Hazel McCallion Ch. Young

Die 101-jährige Hazel McCallion war von 1978 bis 2014 Bürgermeisterin in Kanada: Ein Amtsdauer-Rekord. © Ch. Young

Politkarriere, als die meisten Frauen noch Hausfrauen waren

Red. /  Hazel McCallion war Geschäftsfrau und Politikerin, die 12x in Folge zur Bürgermeisterin gewählt wurde. Erst mit 93 trat sie zurück.

Als sie in Kanada im Jahr 1969 im Alter von 48 Jahren zum ersten Mal zur Bürgermeisterin von Streetsville gewählt wurde, hatte sie bereits eine Karriere in der Wirtschaft hinter sich. Bei der Amtsübernahme diente die kleine Ortschaft als Schlafstadt für Pendlerinnen und Pendler, die in Toronto arbeiteten. Nach einer Amtsdauer von 36 Jahren, als sie nicht mehr erneut kandidierte, verliess McCallion 2014 im Alter von 93 – nach mehreren Gemeindefusionen – die Führung einer Stadt mit Namen Mississauga, die fast 800’000 Einwohner zählte. Das ist heute die sechstgrösste Stadt Kanadas. McCallion gilt in Nordamerika als Wegbereiterin für Frauen in der Politik.

Im Folgenden die Geschichte dieser ausserordentlichen Frau, die im letzten Februar 101 Jahre alt und im April für eine zweite Amtszeit von drei Jahren in den Verwaltungsrat des Flughafens Toronto gewählt wurde.

Eishockey-Karriere in Toronto mangels Frauenteam beendet

McCallion wurde 1921 in Port Daniel, einer kleinen Stadt auf der Halbinsel Gaspé in Québec, geboren. Sie war das jüngste von fünf Kindern von Herbert Journeaux, der eine Fischverarbeitungsfabrik und einen Gemischtwarenladen besass und betrieb, und Amanda Maude Journeaux, der ersten ausgebildeten Krankenschwester in ihrer Stadt.

McCallion verliess Port Daniel im Alter von 16 Jahren, um die High School in Montréal abzuschliessen. Anschliessend besuchte sie eine Sekretariatsschule und erhielt 1940 ihre erste Stelle bei der Louis Rolland Paper Company. Später wurde McCallion von der Ingenieurfirma Canadian Kellogg als Büroleiterin eingestellt und zog nach Toronto, als das Unternehmen 1943 seinen Hauptsitz dorthin verlegte.

Frauen waren in der Arbeitswelt immer noch eine Seltenheit, vor allem ausserhalb der traditionell «weiblichen» Berufe in der Dienstleistungsbranche. Aber McCallion übernahm immer mehr Verantwortung bei Kellogg. Sie wurde oft in die Zentrale nach New York geschickt, um die kanadische Niederlassung zu vertreten und in deren Namen zu verhandeln. McCallion wurde als so unentbehrlich für das Unternehmen angesehen, dass es ihre Bemühungen blockierte, während des Zweiten Weltkriegs den Wrens (Women’s Royal Canadian Naval Service) beizutreten. Sie war der Meinung, dass ihre Geschäftserfahrungen ihr das nötige Rüstzeug für das politische Leben gaben und sie darauf vorbereiteten, mit einem von Männern dominierten Stadtrat zusammenzuarbeiten.

Noch 1940 in Montréal hatte McCallion ihre lebenslange Liebe zum Eishockey in einen Beruf umgewandelt. Sie bewarb sich für die professionelle Frauenhockeyliga und wurde in ein von Kik Cola gesponsertes Team aufgenommen, das ihr fünf Dollar pro Spiel zahlte. Die 1,75 m grosse McCallion war eine «schnelle Schlittschuhläuferin und harte Schützin», wie der Montreal Star schrieb, und verlor einmal zwei Zähne, nachdem sie einen Schläger in den Mund bekommen hatte. Sie spielte zwei Saisons, bevor sie nach Toronto zog, wo es keine professionellen Eishockeyteams für Frauen gab, und ihre Eishockeykarriere beendete.

Hazel lernte ihren Ehemann Sam McCallion 1945 über die Anglican Young People’s Association kennen. Das Paar heiratete 1951 und zog nach Streetsville, Ontario, ein Dorf nordwestlich von Toronto, das später Teil von Mississauga werden sollte. Das Paar hatte drei Kinder. Anfang der 1990er Jahre wurde bei Sam McCallion die Alzheimer-Krankheit diagnostiziert, an der er 1997 starb.

Einstieg in die Politik

1963 verliess McCallion Kellogg, um in die Druckerei ihres Mannes einzusteigen und als Redakteurin und Geschäftsführerin des Streetsville Booster zu arbeiten, einer von Sam McCallion gegründeten Gemeindezeitung. Zu dieser Zeit begann sie, sich im öffentlichen Leben zu engagieren. Bis 1966 war sie Vorsitzende des Planungsausschusses von Streetsville und Präsidentin der örtlichen Handelskammer.

