Strom und Gas sparen? Wer weniger braucht, zahlt drauf!
Die meisten grossen Elektrizitäts- und Gasunternehmen – auch solche, die mehrheitlich der öffentlichen Hand gehören – verrechnen fixe Grundtarife, gleichgültig ob ein Haushalt oder ein KMU viel oder wenig Strom oder Gas verbraucht. Das hat zur Folge, dass die Verbraucher pro Kilowattstunde Strom oder pro Kubikmeter Gas mehr zahlen müssen, wenn sie weniger verbrauchen. Das ist nichts anderes als ein Mengenrabatt. Dieser passt zu den Sparappellen wie eine Faust aufs Auge.
«Grundgebühren abschaffen und progressive Tarife einführen»: Das verlangten die grossen Konsumentenorganisationen der Schweiz (SKS, FRC, ACSI), die Schweizerische Energiestiftung (SES), Greenpeace Schweiz sowie der WWF Schweiz bereits vor vierzehn Jahren an einer gemeinsamen Medienkonferenz. Wer Strom spare, solle belohnt und nicht wie heute bestraft werden.
Haushalte verbrauchen 35 Prozent des gesamten Stroms in der Schweiz.
Die beiden Forderungen der Konsumenten- und Umweltorganisationen im Jahr 2012
- Die Elektrizitätsgesellschaften sollen alle Grundgebühren nach dem Beispiel der Stadtwerke in Zürich, Basel und Lausanne abschaffen. Grund- und Leistungskosten sowie Zählermieten sind wie die Netznutzungskosten auf den kWh-Preis zu schlagen. Besondere Verantwortung trifft hier die Kantonsvertreter in den Verwaltungsräten der grossen Elektrizitätsgesellschaften, aber auch jeden CEO einer Elektrizitätsgesellschaft.
- Sind die Grundgebühren endlich abgeschafft, soll eine zukunftsgerichtete Tarifpolitik für Haushalte und KMU finanzielle Anreize zum Stromsparen schaffen. Je weniger Kilowattstunden verbraucht werden, desto weniger soll die Kilowattstunde kosten. Progressive Tarife sollen zum Stromsparen animieren. Falls nötig, sollen die entsprechenden Gesetze und Verordnungen angepasst werden.
Wären damals die Mengenrabatte abgeschafft und progressive Strompreise eingeführt worden, wäre der Strom- (und Gas-)verbrauch in der Schweiz heute einiges geringer. Doch der Appell der Konsumenten- und Umweltorganisationen hatte nur einen beschränkten Einfluss. Zwar haben einige grosse Energielieferanten die Fixgebühren unterdessen teilweise deutlich gesenkt, aber abschaffen wollen auf Umsatz getrimmte Energiekonzerne den Mengenrabatt nicht. Von progressiven Tarifen wollen sie schon gar nichts wissen, weil dies ihren Absatz schmälern würde.
Interessenkonflikte bei den Gemeinden
Die Politik schaltete sich nicht ein. Es müsste das nationale Parlament in Bern sein, weil die Gemeinden in vielen Kantonen auf dem Stromverbrauch Gebühren kassieren: Je mehr Kilowattstunden verbraucht werden, desto höher die Einnahmen der Gemeinden – und umgekehrt. Deshalb machen Gemeinden jetzt im Chor der Energiespar-Appelle zum allgemeinen Sparen zwar mit, aber konkrete und wirksame Empfehlungen, geschweige denn Massnahmen sind selten.
Trotzdem erstaunt es heute, dass die verbleibenden Mengenrabatte tabu bleiben. Von progressiven Tarifen ist schon gar nicht die Rede, obwohl diese das marktwirtschaftlich geeignetste Mittel wären, um das Stromsparen zu fördern beziehungsweise das Verschwenden einzudämmen. Nur einzelne Aussenseiter, die kaum gehört werden, schlagen vor, den Haushalten eine lebensnotwendige Strommenge billig abzugeben und den Verbrauch darüber hinaus mit stufenweise steigenden Preisen zu versehen.
Die Strom- und Gasverkäufer rechtfertigen fixe Grundgebühren, weil damit die fixen Kosten der Strom- und Gasleitungen gedeckt werden sollen. Doch nur Monopole, von denen man wegen der Leitungsanschlüsse abhängig ist, können sich erlauben, fixe Kosten getrennt in Rechnung zu stellen. Weder die Heizöl-Lieferanten noch die Benzinverkäufer können eine Grundgebühr verlangen, obwohl auch bei ihnen fixe Kosten anfallen. Auch Coop oder die Migros können nicht bei jedem Einkauf eine Grundgebühr kassieren, obwohl auch sie die Ladeneinrichtungen amortisieren müssen. Auch eine Arztpraxis mit teuren Geräten könnte eine Grundgebühr verlangen.
