TA 10.11.82 Bäume Fremdkörper

Aufschlagsseite der Stadt-Zürich-Seite des Tages-Anzeigers vom 10.11.1982 mit grüner statt blauer Titelfarbe. © Tamedia

Hitzestau in Städten– Zürich wollte kein Grün und fällte Bäume

Erich Schmid /  Wer wissen will, weshalb es an Grün mangelt und Zürich unter Hitzestau leidet, muss den grünen Tages-Anzeiger vom 10.11.1982 lesen.

Es war das erste und das letzte Mal gewesen, dass der Tages-Anzeiger vor 40 Jahren grün erschienen war. Zürich wollte damals keine Bäume. Heute klagt die Stadt über Hitzestau in Häusern und Strassen. In exponierten Wohnungen, unter den Dächern oder an baumlosen Strassen und Plätzen erreichen die Temperaturen Höchstwerte, die vor allem die Gesundheit von älteren Personen gefährden. 

In der Ausgabe vom 25. Juli lässt der Tages-Anzeiger den ehemaligen Leiter des Garten- und Landwirtschaftsamtes der Stadt Zürich von 1978 bis 2000, Peter Stünzi, in einem längeren Interview behaupten, man habe «schon in den Achtzigern Mittel zur Kühlung vorgeschlagen wie viel Grün und freie Gewässerräume. Nur hat das damals niemanden wirklich interessiert.»

Das kann man als Geschichtsfälschung bewerten. Die historischen Fakten sprechen eine andere Sprache, wie der oben abgebildete Artikel vom 10. November 1982 im Tages-Anzeiger zeigt. Peter Stünzi, der nun so tut, als habe er längst gewusst, was an Hitzeproblemen auf Zürich zukommt, und der damals auch das Richtige vorgeschlagen haben will, war am 31. Oktober 1982 schon vier Jahre im Amt, als das ihm nächststehende Stadtforstamt der Stadt Zürich Bäume fällte und dies in einem offenen «Brief an die Bevölkerung der Zürcher Altstadt» wie folgt begründete: 

«Das praktisch baumlose Stadtbild des 16. Jahrhunderts soll nach Möglichkeit wiederhergestellt werden» 

– mit einem P.S., das aus einer Satiresendung von Mike Müller stammen könnte: «Selbstverständlich sind ordentliche Geranien, die allenfalls als Naturersatz dienen können, auf den Fenstersimsen in der Zeit vom 1. März bis 31. Oktober erlaubt.» 

Der Tages-Anzeiger reagierte am 10. November 1982 mit der Aufschlagseite des zweiten Bundes und färbte den Titelkopf und eine Glosse grün ein. Die einmalige grüne Einfärbung der Zeitungsseite, sonst züriblau, war eine symbolische Zeichensetzung vor der Zeit, die noch möglich war, weil sich das Zeitungsunternehmen damals diese Qualitäten noch leisten konnte. 

Natur und Stadt schliessen sich aus

1982, als das Stadtforstamt noch Bäume fällte und nach dem Willen des damaligen Vorstehers des Hochbauamts, Stadtrat Hugo Farner (FDP), die Meinung herrschte, dass «sich Natur und Stadt im Bereich von Strassen und Plätzen ausschliessen», beriefen sich die Verantwortlichen für die Stadtentwicklung auf ein Grundsatzpapier der Städtischen Kommission für Denkmalpflege, die aus drei Mitgliedern des Präsidiums bestand: Hugo Farner (Präsident, FDP), Thomas Wagner  (Vize, FDP), Rudolf Aeschbacher («Schwellenruedi», 2. Vize, EVP). Dazu kamen zehn ordentliche Mitglieder, darunter ein ETH-Professor, sowie drei Berater, darunter ein Uni-Professor. 

Das Grundsatzpapier dieser Kommission stützte sich auf den historischen Murerplan von 1576 und den Müllerplan von 1788, in denen keine Bäume eingezeichnet sind (ausser im Park auf dem Lindenhof). Naturgemäss umrissen diese Pläne nur das Gebiet der Altstadt, da Zürichs Industrialisierung und die Eingemeindung umliegender Siedlungen und Dörfer noch nicht eingesetzt hatte. Dennoch wandte man die Anti-Bäume-Doktrin von 1982 im ganzen Stadtgebiet an: «Natur und Stadt schliessen sich aus».

Es ist also nicht ganz so, wie es Peter Stünzi im Tages-Anzeiger-Interview vom 25. Juli 2022 wahrhaben will, dass man schon damals wusste, dass die Stadthitze zum Problemfall wird. Oder wenn er es tatsächlich gewusst hätte, dann hätte der Tages-Anzeiger ihn fragen müssen, weshalb er denn 1982 als Leiter des Gartenbauamts schwieg, als dieselbe Zeitung die Problematik der Anti-Grün-Doktrin gross und grün aufgemacht hatte. 