McCallion war besorgt über das Entwicklungskonzept der Stadt, dem es ihrer Meinung nach an einer strategischen Vision mangelte. Strategische Kommunalentwicklung war zu dieser Zeit für viele Ontarier ein wichtiges Thema, da die Provinz versuchte, regionale Regierungen zu schaffen. Im Rahmen dieser Politik wurden 1968 die nahe gelegenen Dörfer Clarkson, Lakeview, Cooksville, Erindale, Sheridan, Dixie, Meadowvale und Malton – nicht jedoch Streetsville und Port Credit – zur Stadt Mississauga zusammengelegt.

Im Dezember 1969 wurde McCallion zur Bürgermeisterin von Streetsville gewählt. Sie trat mit dem Ziel an, die Unabhängigkeit von Streetsville zu bewahren, und schlug vor, die Stadtgrenzen durch die Annexion von umliegenden Gebieten zu erweitern. Sie widersetzte sich weiterhin den Fusionsplänen der Provinz, hatte aber letztlich keinen Erfolg. Streetsville und Port Credit wurden im Januar 1974 offiziell Teil der Stadt Mississauga. McCallion war eine Amtszeit lang Stadträtin von Mississauga, bevor sie als Bürgermeisterin kandidierte.

36 Jahre im Amt

McCallion wurde 1978 zur Bürgermeisterin von Mississauga gewählt. Sie führte einen geschickten Wahlkampf gegen den Amtsinhaber Ron Searle, dessen Slogan einfach lautete: «Ein guter Bürgermeister». Zwei Wochen vor der Wahl gab McCallion ihren eigenen Slogan heraus: «Eine bessere Bürgermeisterin».

McCallion stellte sich Mississauga als eine lebensfähige Stadt vor, in der die Einwohner sowohl leben als auch arbeiten können, und nicht nur als eine Schlafstadt für Pendler aus Toronto. Sie wollte neue Arbeitsplätze schaffen und die Zahl der Gewerbe- und Industrieansiedlungen erhöhen. Ideologisch gesehen bezeichnete sich McCallion als Verfechterin einer sparsamen Haushaltsführung, wie sie sagte: «Ich gebe das Geld der Steuerzahler so aus, wie ich mein eigenes Geld ausgebe, und das ist selten.» Sie war der Ansicht, dass sich das Wachstum selbst tragen sollte, und erhob von den Bauunternehmern Abgaben. Durch diese Gebühren hielt sie die Steuern niedrig und Mississauga 33 Jahre lang schuldenfrei. Die Serie der Schuldenfreiheit wurde 2012 unterbrochen, als die Stadt einen Kredit in Höhe von 450 Millionen Dollar aufnahm, um die veraltete Infrastruktur zu reparieren.

Unter ihrer Führung wuchs Mississauga von einer Ansammlung von Kleinstädten und Ackerland zur sechstgrössten Stadt Kanadas. Die Bevölkerung hat sich fast verdreifacht, und die rasante Entwicklung hat das Gebiet verändert. McCallion erzählte, dass sie in den ersten Tagen ihrer Amtszeit als Bürgermeisterin auf der anderen Strassenseite des alten Rathauses «Kühe und Pferde auf den Feldern grasen sah». Das neue Rathaus von Mississauga – ein preisgekröntes Meisterwerk der postmodernen Architektur – wurde 1987 eröffnet.

Als sich Mississauga unter McCallions Führung ausdehnte, wurde die Stadt zum Sinnbild der Zersiedelung – einer Wohnbebauung mit geringer Dichte und Abhängigkeit vom Auto – und die Bürgermeisterin erhielt von den Medien den spöttischen Spitznamen «Königin der Zersiedelung». Jahrzehntelang lehnte sie eine Intensivierung der Bebauung ab, doch später wurde sie zu einer vehementen Befürworterin des «intelligenten Wachstums», das ein fussgänger- und verkehrsfreundliches Wachstum fördert und eine neue Bebauung an den Stadträndern verhindert.

Obwohl McCallions Gegner ihr vorwarfen, sie ersticke Debatten und dulde keine Kritik, kam ihr Führungsstil bei den Wählern gut an. Sie wurde 1980 wieder ins Amt gewählt (ohne Gegenkandidaten) und zwischen 1980 und 2010 elfmal wiedergewählt. Seit Anfang der 1990er Jahre erhielt sie mehr als 90 Prozent der Stimmen, obwohl sie keinen offiziellen Wahlkampf führte. Zur gleichen Zeit gingen die meisten Einwohner von Mississauga nicht zur Wahl; die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen lag in der Regel zwischen 20 und 35 Prozent. Der Wahlausgang war zum Voraus klar.

