Oregon: Das schärfste Hitzeschutzgesetz der USA
Seit dem 15. Juni 2022 gelten ausgerechnet in einem der nördlichen Bundesstaaten der USA die strengsten Regelungen für Menschen, die draussen arbeiten. Künftig müssen Arbeitgeber in Oregon ab einer Temperatur von 27 Grad (80 Grad Fahrenheit) kühles Wasser und Schattenplätze bereitstellen und zusätzliche Pausen gewähren. Arbeiter und Arbeiterinnen müssen geschult werden, wie sie Hitzeschäden vermeiden können und was im Notfall zu tun ist.
Das Hitzeschutzgesetz war jahrelang in Vorbereitung, den Ausschlag gab schliesslich der Tod eines Landarbeiters im Juni 2021. Arbeitskollegen fanden den 38-jährigen Sebastian Francisco Perez kollabiert zwischen den Bäumen einer Grossgärtnerei, wo er bei Temperaturen um 40 Grad Bewässerungsleitungen verlegt hatte. Bis die Ambulanz eintraf, hatte er aufgehört zu atmen.
Die Gärtnerei, für die Perez zu dieser Zeit arbeitete, hatte ihm keine Informationen zur Verfügung gestellt, wie er sich vor Hitze schützen konnte, stellten Ermittler des Amtes für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz später fest.
Perez war nicht das einzige Opfer der Hitzewelle im Juni 2021, die bis nach Kanada für hohe Temperaturen sorgte. Allein in Oregon starben mehr als 100 Menschen wegen Hitze; ein Bauarbeiter und ein Arbeiter in einem Walmart-Warenhaus kamen ebenfalls bei der Arbeit ums Leben. Es war auch nicht der erste aufsehenerregende Fall: 2011 wurde ein Landarbeiter, der bei der Maisernte im US-Bundesstaat Illinois kollabiert war, erst nach 50 Tagen gefunden.
Betrieb sieht sich nicht in der Verantwortung
Die Agentur Brother Farm Labour Contractor, bei der Perez angestellt war, bezahlte 2100 Dollar Strafe und stellte nach eigenen Angaben ihre Arbeitsprozesse um. Die Gärtnerei Ernst Nursery&Farms, wo Perez an jenem Junitag arbeitete, war bereits bei früheren Kontrollen verwarnt worden, weil sie Arbeitern keine Toiletten und kein Wasser zur Verfügung gestellt hatte.
Gegenüber der Arbeitsschutzbehörde OSHA verteidigte sich Ernst Nursery&Farms, Arbeiter seien «selbst verantwortlich dafür, wie weit sie ihren Körper belasten». Der Betrieb wurde mit einer Strafe von 4200 Dollar belegt und legte dagegen Widerspruch ein.
Oregon ist erst der dritte US-Staat, der Hitzeschutzgesetze einführt, berichtet das Non-Profit «The Fern» in Zusammenarbeit mit dem US-Magazin «Mother Jones». Bisher haben neben Oregon nur Kalifornien und Washington Hitzeschutzgesetze. In Minnesota gibt es ein Gesetz, das nur für Arbeiten in Innenräumen gilt.
Hitzewellen werden häufiger und länger
Landarbeiter, Menschen auf Baustellen oder auch Feuerwehrleute sind während einer Hitzewelle bisher grösstenteils vom guten Willen ihrer Arbeitgeber abhängig. Wie lange das Hitzeschutzgesetz in Oregon gültig bleiben wird, ist offen. Eine Gruppe aus mehr als 1000 lokalen Unternehmen hat dagegen geklagt.
Statistisch gesehen haben Landarbeiter in den USA ein 35-fach höheres Risiko, einen hitzebedingten Tod zu sterben als der Durchschnittseinwohner. Rund 21 Tage pro Saison gelten nach einer Studie von 2020 in den USA bereits als gefährlich für Arbeiten draussen, die meisten in Kalifornien und Florida. Bis 2100 werden es dreimal so viele sein. In besonders betroffenen Staaten wie Texas wird es nach Projektionen der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) vier- bis fünfmal so viele Hitzetage geben.
Die Struktur des US-Arbeitsmarktes ist kaum geeignet, die Gefahr zu verringern. Auch noch so ambitionierte Gesetze werden viele in der Landwirtschaft Arbeitende nicht erreichen, weil sie Sans-Papiers sind wie Perez. Wer durch ein Arbeitsvisum an den Arbeitgeber gebunden ist, hat ebenfalls kaum Möglichkeiten, sich zu wehren.
Arbeitgeber ist auch nicht immer der Betrieb, in dem Landarbeitende gerade tätig sind, sondern eine Agentur, die Arbeitskräfte verleiht. Viele Betroffene sprechen kein Englisch und haben keinen Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung, bezahlt werden sie dazu oft leistungsabhängig nach Pfund, Eimern oder Bündeln.
