Schulden bis ins Grab: Damit ist wohl bald Schluss
Heute ist die Schweiz eines von wenigen Ländern Europas, das noch keinen Ausweg aus der persönlichen Schuldenfalle kennt. Wer einmal hohe Schulden angehäuft hat, wird sie Zeit seines Lebens kaum mehr los. Denn der Schuldenberg wächst wegen Zinsen und Gebühren laufend. Wer anfangs nicht über genügend Mittel verfügte, um die Schuld zu tilgen, wird diese Mittel längerfristig erst recht nicht haben. Kommt dazu, dass die Schulden nicht verjähren. Durch eine weitere Betreibung können die 20 Jahre gültigen Verlustscheine (die nach erfolgloser Betreibung ausgestellt werden) um weitere 20 Jahre verlängert werden. Wird das Erbe schliesslich nicht ausgeschlagen, gehen die Schulden an die Nachkommen über.
Die viel zitierte Schuldenspirale ist auch darum problematisch, weil Betreibungen für handfeste Nachteile im Alltag von Betroffenen sorgen: So wird die Job- und Wohnungssuche massiv erschwert, was es wiederum schwieriger macht, aus der Misere herauszufinden. Auf der anderen Seite schöpfen Inkassobüros, Krankenkassen und sogar Betreibungsämter ab, was sie nur können und behalten damit den Druck ein Leben lang aufrecht.
«Zweite Chance»
Um Betroffenen einen Neustart zu ermöglichen, gibt es in den meisten anderen Ländern Europas eine sogenannte Restschuldbefreiung: Wer während einiger Jahre alles tut, um seine Schulden zu tilgen, dem werden die dann noch ausstehenden Schulden erlassen. Nun arbeitet auch die Schweizer Politik an einem solchen Verfahren, das eine Art «zweite Chance» für Betroffene darstellt. Nachdem das Parlament ihn dazu beauftragte, hat der Bundesrat einen entsprechenden Vorschlag ausgearbeitet, der sich zurzeit in der Vernehmlassung befindet. Konkret soll all jenen, die sich frei dafür entscheiden, während vier Jahren der Lohn auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum gepfändet werden. Danach verfallen die verbliebenen Schulden. Voraussetzung ist, dass sich die Betroffenen während des Verfahrens nicht neu verschulden und dass sie sich um Einkommen bemühen. Ausserdem gilt, um Missbrauch zu vermeiden, nach abgeschlossenem Verfahren eine Sperrfrist von 15 Jahren, ehe eine weitere Schuldensanierung möglich wird.
Zwar gibt es heute andere Wege der Schuldensanierung – etwa den Privatkonkurs. Dieser setzt allerdings voraus, dass den Gläubigern etwas angeboten werden kann – dass also zumindest ein Minimum an Einkommen oder Vermögen verfügbar ist. Denn beim Privatkonkurs handelt es sich um ein einvernehmliches Verfahren, das eine Art Deal mit den Gläubigern voraussetzt: ein Teil der Schuld wird zurückgezahlt, der Rest wird erlassen.
Das neue Verfahren hat also die Ärmsten im Blick, für die eine Schuldensanierung nicht möglich ist. Experten sehen im neuen Verfahren auch einen wichtigen Schritt in der Armutsbekämpfung. Denn Armut und Schulden hängen eng zusammen, wie verschiedene Untersuchungen zeigen. «Das Verfahren ermöglicht einen Neustart und gibt Betroffenen eine Perspektive», freut sich Pascal Pfister, Geschäftsführer des Dachverbands der Schweizer Schuldenberatungen.
