Grossverlage spionieren ihre Leserinnen und Leser aus
Eine neue Werbedienstleistung von APG|SGA für Mobile Targeting zeigt, dass die Grossverlage Ringier, AZ Medien und TX-Group die Standortdaten ihrer App-UserInnen weitergeben und mit weiteren Daten anreichern lassen, um personalisierte Werbung auszuspielen – möglicherweise auch für Abstimmungskampagnen. Das Mobile-Targeting-Angebot sei «für kommerzielle, ideelle und politische Kampagnen geeignet – etwa um lokale Dienstleistungen, Produkte und Events zu bewerben oder regionale Anliegen zu fördern», heisst es in einer Mitteilung des Werbekonzerns.
Bereits bekannt ist: Sofern UserInnen die Standortfreigabe nicht deaktivieren, wissen die Apps von Blick, Watson oder 20 Minuten ziemlich genau, wo sich die App-NutzerInnen befinden. Diese Daten werden für ein umfangreiches Personentracking genutzt, um Werbung zu verkaufen – indem die App-Betreiber sie mit weiteren persönlicheren Daten kombinieren lassen.
Auf Infosperber-Anfrage gibt die APG|SGA an, dass sie nicht nur die Standort-Daten von den App-Betreibern erhalte. Sondern auch weitere Daten wie Angaben zum genutzten Gerät oder dem Verhalten innerhalb der entsprechenden App. «Die Geräte-, Standort- und Verhaltensdaten können mit der Werbe-ID verknüpft werden. Auf diese Weise ist es möglich, ein Nutzerprofil zu erstellen. Diesem Nutzerprofil können bestimmte Kategorien zugeordnet werden, wie z.B. Pendler, Student, Kinogänger usw.» Dies schreibt die APG|SGA in ihrem diskret am unteren Ende der Website im Footer platzierten «Datenschutzhinweis».
So gibt das Werbeunternehmen auch an, konkrete Zielgruppen wie «Wohlhabende» oder «Eltern & Familie» erreichen zu können. Dafür braucht es mehr und persönlichere Datenpunkte. Die APG|SGA sagt man nutze beispielsweise Hektarraster der Firma AFO Solutions, welche der APG|SGA Regionen liefere, in denen ein überproportionaler Anteil an «Eltern & Familien» in der Wohnbevölkerung vertreten sei. Zudem könne man die Daten der App-Nutzung vor Schulen oder auf Spielplätzen beiziehen, um jemanden der Zielgruppe «Eltern & Familien» zuordnen zu können.
Gemäss APG|SGA arbeitet AFO Solutions mit einer grossen Masse unterschiedlicher Daten verschiedener Quellen: «Erfahrungsgemäss erfasst AFO die Geomarketing-Daten in einem mixed-mode, bei dem offiziell zugängliche Basisdaten (u.a. aus Strukturerhebungen des BfS Bundesamt für Statistik und weiterer Ämter) durch eingekaufte 1st-/2nd-/3rd-Party Daten (z.B. Establishment Survey) angereichert und schliesslich mittels manueller Validierung ergänzt werden.»
AFO Solutions ist eine Marketingagentur mit Sitz in Hünenberg. Gemäss Website ist das Unternehmen auf Geomarketing, Data & Analytics sowie Marketing-Automatisierung spezialisiert. Gerne hätte Infosperber erfahren, wo es die entsprechenden Daten einkauft. Und wie die manuelle Validierung funktioniert. Auf wiederholte Anfragen reagierte das Unternehmen aber nicht.
Die APG|SGA beteuert: «Wir halten die datenschutzrechtlichen Anforderungen ein. Das bedeutet, dass wir uns an die Datenschutzgesetzgebung halten.» Dabei stellt sich auch die APG|SGA auf den Standpunkt, dass mit den Daten kein Personenbezug hergestellt werden könne. Doch dies stimmt in vielen Fällen nicht. Bei derart präzisen Standortprofilen können aufgrund von Aufenthaltsort und -dauer einer bestimmten Userin an einer bestimmten Adresse oft relativ einfach Rückschlüsse auf ihre Identität getätigt werden. Dafür kann zum Beispiel im Fall einer alleinigen Bewohnerin eines Einfamilienhauses ein zusätzlicher Blick ins Telefonbuch reichen.
