bis wann der Schaden saniert sein würde und schrieb eine Kolumne in der «Südostschweiz». Der Bundesrat verwies im Mai 2021 auf die Verantwortung des Kantons Graubünden.

Im Oktober 2021 brachte ein toter Uhu den Spöl und das PCB dann wieder ins öffentliche Bewusstsein. Das Tier, das ein Parkwächter im September 2020 neben dem Spöl gefunden hatte, war mit hohen Mengen des Gifts belastet. Seine Eingeweide enthielten mehr als tausendmal so viel PCB wie bei Wildtieren üblich (Infosperber berichtete).

2022: Alles von vorn

Fast ein Jahr später, im Juni 2022, legten die Beteiligten ein neues Vorgehen fest, berichtete das SRF-Regionaljournal. Man einigte sich auf erneute Probennahmen, um festzustellen, wie stark der Spöl noch verschmutzt ist, um weitere Massnahmen danach abzustimmen. Bis Ende Jahr werde man sich hoffentlich einig.

Die jüngsten Neuigkeiten: Im September wurde der für die Baupanne verantwortliche Bauführer einer von den EKW beauftragten Drittfirma freigesprochen. Das Gericht sah keine ausreichende Beweislast für ein Verschulden des Sanierungsunternehmens.

Passiert oder saniert ist nach wie vor nichts. Im August forderte eine Petition, mit den Sanierungsarbeiten unverzüglich zu beginnen. Simonetta Sommaruga antwortete Ende September und verweist auf die derzeit sistierte Sanierungsverfügung des Kantons. Diese sei gestoppt, solange die Beschwerdeführer ein neues Sanierungskonzept erarbeiteten. Das berichtet der Blog «Heidis Mist», der die Geschehnisse rund um den Spöl seit Jahren beobachtet.

Bis 2028 muss die Sanierung geschehen sein

Ein Ende des Hin und Hers zeichnet sich ab. Zwangsweise, muss man sagen: Bis 2028 müsste der Spöl saniert sein. Das sieht die Stockholmer Vereinbarung über persistente chemische Schadstoffe vor, die die Schweiz 2003 ratifiziert hat.

Die EMPA ist optimistisch. «Besuch lohnt – möglichst bald», schrieb sie letztes Jahr in der oben erwähnten Medienmitteilung. Während der Sanierung werde sich das Flüsschen in eine Riesenbaustelle verwandeln. Anschliessend wird es mehrere Jahre dauern, bis sich der Spöl regeneriert hat – sofern mit der Sanierung je begonnen wird.

Die PCB-Problematik betrifft übrigens nicht nur den Spöl, sondern zum Beispiel auch Gebäude aus den 1960er bis 1980er-Jahren, in denen PCB verbaut wurde. Viele von ihnen werden in den kommenden Jahren abgerissen werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Gift_Symbol

Gifte und Schadstoffe in der Umwelt

Sie machen wenig Schlagzeilen, weil keine «akute» Gefahr droht. Doch die schleichende Belastung rächt sich.

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2 Meinungen

  • am 31.10.2022 um 16:13 Uhr
    Permalink

    Ich denke, je länger man wartet, umso mehr verteilt sich das PCB in die Tiefe und Weite. Warum wartet man jahrelang? Der Spöl befindet sich hier notabene im Schweizer Nationalpark.
    Tages-Anzeiger 2.4.2013 (!): Regierungsrat Cavigelli: «Der Unfall wird keine politischen Konsequenzen haben» Nach dem Öko-Unfall April 2013 hiess es , so etwas dürfe «nie, nie wieder passieren». Stattdessen Ende 2016 der Öko-Gau.
    Werbeslogan: «Echt wild: Seit 1914 ist der Schweizerische Nationalpark im Engadin und Val Müstair das älteste und – am besten geschützte – Wildnisgebiet der Alpen», aber genau dort ist die PCB-Emission domiziliert.
    Zitat: «PCB – zwar gilt in der Schweiz seit 1986 ein Totalverbot für diese chemische Substanz»: https://www.swissinfo.ch/ger/-die-folgen-von-pcb-wurden-unterschaetzt-/8494514
    2013: https://www.derbund.ch/der-unfall-wird-keine-politischen-konsequenzen-haben-386152152131
    2017: https://www.suedostschweiz.ch/aus-dem-leben/2017-05-18/der-spoel-beschaeftigt-auch-bern

  • cropped-CHRISTOPH_MG_9177-bearb.png
    am 1.11.2022 um 23:52 Uhr
    Permalink

    Unschön, was in Graubünden passiert. Aber leider nur ein Klacks zum Fall «La Pila» in den Niederungen des Kantons Freiburg: Hier lagern noch rund jene 31 Tonnen PCB am Saaneufer, die nicht bereits in den Schiffenensee und bis in die Aare gelangt sind. Der Sanierungsbedarf ist seit 18 (!) Jahren bekannt, die Kosten wurden auf eine Viertelmilliarde veranschlagt. Weil die Freiburger Behörden die Angelegenheit vertrödelt haben, ist das meiste Kapital jener lokalen Kondensatorenfabrik, die mit Erlaubnis der Stadt Freiburg ihre Abfälle auf dieser Deponie entsorgt hat, längst verteilt, die Nachfolgefirma wehrt sich nun noch vor Gericht gegen die Übernahme eines sehr kleinen Teils der Kosten. Und der Freiburger Staatsrat will – analog zu Graubünden – nur einen Teil sanieren. Kostet halt weniger…
    Weitere Infos zum Fall «La Pila»: https://www.la-pila.ch/

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