Das «Wunder von Mississauga»

Zu Beginn ihrer Amtszeit als Bürgermeisterin beaufsichtigte McCallion die damals weltweit grösste Evakuierung in Friedenszeiten. Am 10. November 1979 entgleiste ein Canadian Pacific-Güterzug am östlichen Stadtrand, wobei 24 Waggons – viele davon mit explosivem Material beladen – die Gleise verliessen und in einem gewaltigen Feuerball explodierten. Besonders besorgniserregend war das tödliche Chlorgas, das aus einem der Waggons auszutreten begann. McCallion wies alle Menschen an, die Stadt zu verlassen, und erklärte Mississauga bis auf weiteres für «geschlossen». Insgesamt wurden 250’000 Menschen sicher evakuiert, ohne dass Menschenleben zu beklagen waren – ein Umstand, den McCallion mit Stolz als «Wunder von Mississauga» bezeichnete. Die Evakuierungsanordnung wurde sechs Tage später aufgehoben, und McCallion wurde für ihren Umgang mit der Katastrophe gelobt.

Wegbereiterin

McCallion machte Karriere in den von Männern dominierten Bereichen Wirtschaft und Politik zu einer Zeit, als weniger als die Hälfte der kanadischen Frauen erwerbstätig waren und noch weniger in das öffentliche Leben eintraten.

Während ihres ersten Wahlkampfs als Bürgermeisterin sagte ihr Gegner Ron Searle einer Zeitung: «Ich würde ihr am liebsten die Hölle heiss machen, aber ich kann es nicht wirklich tun. Die Tatsache, dass sie eine Frau ist, hemmt mich sehr.» McCallion führte ihren Sieg später zum Teil auf diese Bemerkung zurück und sagte, dass sie damit die weiblichen Wähler hinter sich gebracht habe. Sie war die Hauptleidtragende einer sexistischen Berichterstattung, einschliesslich einer Schlagzeile des Toronto Star von 1979, in der sie als «The Mom Who Runs Mississauga» bezeichnet wurde.

Obwohl McCallion ihre Rolle als Wegbereiterin für Frauen in der Politik anerkennt, sieht sie sich selbst nicht als Feministin. Sie hat ihren Rat an andere Frauen so beschrieben: «Denke wie ein Mann, handle wie eine Dame und arbeite wie ein Hund.»

Kontroversen

McCallion sah sich 1981 erstmals mit dem Vorwurf eines Interessenkonflikts konfrontiert, nachdem ein örtlicher Anwalt sie verklagt hatte, weil sie an einer Ratsdebatte und bei der Abstimmung im Rat über die Erschliessung von 3’800 Hektar Land teilgenommen hatte, von denen fünf ihr gehörten. Ein Gericht entschied 1982, dass sie gegen vier Aspekte des Ontario Municipal Conflict of Interest Act verstossen hatte. Obwohl sie als Bürgermeisterin hätte abgesetzt werden können, lehnte das Gericht dies ab und entschied, dass sie einen «gutgläubigen Beurteilungsfehler» begangen habe.

Obwohl McCallion grossen Wert auf eine sparsame Haushaltsführung legte, war sie zeitweise die bestbezahlte Bürgermeisterin Kanadas. Als sie 2014 in den Ruhestand ging, war sie mit einem Gehalt von 181’098 Dollar die sechstbestbezahlte Bürgermeisterin des Landes.

Karriere nach dem Amt der Bürgermeisterin

McCallion kandidierte 2014 nicht zur Wiederwahl. Seit ihrem Rückzug aus der Politik wurde sie im Alter von 93 Jahren zur Kanzlerin des Sheridan College und zur Sonderberaterin des Rektors der University of Toronto Mississauga ernannt. Sie hat sich ausserdem für Senioren und gegen die Diskriminierung älterer Menschen stark gemacht.

Im Januar 2019 gab die Regierung von Ontario unter Premierminister Doug Ford bekannt, dass McCallion zur Sonderberaterin des Ministers für kommunale Angelegenheiten Steve Clark ernannt wurde, wofür sie bis zu 150’000 Dollar pro Jahr erhalten würde. McCallion lehnte die Stelle jedoch noch im selben Monat ab: «Leider bin ich aufgrund meiner umfangreichen Verpflichtungen nicht in der Lage, die für eine solche Ernennung erforderliche Zeit aufzubringen. Daher werde ich die formelle Ernennung und die damit verbundene Tagespauschale nicht annehmen.»

Im Jahr 2017 wurde McCallion in den Verwaltungsrat des Flughafens Toronto gewählt – im Jahr 2022 für eine zweite Amtsperiode von drei Jahren.

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Dieser Bericht ist der «Canadian Encyclopedia» entnommen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Eine Meinung zu

  • am 10.05.2022 um 14:05 Uhr
    Permalink

    Großartiger Artikel. Eine harte Dame mit den richtigen Ideen und markigen Sprüchen setzt sich immer durch. Nicht umsonst ist die Dame im Schach die stärkste Figur. Ich hätte sie gewählt.

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