Persönlichkeitsprofile sind ohne explizite Einwilligung in der Regel verboten
Für den Eidgenössischen Öffentlichkeits- und Datenschutzbeauftragten (EDÖB) ist das Anlegen von Persönlichkeitsprofilen ohne explizite Einwilligung der betroffenen Personen in der Regel ausgeschlossen. Darunter könnten auch «detaillierte Bewegungsprofile von Einzelpersonen» fallen.
Ausnahmen sind aber möglich. Da es sich bei der Standortangabe um sehr persönliche Daten handelt, mittels derer eine konkrete Person einfach identifiziert werden kann, kommt es darauf an, wofür die Daten verwendet und wie sie verarbeitet werden.
So dürfen sie beispielsweise zur Verbesserung einer besonderen Dienstleistung der App mit Einverständnis der NutzerInnen verwendet werden. In vielen Apps sind laufend erfasste Standortdaten gar zentral und ermöglichen eine gewünschte Dienstleistung: Wenn man mit PubliBike ein verfügbares Leihvelo in der Nähe sucht, wenn man mit Google Maps in die Ferien fährt und staubedingte Wartezeiten vermeiden will. Oder wenn man mit Fitness-Apps die gejoggte Strecke messen will.
Das Datenschutzrecht spricht in diesen Fällen von überwiegendem privatem Interesse, weil es sich bei den App-Betreibern um private Firmen handelt. Gemäss dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) besteht überwiegendes privates Interesse zum Beispiel, wenn «Kundenfrequenzen gemessen oder das durchschnittliche Verhalten von Kundenkategorien analysiert werden soll».
Bei personalisierter Werbung kann gemäss EDÖB aber in der Regel kein überwiegendes privates Interesse geltend gemacht werden. Er schreibt in einem Personentracking-Merkblatt:
Kein Rechtfertigungsgrund besteht in der Regel aber für Auswertungen des persönlichen Verhaltens bestimmter (nicht zwingend namentlich bekannter) Personen, um diesen z.B. massgeschneiderte Werbung zuzustellen.
Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter
UserInnen der News-Apps müssten deshalb das Tracking – wie aktuell möglich – mindestens ablehnen können. Möglicherweise aber wäre gar eine explizite Zustimmung nötig. In jedem Fall müssten die LeserInnen der News-Apps transparent über das laufende Bewegungstracking informiert werden.
Besonders zentral dabei ist der Zweck der Datenerfassung – nämlich das Ausspielen personalisierter Werbung. Die NutzerInnen der News-Apps sollten erfahren, dass dafür weitere Datenpunkte, welche Schlüsse auf Alter, Einkommen, Hobbys, Erwerbs- oder Familiensituation zulassen können, verwendet werden.
Doch gerade dies tun die Verlage unzureichend.
Verlage ergattern Zustimmung mit unvollständiger Information
Die Blick-App erfragt zwar die Erlaubnis für die laufende Standorterfassung. Sie gibt allerdings nicht an, dass diese zu Werbezwecken genutzt wird, sondern spricht von der Anzeige «interessanter Inhalte». Danach macht sie keine weiteren Hinweise zum Tracking oder dessen möglicher Verhinderung. Tatsächlich existiert in der Blick-App in den Einstellungen ein Menüpunkt «Werbung», wo standortbezogene oder personalisierte Werbung deaktiviert werden kann. Darauf hingewiesen werden die UserInnen aber nirgendwo.