Die Klimakrise legt Lücken in anderen Bereichen offen
«Da kommen alle Lücken zusammen», sagt Roxana Chicas, Krankenschwester und Professorin an der Nell Hodgson Woodruff School of Nursing der Emory University zu «The Fern». Es gehe nicht nur um Massnahmen zur Klimakrise, es fehle auch beim Arbeitnehmerschutz, bei den Einwanderungsgesetzen und bei der Öffentlichen Gesundheit.
22 Landarbeiter in den USA seien während der letzten fünf Jahre an Hitze gestorben, führt «The Fern» nach Daten der OSHA auf. Die Register seien aber unvollständig, schreibt das Magazin und führt Beispiele auf, die andere Medien dokumentiert haben.
Nationale Gesetzgebung lässt auf sich warten
Betroffen sind nicht nur Landarbeiter, sondern zum Beispiel auch Teile der städtischen Bevölkerung, die in schlecht isolierten Wohnungen leben. In Portland werden als Folge der tödlichen Hitzewelle nun kostenlos Ventilatoren verteilt, berichtet der «Portland Mercury». Im Oktober 2021 kündigte die US-Regierung an, nationale Gesetze vorzubereiten. Die Umsetzung könnte sieben bis zwölf Jahre dauern. Zu lange für die jetzt schon häufigeren und längeren Hitzewellen.
Ärzte, die in betroffenen Gegenden arbeiten, berichteten «The Fern» von Arbeitern, die desorientiert sind und sich übergeben – Signale eines Körpers, der unter starkem Hitzestress steht. Notfallmediziner und Pflegende behandeln Betroffene dann mit Eispackungen und gekühlten Infusionen, damit ihre Organe nicht ausfallen. Etwas anschaulicher ausgedrückt: «Wir versuchen sie abzukühlen, bevor sie zu Tode kochen», sagt die Pflegerin Morgan Raines, die Hitzeopfer in Oregon und Florida behandelt hat.
Hitze schadet langfristig, auch wenn sie nicht tötet
Auch wenn Hitze nicht wie bei Perez zum Tod führt, kann sie den Körper schädigen. Arbeiter klagen nicht nur über Folgen wie häufige Muskelkrämpfe. Eine Studie, die die Nierenwerte von Landarbeitern gemessen hat, fand diese bei heissem Wetter so hoch wie sonst nur bei Nierenverletzungen.
Migrantische Landarbeiter leiden weit früher an chronischen Nierenkrankheiten als durchschnittliche US-Bürger, schon mit 30 oder 40 Jahren bräuchten sie Dialysen, berichten Fachleute wie Raines. Genau untersucht wurde der Zusammenhang bisher noch nicht. Schwangere sind ebenfalls stärker gefährdet. Früh- und Totgeburten werden durch Hitzestress häufiger.
Die Arbeitgebervereinigung der Agrarindustrie ist derweil der Meinung, dass es zusätzliche Regulierung nicht braucht, weil sich die Arbeitgeber bereits kümmern. OSHA hat angekündigt, Arbeitsplätze zu kontrollieren, wenn ein Arbeiter wegen hitzebedingter Beschwerden in einem Spital behandelt wurde.
WhatsApp-Gruppen und bunte Kleidung statt Regulierung
«Besser als nichts», sagt Juley Fulcher, verantwortlich für Gesundheit und Sicherheit von Arbeitnehmern bei der Konsumentenorganisation Public Citizen. Für effiziente Kontrollen fehlten aber Geld und Personal, sagen mehrere Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und auch die Behörde selbst.
In Kalifornien ist die Zahl der Hitzetoten in der Landwirtschaft gesunken, seit dort Hitzeschutzgesetze gelten. In anderen Staaten warnen Nichtregierungsorganisationen via WhatsApp vor Hitzewellen und führen Hitzetrainings durch. Dabei lernen Arbeiter und Arbeiterinnen zum Beispiel, nur zu zweit zu arbeiten und bunte Farben zu tragen, damit sie leichter gefunden werden können. Andere Mittel haben sie derzeit nicht.
Hitzeschutzgesetze in der Schweiz
In der Schweiz gibt es für Arbeiten in der Landwirtschaft lediglich Empfehlungen des SECO, was bei Hitze zu tun ist. Nur vor zu starker UV-Strahlung schützt das Gesetz. Schwangere dürfen bei mehr als 28 Grad nicht mehr arbeiten, wenn sie sich unwohl fühlen. Welche Vorschriften es sonst noch gibt, hat «Watson» hier zusammengetragen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Hitze mindert erheblich die Arbeitskraft, das ist seit den ersten Hochkulturen vor 5000 Jahren bekannt. Es ist also im Interesse der AGs, ihren ANs einen möglichst kühlen Arbeitsplatz zu bereiten. Sie arbeiten dann besser und schaffen wesentlich mehr.