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Die deutschen Regionalbahnen wurden mit dem 9-Euro-Ticket rege genutzt, besonders an Wochenenden. © Claudia Peters/Pixabay

9-Euro-Ticket verringerte Staus in Deutschland

Daniela Gschweng /  Erste Stichproben zeigen weniger Stau in deutschen Städten – besonders deutlich fiel der Vergleich in Hamburg und Wiesbaden aus.

Der Stau in deutschen Städten ist merklich zurückgegangen, seit das 9-Euro-Ticket gilt. Das zeigen erste Stichproben des Verkehrsdatenspezialisten Tomtom und des statistischen Bundesamts.

Tomtom, der dafür eine Juniwoche mit einer Woche im Mai verglich, fand in 23 von 26 untersuchten Städten weniger Staus. Je nach Stadt fiel der Unterschied grösser oder kleiner aus. Der Verkehrsdatenspezialist verglich dafür im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur (dpa) das Stauniveau im Berufsverkehr an den Werktagen der Kalenderwoche 25 (20-26. Juni) mit der Woche 20 (16-22. Mai).

In den ersten Tagen nach der Einführung des günstigen Tickets habe sich noch wenig getan, sagte Ralf-Peter Schäfer von Tomtom laut der «Süddeutschen Zeitung», danach habe sich ein positiver Effekt auf den Verkehrsfluss gezeigt. Pendler hätten im Juni beim Pendeln in fast allen Städten weniger Zeit verloren als im Mai.

Das 9-Euro-Ticket brachte deutlich mehr Fahrgäste in die Bahn

Die Daten «lassen vermuten, dass dieser Rückgang in Zusammenhang mit der Einführung des 9-Euro-Tickets steht», sagt der Verkehrsexperte. Am meisten profitierten Hamburg und Wiesbaden. In Hamburg verloren Pendler auf einer Strecke, für die sie bei wenig Verkehr 30 Minuten brauchen würden, im Schnitt 4,2 Minuten weniger, in Wiesbaden sparten sie 3,9 Minuten.

Die Deutsche Bahn (DB) gibt an, dass im Juni 2022 etwa 10 bis 15 Prozent mehr Fahrgäste im Regionalverkehr unterwegs waren als in letzten Monaten 2019. Besonders auf touristisch interessanten Strecken seien Busse und Bahnen voll bis überfüllt gewesen.

Andere Analysen von Anfang Juni sprechen von bis zu 25 Prozent Fahrgastzuwachs, am Pfingstwochenende noch mehr. So voll, dass Fahrgäste aussteigen mussten, seien die Bahnen– trotz Horrormeldungen in den Medien – aber nur bei einer von tausend Fahrten geworden.

Im Juni verkaufte die DB 21 Millionen 9-Euro-Tickets, dazu gibt es etwa zehn Millionen Abonnentinnen und Abonnenten von Zeitfahrkarten, die das Abo für drei Monate vergünstigt bekommen. Für Juli erwartet der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen einen ähnlichen Absatz.

Auch Mobilfunkdaten zeigen deutliche Zunahme von Bahnreisen

Das statistische Bundesamt, das sich auf anonymisierte Mobilfunkdaten stützt, stellte eine deutliche Zunahme von Bahnreisen im Bereich von 30 bis 300 Kilometern fest. Bei kürzeren Strecken ist eine zuverlässige Analyse von Mobilfunkdaten nicht möglich. Gleichzeitig gab es auf längeren Distanzen weniger Wochenendverkehr auf den Strassen.

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Bei der Auswertung von Mobilfunkdaten zeigt sich ein deutlicher Anstieg bei der Nutzung des Schienenverkehrs ab Anfang Juni 2022.

Im Schnitt gab es im Juni 42 Prozent mehr Bewegung auf der Schiene als im Juni 2019, bezogen auf Reisen von mehr als 30 Kilometern. Die Anzahl der Reisen nahm im Juni 2022 gegenüber Juni 2019 um 56 Prozent zu.

