Kommentar

Energiepolitik: Putin sei Dank

Rainer Stadler © zvg

Rainer Stadler /  Der Kreml-Chef ist ein gefährlicher Despot. Doch energiepolitisch könnte er unbeabsichtigt zu einem Retter werden.

Klar, der Herr in Moskau ist ein Aggressor und ein Freund der europäischen Faschisten. Man muss ihn deswegen in die Schranken weisen. Putins Krieg gegen die Ukraine ist fürchterlich. Doch Geopolitik ist hier nicht das Thema. Sondern die Energiefrage. Der russische Angriff treibt auch unser Versorgungssystem in die Krise, einerseits wegen der westlichen Boykottmassnahmen, anderseits wegen der mehr oder weniger kaschierten Drohung des Kremls, den Gashahn zuzudrehen. Seither herrscht in Europa latente Panik, was die Schlagzeilen der Medien und die Äusserungen von Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft manifest machen. Müssen wir im kommenden Winter – wie unsere Urahnen – mit Zipfelmütze ins Bett, weil mangels Gases laufend die Stromversorgung zusammenbricht?

Falls die Energiezufuhr aus dem Osten versiegt, wären die Auswirkungen dramatisch. Die Risiken für die Konjunktur, die Industrie, die Arbeitsplätze, den gewohnten Wohlstand und die allgemeine Versorgung mit Gütern – auch auf Grund von negativen Kettenreaktionen – kann man unmöglich unterschätzen. Vom Schreibtisch aus und in der derzeitigen Sommerhitze mögen entsprechende Szenarien noch reichlich abstrakt wirken. Und der Vorwurf der Abgehobenheit wird schnell im Raum stehen, wenn man nun folgende Frage stellt: Hat die drohende Energiekrise nicht auch ihr Gutes?

Wer vertraut den internationalen Klima-Vereinbarungen?

Seit Jahren treffen sich die Staatschefs, um Vereinbarungen zur Reduktion des CO2-Ausstosses zu treffen. Dass diese Pläne nur annähernd umgesetzt würden, mag höchstens die Hoffnung von Gutgläubigen sein. Zu einfach lassen sich die klimatischen Folgen unseres Energiekonsums zerreden. Zu leicht kann man sich mit relativierenden Einwänden herausreden, weil der letzte und nicht mehr zu widerlegende Beweis noch fehlt. Zu schwach ist der politische und gesellschaftliche Wille, ein Problem zu bekämpfen, das bloss während ein paar heissen Sommertagen als wirklich dringlich wahrgenommen wird.

Auch der gutgemeinte Versuch, mit verstärkter Klimaberichterstattung einen Gesinnungswechsel zu erzielen, wird nichts fruchten. Die sogenannten Earth Overshoot Days, die auf den übermässigen Energiekonsum aufmerksam machen sollen und hierzulande im Frühling mittlerweile zum Nachrichtenritual gehören, sind so schnell vergessen, wie sie deklariert wurden. Bloss wenige sind bereit, ohne Not ihre Gewohnheiten zu ändern und sich zu fragen, ob ein bisschen weniger nicht mehr wäre. Wer solches sagt, den kann man mit dem Argument, hier rede ja bloss ein Gesättigter, leicht zum Schweigen bringen.

Die altbürgerliche Tugend des sparsamen Lebens hat in den Boomjahren einen schlechten Ruf bekommen. Es ist paradox: Ausgerechnet die Skeptiker, die sich dem konservativen Lager zuordnen, verspotten die asketische Moral der Retter des Weltklimas. Entsprechend wächst der Energiekonsum – trotz dem technischen Fortschritt, der die Energieeffizienz stark verbesserte. Der monatliche Wochenendflug nach London und der Erwerb eines fettleibigen Autos scheinen zum Menschenrecht zu gehören.

