Klima: «Wiesen, Steppen und Savannen retten und renaturieren»
Graslandschaften bedecken ein gutes Drittel der Erdoberfläche. Gleichzeitig speichern sie etwa ein Drittel des globalen terrestrischen Kohlenstoffs. Bei optimaler Bewirtschaftung könnte das Dauergrünland einschliesslich der Trockengebiete noch viel mehr Kohlenstoffe binden.
Wieviel Kohlenstoff gespeichert wird, hängt ab von
- der Zusammensetzung den Arten des Grünlands;
- der Art der Beweidung;
- den klimatischen Bedingungen vor Ort.
Global gesehen könnte Grünland bei hoher biologischer Vielfalt, Einsaat von Leguminosen sowie verbessertem Weidemanagement einige Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr speichern, schreiben Yongfei Bai von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und Francesca Cotrufo von der Colorado State University in ihrer aktuellen Studie zur Funktion des Graslandes für den Klimaschutz.
Besonders optimal für die Speicherung von Kohlenstoff ist eine flächendeckende Bodenbedeckung mit intakter Grasnarbe. Je vielfältiger die Pflanzengesellschaften und je mehr Bodenorganismen wie Bakterien und Pilze vorhanden sind, umso besser nehmen die Böden Nährstoffe auf und desto mehr Biomasse entsteht. Allerdings verändert die Klimakrise allmählich auch die Prozesse des pflanzlichen Kohlenstoffeintrags und der mikrobiellen Stoffwechselvorgänge.
Das Beweiden macht die Böden fruchtbarer und feuchter.
Ob in den Kornkammern der Ukraine oder in der Mongolei – alle fruchtbaren Böden entstanden durch Beweiden. Weideökosysteme bilden mehr Biomasse von Pflanzenfressern als jeder andere terrestrische Lebensraum. Dass Gras nach der Mahd überhaupt nachwächst, sei die Folge einer Millionen Jahre andauernden Co-Evolution, in der sich Gräser und Weidetiere aneinander gewöhnt haben, erklärt die Veterinärmedizinerin Anita Idel, die sich bereits seit Jahrzehnten mit der Klimawirkung von Weideland beschäftigt.
Ihr zu Folge löst der Biss des Weidetieres in den Grashalm einen Wachstumsimpuls in den Wurzeln aus. Die Feinwurzeln der Gräser wiederum bildet unterirdisch mehr Biomasse aus als oberirdisch. Der meiste Kohlenstoff wird direkt in den Graswurzeln gespeichert. Oft erstrecken sich die massiven Wurzelsysteme tiefer in den Boden als die Stängel hoch über der Erde. Die dicht verworrenen oft meterlangen Wurzeln verlangsamen den Wasserabfluss und verhindern Erosion oder Überflutungen. Zudem bauen sie die Struktur der beschädigten Böden auf.
Grasland bindet mehr Kohlenstoffe als Wälder
Das Beweiden vergrössert die Wurzelmasse und somit die Kapazität, Wasser aufzunehmen und zu speichern. Der Boden kann insgesamt mehr Wasser aufnehmen und Erosion somit bremsen. Wo der Boden über Jahre durch mehrjährigen Gräser gedeckt und nachhaltig beweidet wird, lagert sich immer mehr atmosphärischer Kohlenstoff in stabileren Formen ein.
Zudem bildet sich unterirdisch Humus. Eine Tonne Humus enthält etwa eine halbe Tonne Kohlenstoff, denn der Atmosphäre werden 1,8 Tonnen Kohlendioxid entzogen. Verrotten die Feinwurzeln, so bildet sich neuer Boden. Auf diese Weise bindet Grasland mehr Kohlenstoff im Boden als etwa Wald auf derselben Fläche. Somit tragen Weidetiere nicht nur zur Speicherung von Kohlenstoff bei, sie erhöhen auch die Bodenfruchtbarkeit, erklärt die Nutztierexpertin.
Extensive Beweidung erhöht die Artenvielfalt
Manche Tierarten durchqueren ganze Kontinente, um zu jeder Jahreszeit von sattem Grün zu profitieren: Weissstörche jagen im Sommer auf europäischen Wiesen und im Winter in den afrikanischen Savannen. Bereits eine geringe Anzahl an Weidetieren erhöht die Artenvielfalt, wie Wissenschaftler herausfanden. Je grösser die Pflanzenvielfalt, desto voluminöser die Wurzelmasse, umso mehr organischer Kohlenstoff wird in den Wurzeln festgelegt und in der Biomasse gespeichert.
Besonders in Bergregionen prägen Rinder die Weide- und Wiesenlandschaften.
Früher wurden beweidete Flächen, die durch tierische Ausscheidungen gedüngt waren, in Ackerland umgebrochen. Heute werden vor allem Steilhänge, die nicht wie Äcker bewirtschaftet werden können, als Dauergrünland beweidet. Um Erosion zu vermeiden sollten steile Hanglangen sowie vernässte und trockene Böden nur vorsichtig beweidet werden.
