Burrata Saldo 11 22

«Saldo» deckt auf: Gleicher Lieferant, andere Preise bei Coop, Migros und Spar © Saldo

Ob «Sélection» oder «Fine Food»: Hersteller wird verschwiegen

Urs P. Gasche /  Zum Beispiel Edel-Burrata: Migros, Coop und Spar verschweigen den identischen Lieferanten. «Saldo» deckt die Geheimniskrämerei auf.

Ausgerechnet bei vielen teureren Produkten ihrer Edelmarken «Sélection», «Fine Food» und «Premium» verschweigen Migros, Coop und Spar, welches die Hersteller dieser Lebensmittel sind. Das stellte die Konsumentenzeitschrift «Saldo» mit einer Stichprobe von je 50 «Sélection»- und 50 «Fine Food»-Produkten fest. Bei keinem dieser Migros-Sélection-Produkte war für die Konsumentinnen und Konsumenten ersichtlich, wer sie hergestellt hat – sogar bei Produkten, für welche die Migros wirbt, sie seien mit einem «aufwändigen Verfahren» oder nach «uralter Tradition» hergestellt!

Bei den fünfzig Coop-Fine Food-Produkten waren die Hersteller nur bei deren acht angegeben. Spar wiederum gab den Hersteller nur bei 3 von 13 Produkten an. Am präzisesten deklariert Lidl die Edelprodukte. Auf 39 von 41 Produkten seien die Hersteller sogar mit ihrer Adresse angegeben.

Käsespezialität Burrata vom gleichen Hersteller

«Saldo» fand aufgrund eines aufgedruckten Codes heraus, dass sowohl Migros, Coop wie auch Spar Burrata von der Firma Delizia im italienischen Noci beziehen, ohne dies zu deklarieren. Als «Coop Fine Food» verpackt kostet er 9 Prozent mehr als in der Verpackung «Migros Sélection».

Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten möchten Produkte kaufen, bei deren Herstellung keine Menschen ausgebeutet werden, wenig fossile Energieträger gebraucht und Natur und Umwelt möglichst geschont werden. Um entsprechend einzukaufen, brauchen sie eine transparente und vertrauenswürdige Deklaration. Dabei ist es wichtig, die Hersteller zu kennen, damit man sich über sie informieren und etwa die Stiftung für Konsumentenschutz ihre Aufgabe erfüllen kann.

Der Staat muss transparente und vergleichbare Deklarationen vorschreiben

Einheitliche und vergleichbare Deklarationen gehören zu den fairen Spielregeln des Marktes. Meistens schaffen es die Hersteller nicht, sich freiwillig auf solche zu einigen. Deshalb ist der Staat gefordert, diese Spielregeln gesetzlich vorzuschreiben.

Bei den Lebensmitteln musste der Staat beispielsweise vorschreiben, dass stets der Preis pro 100 Gramm angeschrieben ist. Ohne diese Information wären Preisvergleiche praktisch unmöglich. Der Staat musste auch die Voraussetzungen definieren, damit bei der Milch «pasteurisiert», «uperisiert», «teilentrahmt» oder «vollfett» überall das Gleiche bedeutet.

Heute wären Deklarationen zur CO2-Belastung der Produkte, zu anderen Umweltbelastungen sowie Labels über die Arbeitsbedingungen am Herstellungsort gefragter als früher. Doch mit dieser Transparenz hapert es noch gewaltig.

Bei Dienstleistungen ist es ähnlich. Für die meisten Angebote von Banken und Versicherungen gibt es keine solchen Spielregeln für den Wettbewerb. Deshalb finden sich Konsumentinnen und Konsumenten im Dschungel der Angebote kaum zurecht. Die vielen «Bankberater» sind nichts anderes als Verkäufer von Produkten der Bank, bei der sie angestellt sind.

Das Bekenntnis zur Marktwirtschaft ist oft reines Geschwätz

Von einem «Markt» kann man erst reden, wenn volle Transparenz herrscht. Die Konsumentinnen und Konsumenten müssten in der Lage sein, diejenigen Produkte zu kaufen, die ihre Bedürfnisse optimal befriedigen. Das würde automatisch dazu führen, dass sich die Hersteller dieser meistgefragten Produkte am Markt durchsetzen und Hersteller mit unzweckmässigen Produkten auf der Strecke bleiben: Es würde dann die sogenannte unsichtbare Hand des Marktes zum Wohle aller wirken.

Doch die Bekenntnisse zur Marktwirtschaft entpuppen sich in der Praxis allzuoft als reines Geschwätz. Die meisten Unternehmen versuchen, sich mit Schönfärberei, Irreführungen und Täuschungen Vorteile zu verschaffen. Und wenn immer möglich, mit stillen Absprachen und Behinderungen eine Konkurrenz und den Wettbewerb zumindest für einen Teil der Produkte einzuschränken oder auszuschalten. Denn wenn dies gelingt, locken überdurchschnittliche Gewinne.

Parlamentarische Interessenvertreter von Konzernen und ihren Verbänden kennen kaum Grenzen, wenn es darum geht, Kartelle zu schützen, das Wettbewerbsrecht schwach zu halten, neue Subventionsquellen anzuzapfen sowie Kosten und Risiken der Produktion und der Produkte auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Der Ruf nach mehr Markt wird zum Ablenkungsmanöver im Kampf um einseitige Vorteile oder um Oligopolstellungen auf dem «Markt», der dann seinen Namen nicht mehr verdient.

Die Nicht-Deklaration der Hersteller von Lebensmitteln ist dabei nur ein kleines Puzzleteil.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Tasche_Hintergrund

Konsumentenschutz

Einseitige Vertragsklauseln. Täuschungen. Umweltschädlich. Hungerlöhne. Erschwerte Klagemöglichkeiten.

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Eine Meinung zu

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 14.06.2022 um 22:41 Uhr
    Permalink

    Ich gehe davon aus, dass auch auf «Budget» Produkten diese Infos fehlen.

    Vor Jahren haben uns Kollegen an der Uni-Genf gezeigt, dass identische «aber teurere» Produkte von vielen Konsumenten bevorzugt werden. Der Glaube macht selig. Dass Anbieter diese psychologische «Qualitätsdifferenzierung» für ihre Zwecke nutzen, scheint mir legitim.

    Vor Jahren haben uns polnische Ordensschwestern in Burundi erzählt, dass ihre «billige» Seife bei der lokalen Bevölkerung keinen Absatz finden könnte. Nachdem sie diese Seifen mit dem «Stempel» einer Taschenlampe «aufgewertet» hatten, war der Absatz dieser «Markenprodukte» ein lokaler Renner.

    Zwischen der Migros Paquis und Musongati im Osten Burundis scheinen dieselben Marketings-techniken mir Erfolg gekrönt zu sein

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