Recycling vor Abriss – Rückbau mal anders
370 Teile sind schon weg. Vom Veloständer über Türen bis zu Vorhängen und Lampen sind von der alten Stadtbücherei in Augsburg aber noch Einrichtungsgegenstände zu haben – auf der Online-Plattform «Concular» finden sich akribisch aufgelistet alle Bauteile des Gebäudes, die sich noch verwerten lassen.
Bevor das Gebäude aus den 1950er-Jahren abgerissen wird und einem Neubau weicht, sollen möglichst viele Teile wiederverwertet werden. Studierende der Hochschule Augsburg durchkämmten das Gebäude wochenlang mit Metermass und Kamera, um die Teile zu katalogisieren.
Studierende haben einen Katalog erstellt, der von Fliesen bis Treppengeländer alle noch verwertbaren Bauteile enthält
In Zusammenarbeit mit «Concular» und dem Bauamt Augsburg werden so nicht nur Baumaterialien eingespart und Einnahmen generiert. Der «Rausverkauf» soll auch einen Beitrag zur CO2-Ersparnis am Bau leisten.
Der Bausektor sei schliesslich für «fast 40 Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen verantwortlich», erklärt die Architektin Mikala Holme Samsøe, die als Professorin der Augsburger Hochschule mit ihren Studierenden das Projekt «Architektur im Kreis» durchführt. Beteiligt ist auch der Freistaat Bayern, dem das Gebäude gehört. Das Start-Up Concular bekommt für seine Dienste eine Maklergebühr, das ist Teil des Geschäftsmodells.
Es geht um tausende Gebäude
Nicht für alle Teile ist ein Weiterverkauf realistisch. Ob jemand für einen beschädigten Badspiegel noch acht Euro bezahlen mag? Waschbecken und Türen finden aber unter Umständen noch Abnehmer. Vorzugsweise aus der näheren Umgebung, denn die Transportwege machen einen guten Teil des Energieverbrauchs und der Umweltbelastung aus.
Das Augsburger Pilotprojekt läuft seit Herbst 2021. Bayern will damit testen, ob sich eine solche Abverkaufs-Aktion rechnet. Das Potenzial im öffentlichen Sektor wäre gross, Bayern besitzt tausende Gebäude, von denen ein Teil demnächst abgerissen wird.
Gebrauchte Bauteile wiederzuverwerten, ist in der Bauwirtschaft nicht unüblich, ein Projekt in einem grossen öffentlichen Rahmen wie in Augsburg gab es bisher noch nicht. Die Bibliothek ist ein grosses Gebäude und in der Bevölkerung bekannt, erstrebenswert wäre eine solche Katalogisierung aber überall.
«Wir müssen aufhören, zu verschwenden.»
Kathrin Fändrich, Bauamt Augsburg
«Energie, die gar nicht erst produziert werden muss, ist die beste Energieeinsparung», sagt Kathrin Fändrich vom Staatlichen Bauamt Augsburg, die «Architektur im Kreis» mit initiiert hat. «Wir müssen aufhören zu verschwenden.» Über den Erfolg der Aktion ist sie selbst überrascht. Dass kurz vor Ende der Aktion 70 Prozent der gelisteten Teile verkauft werden würden, hatte sie nicht erwartet, sagt die Architektin auf Nachfrage von «Infosperber».
«Die ganze Sache war schon ein Wagnis», gibt sie zu, «im öffentlichen Dienst darf ich ja keine Miesen machen». Am Ende werde Augsburg wohl mit einer schwarzen Null abschliessen. Neben den Erlösen für das Inventar habe man vor allem am Müll gespart – für Teile, die nun weiterverwendet werden, fällt keine Deponiegebühr an. Der Umweltnutzen kommt dazu.
Anschauungsunterricht für die nächste Generation
Besonders gut findet Fändrich, dass Recycling am Bau und zirkuläres Bauen so auch Eingang in die Ausbildung zukünftiger Architektinnen und Architekten gefunden haben. Holme Samsøes Studierende üben im Projekt zum Beispiel, in ihren Entwürfen möglichst viele gebrauchte Bauteile zu integrieren.
Praktisch hapert es beim zirkulären Bauen am ehesten an Netzwerken und Logistik, auch in der Schweiz. «Bisher geht es um Einzelprojekte oder Ausschreibungen», sagt Lukas Gruntz vom Online-Magazin «Architektur Basel», der selbst an Reuse-Projekten beteiligt ist.