Städtischer Hitzestau auch heute nicht ernst genommen

Tatsächlich wusste man damals noch nichts vom künftigen Hitzestau oder wollte ihn nicht wahrhaben, und das gilt bis heute. Zumindest im jüngsten, zeitgenössisch prominentesten Paradefall der Stadt Zürich hatte man die Gefahr eines künftigen Hitzestaus verdrängt. Die Rede ist vom Prunkbau eines britischen Nostalgie-Architekten, der am Heimplatz, wo es weder viele Bäume noch Schatten gibt, eine riesige Bettflasche hingestellt hat, die das Environment aufheizt mit unbegrünten Fassaden, welche Temperaturen bis 60 Grad Celsius erreichen können (begrünt maximal 30 Grad). Die Rede ist vom Londoner David Chipperfield, geprägt vom dortigen «lovely weather for ducks», der offensichtlich nicht auf der Höhe der Zeit war und auch nicht über seine Nasenspitze hinaussah. 

Aber wirklich verantwortlich für die Hitze-Schandtat des Kunsthaus-Neubaus war die Nachfolgegeneration der gleichen Verantwortlichen, die schon 1982 am Ruder war und nichts dazugelernt hatte. Sie wollte aus bekannten Gründen den Neubau mit einem grossen Architektennamen auf Biegen und Brechen politisch durchdrücken, um die Bührle-Sammlung als Magnet für Touristinnen und Touristen zu deponieren, die mit ihren Anflügen und -fahrten weitere Hitze generieren. Es fällt auf, dass die rotgrüne Zürcher Stadtregierung, welche den antigrünen Neubau am Heimplatz bewilligt hatte, seit der Planungszeit ihre eigenen Prinzipien verleugnete, mit denen sie Wahlen gewann. – Ob und wie sich das künftig auszahlt? Das Beispiel Kunsthaus-Erweiterung am Heimplatz zeigt in vieler Hinsicht (nicht nur beim Bührle-Inhalt) exemplarisch, wie wichtig es wäre, die Vergangenheit zu kennen, um in der Gegenwart das Richtige zu tun. Das gleiche gilt auch für den Tages-Anzeiger. 


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Zum vollständigen Artikel im Tages-Anzeiger vom 10. November 1982: HIER.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Erich Schmid hatte den Artikel im Tages-Anzeiger vom 10. November 1982 geschrieben und nach Redaktionsschluss den grünen Farbkübel selbst in die Hand genommen, bis der Tages-Anzeiger im zweiten Bund grün aus der Druckmaschine kam. Heute, 40 Jahre später, lebt und arbeitet er als Filmemacher im Wohn- und Atelierhaus von Max Bill in Zumikon, wo er in den Nullerjahren massgeblich daran beteiligt war, dass man die Ölheizung durch Solarpanels und Erdwärme ersetzte. Als privates Verkehrsmittel benützt er ein mit Sonnenenergie betriebenes Elektrofahrzeug. Die Beleuchtung im Kühlschrank ist LED, Velo fährt er nur noch auf dem Hometrainer und liest dazu dicke Bücher (bis jetzt noch auf Papier).
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3 Meinungen

  • am 27.07.2022 um 12:02 Uhr
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    Ich denke, «dass man schon damals (1982) wusste, dass die Stadthitze zum Problemfall» werden kann. Ich erinnere mich an den Sommer 1947, als in der Stadt Zürich beim Barfusslaufen der flüssige Asphalt zwischen den Zehen hervorquoll. Und extrem trocken war der Sommer 1947 auch.

  • am 27.07.2022 um 12:22 Uhr
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    Danke für den Artikel. Eine (traurige) Tatsache, welche mir auch schon länger auffällt. In Luzern-Süd/Mattenhof werden munter Hochhäuser gebaut und die umliegende Fläche wird, mit Ausnahme einiger Eichen in Kiesbetten, mehr oder weniger komplett versiegelt. Unseren Politiker:innen scheint das Geld noch immer wichtiger zu sein als langfristiger Umweltschutz. Unsere Enkel:innen werden uns danken.

  • am 27.07.2022 um 16:44 Uhr
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    Heute sind die Gemeinde-Verwaltungen zwar sensibler und pflegen zahlreiche Bäume, jedoch werden trotzdem viele gefällt, wegen Bauprojekten oder aus angeblichen Sicherheitsgründen. Das Problem ist, dass die Pflege von Bäumen viel Geld kostet, besonders von wertvollen grossen oder alten Bäumen. Der externe Nutzen von solchen Bäumen ist für die Lebensqualität der Bevölkerung (z.B. Minderung von Hitzestau) und für die Biodiversität zwar grösser als die unmittelbaren finanziellen Kosten, aber es ist ein anderes «Konto». Es wäre die Aufgabe der Politik die Rahmen zu zu stecken, damit die externen Nutzen und Kosten aufgerehnet würden, aber meistens sind die Bau- und Wirtschaftlobbies stärker: überall werden Wohnungen, Gewerbegebäude, Strassen und Schienen gebaut und die dafür nötigen Ortsplanungen demokratisch abgesegnet. Selbst in «rot-grünen» Orten.

    So lange nicht mal «rot-grün» dem Wachstumszwang des Kapitals etwas entgegensetzt, verschwinden immer mehr Stadt- und Siedlungsbäume.

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