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Das Projekt ist abgebrochen: Eine Baustelle der Keystone-Pipeline in Alberta im oktober 2020. © cc-by-nc Government of Alberta

Kostspielige Abkommen schützen Öl-Investments

Rachel Thrasher, Blake Alexander Simmons und Kyla Tienhaara /  Viele Länder können nicht einfach aus fossilen Energieträgern aussteigen. Förderfirmen könnten hohen Schadenersatz fordern.

psi. Dies ist ein Gastbeitrag der Forschenden Rachel Thrasher (Boston University), Blake Alexander Simmons (Colorado State University) und Kyla Tienhaara (Queens University, Ontario). Er erschien zuerst am 5. Mai 2022 in Englisch bei The Conversation.

Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, haben Zugang zu einem obskuren rechtlichen Instrument, das den weltweiten Klimaschutz gefährden könnte. Und sie beginnen, es zu nutzen. Es könnte Länder, welche aus der Herstellung fossiler Energieträger aussteigen wollen, Milliarden von Dollar kosten.

In den letzten 50 Jahren haben Länder Tausende von Verträgen unterzeichnet, welche ausländische Investoren vor staatlichen Massnahmen schützen. Diese Verträge sind wie Verträge zwischen nationalen Regierungen und sollen Investoren mit dem Versprechen von Arbeitsplätzen vor Ort und dem Zugang zu neuen Technologien dazu bewegen, Projekte in Angriff zu nehmen.

Doch jetzt, da die Länder versuchen, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen, um den Klimawandel zu verlangsamen, könnten diese Abkommen die Öffentlichkeit vor überwältigende rechtliche und finanzielle Risiken stellen.

Die Verträge ermöglichen es Investoren, Regierungen in einem Verfahren namens Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) auf Entschädigung zu verklagen. Kurz gesagt: Investoren könnten ISDS-Klauseln nutzen, um Entschädigungen zu fordern, wenn die Regierung Massnahmen zur Begrenzung fossiler Brennstoffe ergreift, wie etwa die Streichung von Pipeline-Projekten und die Verweigerung von Bohrgenehmigungen. So fordert beispielsweise das kanadische Unternehmen TC Energy derzeit mehr als 15 Milliarden US-Dollar wegen der Sistierung der Keystone XL-Pipeline durch US-Präsident Joe Biden.

In einer Studie, die am 5. Mai 2022 in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, schätzen wir, dass Länder rechtliche und finanzielle Risiken in Höhe von bis zu 340 Milliarden US-Dollar eingehen würden, wenn sie Projekte für fossile Brennstoffe absagen würden, die unter Verträge mit ISDS-Klauseln fallen.

Das ist mehr, als die Länder weltweit im Haushaltsjahr 2019 in Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und zur Abschwächung des Klimawandels investiert haben, und dabei sind die Risiken des Ausstiegs aus Kohleinvestitionen oder der Stornierung von Infrastrukturprojekten für fossile Brennstoffe wie Pipelines und Flüssiggasterminals noch gar nicht berücksichtigt. Das bedeutet, dass das Geld, das die Länder sonst für den Aufbau einer kohlenstoffarmen Zukunft ausgeben würden, stattdessen in genau die Industrien fliessen könnte, die den Klimawandel wissentlich anheizen, was die Fähigkeit der Länder, die grüne Energiewende voranzutreiben, ernsthaft gefährdet.

Massive finanzielle Konsequenzen

Von den weltweit 55.206 vorgelagerten Öl- und Gasprojekten, die sich in einem frühen Entwicklungsstadium befinden, haben wir 10.506 Projekte – 19 % der Gesamtzahl – identifiziert, die durch 334 Verträge mit Zugang zu ISDS geschützt sind.

Diese Zahl könnte noch viel höher sein. Aufgrund der begrenzten Datenlage konnten wir nur die Hauptsitze der Projekteigentümer ermitteln, nicht aber die allgemeinen Unternehmensstrukturen der Investitionen. Wir wissen auch, dass Anwaltskanzleien ihren Kunden in der Branche raten, Investitionen so zu strukturieren, dass der Zugang zu ISDS gewährleistet ist, z. B. durch den Einsatz von Tochtergesellschaften in Ländern mit vertraglichem Schutz.

In Abhängigkeit von den künftigen Öl- und Gaspreisen haben wir festgestellt, dass der gesamte Kapitalwert dieser Projekte zwischen 60 und 234 Milliarden Dollar liegen dürfte. Wenn Länder diese geschützten Projekte absagen, könnten ausländische Investoren eine finanzielle Entschädigung in Höhe dieser Werte einklagen.

Dies würde mehrere Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen in große Gefahr bringen. Mosambik, Guyana und Venezuela könnten durch ISDS-Klagen jeweils mehr als 20 Milliarden Dollar an potenziellen Verlusten erleiden.

Wenn Länder auch Öl- und Gasprojekte absagen, die in der Entwicklung weiter fortgeschritten sind, aber noch nicht produzieren, ist das Risiko für sie noch größer. Wir haben herausgefunden, dass 12 % dieser Projekte weltweit durch Investitionsverträge geschützt sind und ihre Investoren auf 32 bis 106 Mrd. USD klagen könnten.

Die Stornierung genehmigter Projekte könnte sich für Länder wie Kasachstan, das 6 bis 18 Milliarden Dollar verlieren könnte, und Indonesien, wo 3 bis 4 Milliarden Dollar auf dem Spiel stehen, als besonders riskant erweisen.