Mit steigenden Verbrauchspreisen werden die Mengenrabatte meist kleiner
Es ist ein kleiner Trost, dass der Anteil der fixen Kosten beim Strom und Gas abnimmt, wenn die Verbrauchspreise wie gegenwärtig stark steigen – ausser ein Anbieter würde auch die Grundgebühren erhöhen, was nicht der Fall zu sein scheint.
Konkrete Beispiele aus dem ersten Halbjahr 2022 und dem Jahr 2021:
Ein Haushalt, der bei der BKW in den ersten sechs Monaten 2022 2000 kWh Strom brauchte, zahlte durchschnittlich 25 Rappen pro Kilowattstunde. Wenn dieser Haushalt den Verbrauch um einen Drittel senkte, musste er durchschnittlich 27 Rappen pro kWh zahlen. 29 Rappen musste dieser Haushalt zahlen, wenn er im ersten Halbjahr nur 1000 kWh bezog.
Fazit: Wer spart, wird bestraft. Wer verschwendet, wird belohnt.
Gegenüber der Berner Zeitung «Bund» erklärte die BKW am 25. August, sie mache sich «Gedanken, wie man die Kundinnen und Kunden vermehrt zum Stromsparen animieren kann». Sicher nicht mit Mengenrabatten und zu tiefen Einspeisevergütungen für selbstproduzierten Strom.
Beim Gas ist es ähnlich: Ein Haushalt im Kanton St. Gallen, der im ganzen Jahr 2021 umgerechnet 20’000 kWh Gas bezog, zahlte pro kWh durchschnittlich 9,5 Rappen. Wenn dieser Haushalt den Verbrauch um einen Drittel senkte, musste er durchschnittlich 10,5 Rappen pro kWh zahlen. 11,2 Rappen oder 18 Prozent mehr als der erste Haushalt musste ein Haushalt zahlen, der im Jahr 2021 umgerechnet nur 10’000 kWh Gas bezog.
Fazit: Wer spart, wird bestraft. Wer verschwendet, wird belohnt.
Erfolgreicher finanzieller Anreiz des Elektrizitätswerks der Stadt Bern EWB
Das stadtbernische EWB hat fixe Grundgebühren schon im Jahr 2014 abgeschafft. In den Jahren 2010 bis 2013 hatte das EWB das Stromsparen mit einem finanziellen Anreiz gefördert: Haushalte, die innerhalb eines Jahres einen Zehntel ihres Stromverbrauchs einsparten, erhielten einen Rabatt von 15 Prozent auf der Jahresrechnung, KMUs einen solchen von 10 Prozent.
Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2012 verkaufte das EWB 25 Millionen kWh weniger, was dem Verbrauch von 5500 durchschnittlichen Haushalten entsprach. Über Einsparungen während der ganzen Aktion kann das EWB wegen Ferienabwesenheiten keine Angaben machen.
Doch das EWB möchte dieses Experiment nicht wiederholen, wie es dem «Bund» erklärte. Ein nicht erwähnter möglicher Grund: Die Stadt Bern kassiert eine Gebühr von 2,65 Rappen für jede verkaufte kWh – und der Bund zusätzlich 2,3 Rappen.
Auf Anfrage nannte das EWB diesen Grund nicht, sondern als einzigen Grund, dass sich «die Rahmenbedingungen seit 2010 massiv verändert» hätten, «beispielsweise der klimapolitisch erwünschte Umstieg auf E-Mobilität».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Wir werden zukünftig Zeiten mit Strom im Überfluss haben (Sommer, mittags) und Zeiten mit knapper Produktion (Winter, kalt). Somit wird die Dringlichkeit beim Strom sparen zeitlich stark variieren. Deshalb braucht es in erster Linie zeitlich variable Strompreise, die die richtigen Anreize setzen. Der hier gemachte Vorschlag ist undifferenziert und führt zu einer reinen Umverteilung anstelle einer verursachergerechten Kostenwälzung.