Gruntz steht dabei auf dem Basler Dreispitz-Gelände vor einem Pavillon aus gebrauchten Materialien, der als temporäres Bauwerk auf ein ungenutztes Gleisbett gebaut wurde. Ziel der Veranstaltungsreihe, auf der er spricht: «Reflecting on Reuse», Ideenfindung und Erfahrungsaustausch zum Recycling am Bau.
Es fehlt an Netzwerken und Logistik
Der Architekt erklärt, wo die Schwierigkeiten liegen: «Wenn irgendwo Fenster ausgebaut werden, müssen sie in einer Woche abgeholt werden, am besten gleich. Im besten Fall werden sie dann sofort eingebaut, sonst müssen sie gelagert werden.» Dafür braucht es Netzwerke, die schnell reagieren können, Transport- und Lagermöglichkeiten. Die aber gibt es nicht oder sie sind teuer.
Der Impact Hub Basel ein paar Strassen weiter hat damit schon Erfahrungen gemacht. Dort ist ein ganzes Gebäude mit gebrauchten Materialien eingerichtet. Boden und Einrichtung wie Schreibtische bestehen grösstenteils aus dem Boden einer aufgegebenen Tanzschule. Der Transport der Bodenplatten aus dem wenige hundert Meter entfernten Gebäude schluckte einen grossen Teil des Budgets.
Vieles, was sich in Gebäuden aus den 1950er- und 1960er-Jahren findet, die jetzt zum Abriss anstehen, lässt sich gar nicht wiederverwerten, weil es aus Verbundmaterialien besteht. Wie in Augsburg bleibt aber einiges, bei dem es geht. Wie viel das in den nächsten Jahren sein wird, weiss niemand so genau.
Eine Inventarisierung, wie sie das Start-Up «Concular» für grössere Gebäude durchführt, gibt es in der Schweiz bisher nicht, Gruntz jedenfalls kennt kein analoges Projekt, sagt er auf Nachfrage. «Aber toll, wenn das klappt in Augsburg», findet er.
Bis zum zirkulären Bauen ist es ein weiter Weg
Ebenfalls auf dem Basler Dreispitz steht die Bauteilbörse, ein Non-Profit-Projekt, in dem es von der WC-Schüssel bis zur Kühltheke alles gibt, was woanders ausgebaut wurde. Von dort stammen die Materialien für den Pavillon. Das zumindest ist ein Ansatz.
An anderen Details müssen noch viele Beteiligte arbeiten. Wiederverwertung am Bau erfordert Arbeitskraft und Flexibilität, auch das ist teuer in einem Hochpreisland wie der Schweiz. Es gibt womöglich Ärger mit dem Installateur oder anderen Handwerkern, weil es verschiedene Masse und Normen gibt und der Um- oder Neubau an jeder Ecke anders gestaltet ist.
«Es braucht einen sehr offenen Bauherren, der das auf sich nimmt. Das gibt es vergleichsweise selten», sagt Gruntz. Dazu kämen Anforderungen wie Gewährleistung, Haftung und Brandschutz, die den Architekten Kopfzerbrechen bereiten. Ziel und für die Planenden günstiger ist es in jedem Fall, von Anfang an darauf zu achten, dass möglichst viele Teile wiederverwendet werden können.
Kathrin Fändrich vom Bauamt Augsburg wird ihr Projekt im Herbst im Umweltausschuss des Landes Bayern vorstellen. Nach dem unerwarteten Erfolg sieht sie gute Chancen, dass Projekte wie in Augsburg in Zukunft öfter durchgeführt werden. «Aber das entscheide natürlich nicht ich», sagt sie. Genutzt habe es bereits den nächsten Generationen: «Studierende haben zum Beispiel gelernt, was das heisst: einen Teppichboden zu verkleben, der sich nie wieder vernünftig entfernen lässt», sagt sie zufrieden. «Die machen das nie wieder falsch.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
In Winterthur gibt es den Bauteilladen und schweizweit, seit Jahrzehnten, verschiedene ähnliche Projekte, die auch vernetzt sind. Lagerraum ist, nach meinem Kenntnisstand das grosse Problem, nebst dem Bewusstsein und dem Willen der Planer, Projekte mit bereits bestehenden, z.B. Fenster und Türmassen zu planen. Dazu noch die Bauherrschaften die nicht in eine bereits benutzte Keramik machen möchten oder zu fein sind, die benutzte Zahnpaste in ein occasion Lavabo zu speien.