Die Stornierung von Kohleinvestitionen oder Infrastrukturprojekten für fossile Brennstoffe, wie Pipelines und Flüssiggas-Terminals, könnte zu noch mehr Forderungen führen.

Länder leiden bereits unter Regulierungsproblemen

Bislang gab es mindestens 231 ISDS-Verfahren im Zusammenhang mit fossilen Brennstoffen. Allein die Androhung massiver Auszahlungen an Investoren könnte viele Länder dazu veranlassen, Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern, was zu einem so genannten «regulatory chill» führt.

Sowohl Dänemark als auch Neuseeland scheinen ihre Pläne für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe speziell darauf ausgerichtet zu haben, die Gefahr von ISDS-Verfahren zu minimieren. Einige Klimapolitikexperten vermuten, dass Dänemark das Jahr 2050 als Enddatum für die Öl- und Gasförderung gewählt haben könnte, um Streitigkeiten mit den Inhabern bestehender Explorationslizenzen zu vermeiden.

Neuseeland hat 2018 alle neuen Offshore-Ölexplorationen verboten, aber keine bestehenden Verträge gekündigt. Der Klimaminister räumte ein, dass ein aggressiverer Plan «mit Investor-Staat-Vergleichen in Konflikt geraten wäre». Frankreich überarbeitete einen Gesetzentwurf, der die Förderung fossiler Brennstoffe bis 2040 verbietet und die Erneuerung von Ölfördergenehmigungen erlaubt, nachdem das kanadische Unternehmen Vermilion mit einem ISDS-Verfahren gedroht hatte.

Sicherung der grünen Energiewende

Diese Ergebnisse sind zwar alarmierend, aber die Länder haben Möglichkeiten, um lästige rechtliche und finanzielle Risiken zu vermeiden. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erörtert derzeit Vorschläge zur Zukunft von Investitionsverträgen.

Ein einfacher Ansatz wäre, dass die Länder diese Verträge kündigen oder aus ihnen austreten. Einige Beamte haben sich besorgt über die unvorhergesehenen Auswirkungen einer einseitigen Kündigung von Investitionsabkommen geäussert, aber andere Länder haben dies bereits getan, mit wenigen oder keinen wirklichen wirtschaftlichen Folgen.

Bei komplexeren Handelsabkommen können die Länder über die Abschaffung der ISDS-Bestimmungen verhandeln, wie es die Vereinigten Staaten und Kanada taten, als sie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen durch das Abkommen USA-Mexiko-Kanada ersetzten.

Weitere Herausforderungen ergeben sich aus so genannten «Sunset-Klauseln», die Länder für ein Jahrzehnt oder länger binden, nachdem sie aus einigen Verträgen ausgestiegen sind. Dies gilt beispielsweise für Italien, das 2016 aus dem Vertrag über die Energiecharta ausgetreten ist. Das Land befindet sich derzeit in einem laufenden ISDS-Verfahren, das von dem britischen Unternehmen Rockhopper wegen eines Verbots von Ölbohrungen an der Küste angestrengt wurde.

In den Abruzzen wehrte sich die Lokalbevölkerung gegen eine Öl-Plattform vor Ombrina Mare. (Corporate Europe Observatory)

Der Vertrag über die Energiecharta, ein spezielles Investitionsabkommen für den Energiesektor, erwies sich in unserem Datensatz als der grösste Einzelbeitrag zu den globalen ISDS-Risiken. Viele europäische Länder überlegen derzeit, ob sie aus dem Vertrag austreten sollen und wie sie das gleiche Schicksal wie Italien vermeiden können. Wenn sich alle Länder, die an einem Vertrag beteiligt sind, auf einen Austritt einigen können, könnten sie gemeinsam die Verfallsklausel in gegenseitigem Einvernehmen aushebeln.

Der globale Übergang

Der Kampf gegen den Klimawandel ist nicht billig. Sowohl die Regierungen als auch der Privatsektor müssen Massnahmen ergreifen, um die globale Erwärmung zu verlangsamen und zu verhindern, dass sie zu immer verheerenderen Katastrophen führt.

Letztendlich stellt sich die Frage, wer für die globale Energiewende zahlen wird – und wer dafür bezahlt wird. Wir sind der Meinung, dass es zumindest kontraproduktiv wäre, kritische öffentliche Finanzmittel von den wichtigen Bemühungen zur Eindämmung und Anpassung an den Klimawandel in die Taschen der Investoren aus der fossilen Brennstoffindustrie umzuleiten, deren Produkte das Problem überhaupt erst verursacht haben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Eine Meinung zu

  • am 12.05.2022 um 17:51 Uhr
    Permalink

    Da kann man nur entgegnen «pacta sunt servanda».

    Dies gilt für beide Seiten. Die Problematik des Umwelt- und Klimaschutzes sind längst bekannt. Wenn Staaten in Kenntnis der Problematik, langfristige Verträge eingehen oder langfristige Projekte genehmigen haben sie sich ganz einfach verspekuliert.

    Im umgekehrten Fall würde die Allgemeinheit – zurecht – auf der Einhaltung und Erfüllung der Verträge bestehen. Investitionsschutzabkommen sind legitime Instrumente des internationalen Handels.

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