Gesund werden durch Schuldenerlass
Mit dem neuen Schuldenerlass erhoffen sich Schuldenberatungen wie auch der Bundesrat, dass eine Art positive Spirale in Gang gesetzt wird. Erwiesen ist nämlich, dass Schulden die Gesundheit negativ beeinflussen. Beispielsweise leidet jeder vierte Verschuldete an Symptomen einer schweren Depression. In der Gesamtbevölkerung sind es zwei von hundert. Weil sie wieder gesund werden, so die Hoffnung, werden sie die Chance nutzen und sich nicht erneut verschulden. Ganz gebannt ist diese Gefahr wohlweislich nicht, da viele Menschen mit tiefen Einkommen in prekären Verhältnissen verbleiben.
Die Revision des Gesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG), welche der Bundesrat nun angegangen ist, soll nicht nur für die Schwächsten Vorteile bringen. Der Bundesrat erwartet auch positive Effekte für die Allgemeinheit, das heisst für Volkswirtschaft und Gesellschaft. «Die Möglichkeit, dereinst wieder schuldenfrei leben zu können, bietet einen Anreiz, sich rasch wirtschaftlich zu erholen und verhindert ein Abrutschen oder Verharren in der Sozialhilfe», schreibt er. Geht es auf wie geplant, profitiert auch die Volkswirtschaft: Indem den Menschen ein Neustart ermöglicht wird, konsumieren diese wieder und zahlen Steuern, beanspruchen weniger Sozialhilfe und verursachen ausserdem weniger Gesundheitskosten.
Ausnahme Sozialhilfe: Anreize zur Integration bleiben tief
Doch nicht alle Betroffenen können sich gleichermassen über den Vorschlag des Bundesrats freuen. Denn der Gesetzesentwurf sieht einige Ausnahmen vor. Eine sticht heraus: Nicht getilgt werden sollen nach erfolgreich absolviertem Verfahren verbleibende Schulden bei der Sozialhilfe. Denn wer Sozialhilfe bezieht, muss diesen Betrag zurückzahlen, sobald er die Mittel dafür findet. Das heisst: Am neuen Verfahren würden Sozialhilfebeziehende zwar teil nehmen können. Ihre Schulden bei der Sozialhilfe wären sie damit aber nicht los. Der Anreiz, sich von der Sozialhilfe zu lösen und wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, bliebe gering, kritisiert die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Sie fordert darum im Rahmen der Vernehmlassung genauso wie andere Organisationen, dass auch die Schulden durch Bezug von Sozialhilfe in die Restschuldbefreiung einbezogen werden. Die Vernehmlassung dauert noch bis Ende September. Am Ende wird das Parlament über die Ausgestaltung des Verfahrens entscheiden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Wer schreibt die Schuld ab? Der Gläubiger oder der Staat?
Wenn es den Gläubiger trifft, dürften Kredite teurer werden und z.T. ganz wegfallen.
Wenn es der staat ist, könnte ja die Rechnung aufgehen…
Als weltweites Unikum hat die Schweiz, ein Eigenmietwert und eine Rückzahlungspflicht bei rechtmässig «gewährter» und bezogener Sozialhilfe. Wie von der SKOF seit jeher gefordert endgültig abschaffen. Ein bedingungsloser Rechtsanspruch ohne Rechtsbeugung durch «Gewährer» erstellen und den Menschen ermöglichen aus dem verwalteten Elend und Dauerschulden rauszukommen.
Am Verwalten des Elends wird Geld verdient, daher besteht bei den «Gewährern» kein Interesse an einer Änderung der Dauerklientschaft, Entschuldung und Problemlösung.
Anstelle der Sozialhilfe sollte ein steuerfreies existenzsicherndes Zweckgebundenes Grundeinkommen für ALLE ausgerichtet werden, welches über Dienstleistungen, Güter, Mehrwertsteuern, Lenkungsabgaben und Abgaben an der Quelle bei jedem Franken Einkommen (Löhne, Honorare, Gewinne, Dividenden und realisierte Kapitalerträge) erfolgen.
Durch dieses Grundeinkommen sinke auch AN Löhne und Arbeitskraft ist international wieder Wettbewerbsfähig.