Corona machte US-Gewerkschaften attraktiver
Gewerkschaften oder die Bestrebung, sich ihnen anzuschliessen, machen in den USA seit mehr als einem Jahr Schlagzeilen, etwa in Bezug auf bekannte Unternehmen wie Amazon und Starbucks. Das schlägt sich nun auch in Umfragen nieder.
Auf die Frage «Befürworten Sie Gewerkschaften oder lehnen Sie sie ab?» sprachen 71 Prozent der Befragten den «Labor Unions» ihre Unterstützung aus. Das letzte Mal, als die Zustimmung so hohe Werte erreichte, sei 1965 gewesen, schreibt das US-Meinungsforschungsinstitut Gallup. Umgekehrt heisst das, dass 29 Prozent der Befragten Gewerkschaften ablehnen – für die europäische Wahrnehmung ein sehr hoher Wert.
Eine Folge der Corona-Pandemie …
Das US-Magazin «Mother Jones» führt die wachsende Unterstützung für die Arbeitnehmerorganisationen im Wesentlichen auf die Corona-Pandemie zurück. 2020 fanden sich hunderttausende Arbeiterinnen und Angestellte plötzlich in der Situation wieder, «systemrelevant» zu sein.
Für fast alle bedeutete das mehr Arbeit unter schwierigeren Bedingungen: Längere Arbeitstage, zu wenig Schutzausrüstung, oft kein Krankengeld und schon gar keine Zeit, erkrankte Angehörige zu pflegen. Viele beklagten die Gleichgültigkeit ihrer Arbeitgeber (Infosperber berichtete: «Die Grenzen der Arbeitskraft»).
Angestellte von Warenhäusern, Liefer- und Gesundheitsdiensten protestierten gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Und als die Gelegenheit günstig war, gingen sie einfach.
Im vergangenen Jahr, schätzte eine Studie, kündigte ein Viertel der Arbeiter und Angestellten in den USA ihren Job. Teilweise, weil es die grosszügigen Corona- und Arbeitslosenhilfen erlaubten. Oder weil sie einfach nicht mehr konnten. Die Pandemie habe den Glauben daran, dass sich harte Arbeit auszahle, erschüttert, schreibt die Mother Jones-Autorin Arianna Coghill.
… aber nicht nur
Insgesamt sei die Entwicklung aber konsistent, sagt Gallup. Die Gewerkschaften hatten lange nur wenig Unterstützung in der US-Bevölkerung, das ist aber länger her. Der Tiefpunkt kam 2009 – da stimmten nur noch 48 Prozent der Befragten der Gewerkschafts-Frage zu. Seitdem stieg die Zustimmung kontinuierlich an. Dazu kommt die gute Lage am Arbeitsmarkt – in den USA gibt es derzeit mehr offene Stellen als Stellensuchende.
Auftrieb bekamen die Arbeitnehmerorganisationen durch die mehr oder weniger erfolgreichen Forderungen von Angestellten in Grossunternehmen wie Amazon, Apple und Starbucks. Baristas und Lagerarbeiter wollten sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen organisieren und schafften es meistens auch.
Selbst beim prekären Arbeitsmarkt der geringfügig Beschäftigen, der Gig Economy, bewegt sich etwas, vergleichbar mit der Diskussion in Europa, ob Uber-Fahrer wie Angestellte behandelt werden sollen oder nicht. Obwohl die Demokratische Partei die Gewerkschaften traditionell eher unterstützt als die Republikaner, sei die Wiederentdeckung der Arbeitnehmervertretung auch kein Trend, der entlang von Parteipräferenzen verlaufe, fand CNBC bei einer Umfrage.
Nur jeder Zehnte Arbeitnehmer ist Gewerkschaftsmitglied
Trotzdem ist nur jeder zehnte angestellte US-Einwohner Mitglied in einer Gewerkschaft. Zum Vergleich: In der Schweiz beträgt der Organisationsgrad rund 17 Prozent, in Deutschland rund 14 Prozent (beides 2019).
Die Zusammensetzung der Mitglieder nach Geschlecht, ethnischem Hintergrund und Alter ist in den USA allerdings sehr ausgeglichen. Traditionell sind eher Angestellte in öffentlichen Sektoren wie Feuerwehr, Polizei und Verwaltung organisiert. Es entstehen aber auch Gewerkschaften in neuen und «jüngeren» Branchen, zum Beispiel in Cannabisläden oder in der Digitalwirtschaft.
Nach den Gründen für ihre Mitgliedschaft befragt, antworteten die meisten Gewerkschaftsmitglieder «bessere Bezahlung und Sozialleistungen» (65 Prozent) sowie Arbeitnehmerrechte und -vertretung (57 Prozent). Auch Arbeitsplatzsicherheit (42 Prozent) und bessere Renten- und Pensionsleistungen (34 Prozent) spielen eine Rolle.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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