Auch die Watson-App der AZ Medien-Gruppe erfragt bei der erstmaligen Benutzung die Erlaubnis zur Verwendung der «Ortungsdienste» zur Anzeige «standortbezogener Angebote». Doch dieser Begriff suggeriert einzig die Anwendung der Standortdaten und verschweigt, dass weitere personenbezogene Daten beigezogen werden. Tatsächlich erlaubt sich Watson umfangreiche Freiheiten zur Monetarisierung auch ausdrücklich personenbezogener Userdaten. Im Detail erfährt man dies nur auf verschlungenem Pfad. Zuerst gilt es, sich die verlinkten AGB anzuschauen, wo dann auch die Datenschutzerklärung aufgelistet ist. Darin gibt Watson eine umfangreiche Bearbeitung und Weitergabe von Personendaten an – auch an Dritte ins Ausland. Ohne dafür je die ausdrückliche Einwilligung der UserInnen einzuholen.
In der 20 Minuten-App heisst es nach erfolgter Installation: «Teile deinen Standort und erhalte ortsbezogene News, Anzeigen und Wetterprognosen.» In den Ortungsdienst-Einstellungen eines iPhones zum Beispiel, also dort, wo man das Tracking deaktivieren müsste, sofern man es nicht will, steht allerdings nur: «Die Standort-Daten werden für das Einsenden von Leserreporter-Meldungen, für das Wetter und für die Karte in der Leser-Ansicht verwendet.» Auch hier fehlt ein Hinweis auf den personalisierten Charakter der Werbung, welche mehr als blosse Standortdaten einschliesst, gänzlich.
Begriffliche Ausflüchte und freimütiges Tricksen
Während die APG ausdrücklich von «personalisierter Werbung» spricht, meidet die TX-Group diesen Begriff auch auf wiederholte Anfragen tunlichst. Damit weist sie jegliche Verantwortung für die Datenbearbeitung ihrer Auftragnehmer APG resp. AFO Solutions von sich – obschon gerade diese Dienstleistung der Grund für die Kooperation sein dürfte. Die TX Group gibt an: «Die APG bereitet die Daten als Dienstleisterin im Auftrag der TX Group für die Werbe-Auslieferung auf und verwendet sie weder für eigene Zwecke noch für Zwecke Dritter.» Auf wiederholte Anfrage definiert die TX Group gar die Begriffe um. Bei «ortsbezogenen Anzeigen bzw. Werbungen» handle es sich um «eine Unterkategorie von personalisierten Anzeigen», schreibt etwa die TX Group auf die Frage, weshalb bei der Standortfreigabe nicht angegeben sei, dass die Standortdaten für personalisierte Werbung benutzt würden.
Ähnlich argumentiert Watson, das zur AZ Medien-Gruppe gehört. «Watson ist werbefinanziert und nutzt Daten, um die Werbung für die Nutzer zu optimieren», schreibt Geschäftsführer Michael Wanner auf Anfrage. Er beteuert, dass dies «in beschränktem und datenschutzrechtlich korrektem Umfang» geschehe. Seiner Meinung nach werden die UserInnen bei erstmaliger App-Nutzung auch auf den personalisierten Werbezweck hingewiesen.
In der Blick-App existiert in den Einstellungen zwar ein Menüpunkt «Werbung», wo «standortbezogene» oder «personalisierte Werbung» deaktiviert werden kann. Darauf hingewiesen werden die UserInnen aber nirgendwo. Auf Anfrage gibt Ringier zu, dass man die Erlaubnis der User zur Verwendung der Daten für Werbezwecke gar nicht einholt: «Beim Onboarding fragt die Blick-App den User oder die Userin nach Erlaubnis der Standortdaten. Die Anfrage dient dabei nicht Werbe-, sondern Contentzwecken.»