Besonders an Wochenende fuhren mehr Menschen Bahn

An Wochenenden waren im Vergleich zum April 2022 um bis zu 83 Prozent mehr Menschen mit dem ÖV unterwegs. Im Vergleich zum Juni 2019 unternahmen fast ein Drittel weniger Personen (31 Prozent) einen Inlandsflug.

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Besonders an Wochenenden waren im Vergleich zu 2019 mehr Menschen auf der Schiene unterwegs.

Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing pries das 9-Euro-Ticket bereits als «fulminanten Erfolg». Einen Grund dafür sieht Wissing in der Vereinfachung des Reisens, weil komplizierte Tarifzonen wegfallen. Ohne Tarifzonen könne der Nahverkehr stärker genutzt werden.

Bevor er den deutschen Tarifregelungen zu Leibe rückt, will der Minister aber detaillierte Analysen abwarten. Falls er das tut, bohrt er dicke Bretter. Deutschlands Tarifgeflecht besteht aus Dutzenden Tarifverbünden, in denen öffentliche und private Bus-, Bahn-, und Tramanbieter organisiert sind. Auf Dauer finanzieren liesse sich das 9-Euro-Ticket kaum, das würde laut Wissing im etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr kosten.

9-Euro-Ticket

Um die Bevölkerung von der Inflation zu entlasten, hat Deutschland für alle Verkehrsteilnehmer Anfang Juni das 9-Euro-Ticket eingeführt. Mit dem 9-Euro-Ticket kann jeder von Juni bis August dreimal einen Monat lang kostenlos Busse, Strassenbahnen, U-Bahnen, S-Bahnen und Züge des Nah- und Regionalverkehrs nutzen. Im Fernverkehr der Deutschen Bahn mit ICE, Intercity und Eurocity gilt das 9-Euro-Ticket nicht. (siehe auch Infosperber «Das 9-Euro-Ticket gibt es auch in der Schweiz».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Bahn_Tre

Öffentlicher Verkehr

Der Stellenwert, den Bahn, Busse oder Trams haben sollen. Der Nutzen, die Kosten, die Preise.

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3 Meinungen

  • am 17.07.2022 um 11:58 Uhr
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    Gewinner sind also die Pendler, die beim Auto geblieben sind. Verlierer sind die Bahnfahrer, die mit teilweise katastrophalen Verhältnissen zu kämpfen haben.

    • alex_nov_2014_1_3_SW(1)
      am 17.07.2022 um 12:21 Uhr
      Permalink

      Wenn man Umweltbelange beiseitelässt, kommt das auf die finanziellen Verhältnisse des Pendlers an. Der durchschnittliche deutsche Pendler hat einen Weg von 17 Kilometern (BBSR 2019). Wieviel Treibstoff bekommt man für neun Euro und wie weit kommt man damit?

  • am 17.07.2022 um 21:07 Uhr
    Permalink

    Die besondere Pikanterie des 9-Euro-Tickets ist, dass die verfügbare Passagierkapazität nicht erhöht wurde. Es drängten also auf einmal Unmassen von Menschen in die ohnehin schon oft prekär betriebenen Strecken der DB. Das 9-Euro-Ticket war eine politische, über Nacht geborene Maßnahme, die weder von langer Hand und mit entsprechend weitsichtiger Planung vorbereitet, noch Teil eines langfristigen und solide finanzierten Umweltschutzkonzepts ist. Es ist blanker Populismus, um einer flügellahmen Regierung, die weder auf die Energie- noch auf die Umweltkrise Antworten hat, kurzfristige Erfolge zu verschaffen. Einziger Lichtblick war das unerwartete, für die Einwohner enervierende Auftreten von betrunkenen Punks auf Sylt. Die waren mit dem dortigen Bierangebot nicht zufrieden und bestellten schnell bei amazon.

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