Zu intensiv bewirtschaftete Weiden
Gewöhnlich wird das Grünland – ob durch Beweidung oder Mahd – derart intensiv bewirtschaftet, dass sich immer weniger Wurzelmasse bildet bzw. diese sogar zurückgebildet wird. Intensiv genutzte Weiden jedoch sind in punkto Bodenfruchtbarkeit zu vernachlässigen und kaum relevant für den Klimaschutz. Denn ihre Fähigkeit, Boden zu bilden und Wasser zu speichern nehmen ab, ebenso die biologische Vielfalt und Klimaschutzfunktion. Auf der anderen Seite lässt sich schlecht bewirtschaftetes Grünland relativ schnell in humusreiches, fruchtbares Land zurückverwandeln.
In vielen EU-Ländern wie in Deutschland stehen die meisten Kühe immer noch im Stall.
Es müssen wieder mehr Rinder auf die Weiden, fordern daher Wissenschaftler wie Anita Idel. Zwar kann extensive Weidehaltung den heute in Europa üblichen hohen Fleischbedarf nicht decken. Dieser müsste sich allerdings ohnehin reduzieren, will die Menschheit auf der Erde überleben.
Grasland-Ökosysteme sind bedroht
Savannen, Prärien, Wiesen- und Weidelandschaften werden weltweit übernutzt, überbaut, brandgerodet oder entwässert. Mancherorts wird mit Monokulturen aufgeforstet. Damit wird all jenen Tieren, die auf Savannen und offene Weidelandschaften angewiesen sind, der Lebensraum genommen.
Schätzungen zu Folge ist das Grasland etwa auf dem Tibet-Qinghai-Plateau durch Klimawandel und menschlichen Einfluss zu 90 Prozent degradiert. Die Pampa im Süden Brasiliens ging zu 60 Prozent verloren. Die Umwelt wird bebaut und stark verschmutzt, erklärt Peter Manning vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt. In einem internationalen Wissenschaftlerteam zeigt er in einer Studie von 2021 Ursachen für das aussterbende Grasland auf.
Auch in Europa ist Grasland erheblich degradiert. 90 Prozent der ursprünglichen Graslandschaften in gemässigten Klimaregionen wurden in landwirtschaftlich genutzte Flächen oder menschliche Siedlungsgebiete umgewandelt. In den nächsten Jahrzehnten werden 40 Prozent aller an Grasland angepassten Wirbeltierarten verloren gehen, prophezeien die Wissenschaftler. Damit sind jahrtausendalte Graslandbiome gefährdet.
Viele Arten wie Lerchen, Würger und Ammern, Schnepfen und Kiebitze bevorzugen offene Landschaften, Felder und Wiesen zum Brüten. Weil immer mehr kleinteilige Landschaften verschwinden, werden sie aus ihren Lebensräumen gedrängt. Infolge dessen gilt fast jede zweite Brutvogelart als bedroht.
Im Gegensatz zu Wäldern, die als ökologisch wertvoll wahrgenommen werden, bleibt das Sterben der Savannen mit all ihren Tier- und Pflanzengesellschaften weitgehend unbemerkt, mahnen Staver und Strömberg in ihrer Studie. Die Ökosystemleistungen des Graslandes müssen daher renaturiert, gepflegt und ausgebaut werden, fordern die Wissenschaftler.
Ohne Ackerrandstreifen können Hamster und Hase nicht überleben
Das ist leichter gesagt als getan: Weil Ackerrandstreifen und Grünland Klima und Artenvielfalt schützen, sollten laut Beschluss der EU-Kommission ab 2023 vier Prozent der landwirtschaftlichen Fläche innerhalb der EU nicht mehr bewirtschaftet werden. Inzwischen drohen Hungersnöte wegen Dürre-Katastrophen oder unterbrochenen Lieferketten. Zumindest in Deutschland soll die verpflichtende Stilllegung für 2023 ausgesetzt werden. Die Bauern sollen selbst entscheiden, ob sie ihre Flächen stilllegen wollen oder nicht, erklärte kürzlich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir.
Für Feldhamster und Feldhase sind das schlechte Nachrichten. Der Hamster bevorzugt kleingliedrige Ackerlandschaften mit tiefgründigen, gut grabbaren Böden für bis zu zwei Meter tiefen Baue. Der Hase ernährt sich von diversen Gräsern, Kräuter, Knospen und Feldfrüchten. Ihm fehlen Brachen und breite Feldränder zur Deckung und zum Bauen von Erdkuhlen. Beide sind vom Aussterben bedroht, weil eine intensivierte Landwirtschaft mit Monokulturen, Dünger und Pestizide ihre Lebensräume zerstört.
Einerseits Hunger, andererseits Klimakrise und Artenschwund: Alle diese Krisen hängen miteinander zusammen. Sie sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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