Harsche Kritik vom Konsumentenschutz
Klar ist: Die App-UserInnen sollen nicht erfahren, dass ihre Standortdaten auch dafür benutzt werden, um zu bestimmen wie gross ihr Geldbeutel ist, ob sie Kinder haben oder wie häufig sie wo Skiferien machen. Für Lucien Jucker, Leiter Datenschutz bei der Stiftung für Konsumentenschutz, ist dieses Vorgehen inakzeptabel: «Die Apps verstossen gegen die Grundsätze der transparenten und zweckgebundenen Datenbearbeitung.» Die Begriffe «Anzeigen», «Angebote» und «Inhalte» machten nicht deutlich, dass die Standortdaten für Werbung benutzt werden. Und weil auch Hinweise fehlen, dass die Standortdaten mit weiteren Datenquellen beim Werbeunternehmen ergänzt werden, können die UserInnen auch nicht abschätzen, welche Informationen sie mit ihren GPS-Koordinaten preisgeben.
So können Sie die Verwendung Ihrer Standortdaten stoppen
- Werbe-ID deaktivieren: Die APG nutzt für personalisierte Werbung eine sogenannte Werbe-ID von Apple oder Google, je nach Betriebssystem des Geräts. Wenn Sie die Werbe-ID deaktivieren, können die erfassten Daten niemandem zugeordnet werden. In diesem Fall wird kein Profil erstellt. Eine Anleitung zum Deaktivieren dieser Werbe-ID finden Sie bei Apple (iOS) oder Google (Android).
- Standortfreigabe in der App deaktivieren: Sie können die Ortungsdienste in den Einstellungen des Smartphones für die entsprechende App deaktivieren. Eine Anleitung dazu liefert zum Beispiel die Verbraucherzentrale.
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Dieser Artikel ist die leicht geänderte Fassung eines Beitrags vom 8.6.2022.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Dieser Artikel ist die leicht geänderte Fassung eines Beitrags vom 8.6.2022.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Aus diesem Grund benutze ich keine News-Apps, sondern Web-Angebote mit einem Browser. Hier sind zwar ähnliche Tracking-Tools im Einsatz, aber man kann sie reduzieren, wenn man Scripting ausschaltet, und die Tracker verwirren durch Verwendung verschiedener Browser, Cookies löschen, PCs wechseln, usw.
News lesen sich immer noch am schönsten auf Papier.
Ansonsten Browseranonymisierung und gut ist. Alternativ noch natels eines gewissen anbieters der es eplizit zulässt alles ausserhalb der App ein zu stellen. Von Apps die dann nicht mehrfunktionieren sollte man sowieso die Finger lassen.
Nun, von irgendwo muss ja das Angebot finanziert werden. Und das geschieht durch effektive Werbung. Man muss irgendwie fair bleiben. Journalismus ist nun einmal nicht gratis. (ausser bei Infosperber) Wenn man das nicht will, sollte man die Angebote der betreffenden Apps nicht nutzen.
Werbung ist ja OK. Benutzer tracken nicht.
Mir gefällt das Modell einiger deutscher Verlage, welche beim Aufruf des Webangebots im Browser dem User die Wahl lassen, Artikel mit Werbung zu lesen oder ein Abo zu lösen und sie dann ohne Werbung lesen. Diese Werbung ist dann aber nicht unbedingt personalisiert.
Kürzlich hörte ich im Radio, dass Tamedia für Ihre Angebote nicht schweizerische Server verwendet, sondern solche von Amazon. Damit ist das Online-Angebot von Tamedia für mich ausser in Notfällen ohnehin tabu, ob App oder Web.
Ähnliches gab es schon 2008 – https://finanzblog.ch/2008/05/der-stromzahler-wird-reformiert-katholisch-muslimisch/ . Ich habe an einer Ausstellung selbst gesehen, wer in der Stadt, wo ich damals lebte, Medien abonniert hatte und welcher Kaufkraftklasse diese Personen zugeordnet wurden. Mein «Cash» haben sie nicht gespeichert, weil damals nur Privatpersonen und keine Firmen «verdrahtet» wurden. Nach Strassen oder Quartieren wurde damals die Werbung – per Post – zugestellt.