Not schafft Chancen

Schaut man sich im Alltag um, kommt man unweigerlich zum Schluss: Es gäbe zahlreiche Möglichkeiten, den Energiekonsum zu drosseln, ohne dass deswegen unser Komfort wesentlich leiden müsste. Wir verschleudern die Ressourcen, weil wir uns das leisten können: sei es im Verkehr, bei den Lebensmitteln oder den Kleidungsstücken, die höchstens eine Saison lang im Gebrauch sind. Eine politische Diskussion, was zulässig sein soll, hat ihre Tücken und birgt die Gefahr diktatorischer Eingriffe. Wenn jedoch die Energie knapp beziehungsweise sehr teuer wird, können wir dem unangenehmen Thema nicht mehr ausweichen. Erst in einer unmittelbar drohenden Not ist man bereit, harte Fragen zu stellen; erst dann wird der Raum frei für Ideen, auf die man vorher nicht gekommen wäre. Das ist schmerzhaft, schafft aber – um es so banal wie fundamental zu sagen – Chancen. Wenn die Umstellung gelungen ist, wird es uns nachher besser gehen – auch den folgenden Generationen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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6 Meinungen

  • am 29.07.2022 um 14:22 Uhr
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    Guten Freitag!
    Wer andere in den Sumpf der Menschheitsgeschichte treibt, sollte sich nicht beklagen, wenn er dabei selbst mit Schlamm vollgespritzt wird.
    Vielleicht sind die Menschen durch den Energie-Luxus nur zu sehr verwöhnt. Und das Debakel hilft uns auch, zur Energie-Normalität zurückzukehre. Haben wir denn nicht längst begriffen, dass das Streben nach Luxus und das Leben in Saus und Braus für uns Menschen schädlich und krank machend sind!? (Das gilt nicht nur in Sachen Energie!)
    Wohltemperierte Grüße aus Braunschweig
    Kurt Wolfgang Ringel

  • am 30.07.2022 um 09:43 Uhr
    Permalink

    Das Speichern ist die Schwachstelle

    Die Politiker haben das Problem der Energie voll erkannt. Deshalb produzieren diese Leute pausenlos heiße Luft. Aber es gibt bisher kein geeignetes Speichermedium dafür. Die geeignete Batterie ist noch nicht erfunden.

    Energiereiche Grüße

    Kurt Wolfgang Ringel

    • am 9.08.2022 um 12:46 Uhr
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      Einerseits ja, aber andererseits auch nicht mehr ganz richtig. Wasserspeicher (Staudämme) und Gewichtspeicher haben einen geringen Verlust. (Dabei werden wie bei den alten Uhren grosse Gewichte mit Strom angehoben, und wenn man diese wieder zur Erde runtergehen lässt, geben sie die Energie über Generatoren ab ) Beide haben weder eine Selbstentladung wie Batterien und beide können weder brennen noch explodieren wie z.B. Wasserstoff. Beide sind Co2 Neutral im Betrieb. Doch wo der Wille fehlt, kommt nichts zustande.

  • am 9.08.2022 um 11:30 Uhr
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    Leider deutet gar nichts darauf hin, dass dieser Krieg ein Tor zu mehr Nachhaltigkeit ist: Im Gegenteil: Gesetze zur Flusswasser-Kühlhaltung werden ausgesetzt, Atom- und Gaskraftwerke gelten plötzlich als nachhaltig und dürfen in «grüne» Kapitalfonds aufgenommen werden. Eine solche Politik wird (in Deutschland und anderswo) von geschichtsvergessenen Linken und Grünen umgesetzt. Wer sollte denn da den Umbau der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit politisch durchsetzen?

  • am 9.08.2022 um 19:39 Uhr
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    «Not schafft Chancen . . . Energiekonsum zu drosseln, ohne dass deswegen unser Komfort wesentlich leiden müsste»
    Ob der Ukraine-Krieg jetzt die notwendige Wende beim (Energie-)Verschwenden bringt? Der Kapitalismus lässt keinen Raum für die Frage, wieviel «Comfort» ist vernünftig. Es geht immer um ein Maximum an Konsum und ein Minimum an staatlich-vernünftigen Eingriffen. Die «unsichtbare Hand» ist dem maximalem Egoismus und der «Selbstverwirklichung» unterstellt.
    Die Selbstbeherrschung des Menschen ist kein Thema.
    Die «Kipppunkte» (point of no return) liegen weit hinter uns. Krieg um Ressourcen wird zum Hauptthema.

  • am 10.08.2022 um 12:29 Uhr
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    Ich zitiere Oscar Wilde:
    Was uns als schwere Prüfung erscheint, erweist sich oft als Segen

    Dazu muss ich noch erwähnen, das es «andersherum» auch möglich ist.

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