Danke, da stehen mir die Haare zu Berge. Da ich viel Zuhause bin (Handycapiert) und auf Internet und Sozialmedia angewiesen bin, habe ich auf meiner Terrasse ein Solarpanel, welches mir im Schnitt pro Tag 300 Watt in den 1 kW. Speicher bringt, womit ich mein Handy, Tablet und LED Beleuchtungen laden kann. Nachttischlampe und Bürotisch werden mit am Powerspeicher aufladbaren Lipo Packs betrieben. An guten sonnigen Tagen läuft auch der Oled Fernseher mit seinem Verbrauch von 120 Watt pro Stunde vom Solarstrom. Sobald ich mir ein zweites 100 Watt Panel leisten kann, wirds auch für den Pc reichen. Die Umstellung kostete mich ca. 3000,-. Mein Beitrag zum Umweltschutz. Nun sehe ich, daß andere, die «Großen» die Energie zum Fenster raus werfen können, ja das dies noch gefördert wird. Danke Infosperber, dass ihr dies hier aufzeigt. Das muss sich ändern.
Bravo, Herr Gasche — Sie sprechen ein wesentliches, von der Politik allzu lange ausgeblendetes Instrument zur Förderung der Energiewende an. Seit langem ist es ein Ärgernis, dass Strom- und Gastarife aufgrund der übermässigen fixen Grundtarife degressiv wirken, also Anreize zum Mehrverbrauch ergeben. Diese obsoleten Tarifsysteme stammen aus Zeiten, in denen die Absatzsteigerung das wahre Ziel der Energieversorger war. Heute aber sollte für die Ausgestaltung der Tarife das Ziel der Verbrauchsreduktion leitend sein.
Wer vorwiegend Eigenstrom aus seiner Photovoltaikanlage nutzt, wird noch immer gleich doppelt bestraft: Einerseits steigt aufgrund seines drastisch gesenkten Strombezugs aus dem Netz der faktische Preis pro bezogener kWh. Und andererseits wird sein ins Netz eingespeister Strom mit einer etwa beim EKZ sehr tiefen Einspeisevergütung kaum abgegolten. Beides zusammen könnte rasch korrigiert werden, wenn der politische Wille dazu wachst, und dem Sonnenstrom mehr Schub geben.
Sie stützen Ihre Argumentation auf den relativen Preis. Absolut gesehen zahle ich als BKW-Konsument faktisch weniger, wenn wir beim erwähnten Bsp. bleiben:
2’000 kWh * 0.25 Fr./kWh=500 Fr.
1’350 kWh * 0.27 Fr./kWh= 365 Fr.
1’000 kWh * 0.29 Fr./kWh= 290 Fr.
Ihre Forderung, ein progressives Tarifsystem einzuführen, kann ich trotzdem vieles abgewinnen, aber die konkrete Umsetzung und v.a. die Umstellung ist heikel: welche Progression setze ich bei den verschiedenen Kundengruppen bei welchen Schwellen an? Wie kann das EW die Einnahmen nach der Umstellung abschätzen? Wie geht das EW mit den stromintensiveren Kunden um? Zudem ist eine so grundsätzliche Tarifumstellung mit viel Aufwand verbunden.
0 – 2.482 kWh 49,87 94,41
2483-5444 46,90 168,24
5445-100000 49,99 Cent / kwh 0,00 Euro
Jahreverbrauch Arbeitspreis Grundpreis
Aufgrund entstehender Mehrkosten durch die neuen Gasbeschaffungs- und Speicher-Umlagen können wir unsere Festpreis-Produkte bis auf Weiteres leider nicht mehr anbieten. Wir müssen die Produkte neu kalkulieren und bitten um Verständnis …
Stadtwerke Heidelberg
Ich bleibe der Auffassung, dass es Aufgabe der Regierung ist, die Grundleistungen sicherzustellen, nicht «solidarische Sparmassnahmen» — zugunsten staatlich anerkannter Kartelle — zu organisieren.
Was wir gegenwärtig erleben hat mit rationeller Wirtschaftsführung nicht mehr viel zu tun.
Höhere Energiepreise, als Indikatoren für eine bessere Ressourcenallokation sind durchaus «systemkompatibel». Diese Preise sollten aber echte soziale Kosten reflektieren.
Unsere «Neoliberalen» Politiker pervetieren das Marktsystem aber permanent, so dass das Preisgefüge seinen Wert als Marktorierntierungssystem vollständig verliert.
All das führt direkt «dans le mur» (wie man anderswo sagen würde).
Warum sind unsere politisch verantortlichen so unbedarft ?