Kommentar
kontertext: Die Frage, die gibt es
Eben habe ich entnervt das Radio ausgeschaltet. Schon wieder. Es war unerträglich. Aber zum Fernseher tauge ich auch nicht. Zugegeben, beide Gesprächsteilnehmer wussten nicht gerade viel, aber die Moderatorin war absolut überfordert. Wiederholt versuchte sie sich mit monströs unbestimmten Satzfragen zu retten. Umsonst. Mehr als unfundierte persönliche Meinungen holte sie damit nicht heraus.
Vor ein paar Tagen, als ich auch auf den Abschaltknopf drückte, hatte mich ein Interviewer zur Verzweiflung gebracht. Er hätte ein kluges Gegenüber gehabt, das auch fähig war, zuzuhören. Aber anstatt dem Gast Gelegenheit zu geben, zu sagen, was er zu sagen hatte, las er weiter seine aufgeschriebenen Satzfragen ab, obschon diese mittlerweile teilweise schon beantwortet worden waren. Er war der Aufgabe schlicht nicht gewachsen.
Mit Satzfragen fragt man, ob ein ganzer Satz wahr ist. Eine Satzfrage beantwortet man also durch Bejahung oder Verneinung.
Übrigens: Wenn an dieser Stelle vor ein paar Wochen gelegentliche Schweigeminuten in der Kriegsberichterstattung gefordert worden sind, war das ein kleines Plädoyer für mehr Besinnung und keinesfalls ein Aufruf zum Schweigen gegenüber fehlgeleiteten Machthabern und ihren Untaten. Das Plädoyer wandte sich gegen jenes journalistische Bewirtschaften des Krieges, welches sich nicht mit verantwortungsbewusster Berichterstattung deckt, sondern auf Teufel komm raus Spalten und Sendeminuten füllt.
Auch von dem unsäglichen Wuchern der Satzfrage war die Rede gewesen. Dabei zeigte sich bei den Reaktionen, dass diese überflüssigste aller Fragen, die eigentlich gar keine waschechte Frage ist, ihr Unwesen wenig beachtet, sogar im Versteckten treiben darf, denn sie ist offensichtlich vielen, ihrer Allgegenwärtigkeit zum Trotz, ziemlich unvertraut.
Was hat es mit der Satzfrage auf sich?
Finden Sie etwa nicht auch, dass die Satzfrage in unseren Medien zum Thema gemacht werden sollte? Weil es in der Natur solcher Satz- oder Entscheidungsfragen liegt, könnten Sie hier nur mit Ja oder Nein antworten und damit hätte es sich dann.
In der Wirklichkeit des Journalismus sieht es aber anders aus. Nichts von Ja oder Nein. Man will ja nur, dass das Gegenüber redet. Da können sich schlecht vorbereitete oder nur beschränkt dossierfeste Medienschaffende ihre Gäste mit Satzfragen bei der Stange halten. Die sind in der Regel sowieso höflich genug, das Gespräch nicht mit einem satten Ja oder Nein abbrechen zu lassen. Sie haben gelernt, dass ihnen mit solchen Satzfragen der Ball zugespielt wird, ob genau oder ungenau ist unerheblich: Finden Sie auch, dass …? Und los geht’s. Egal in welcher Richtung, denn wirklich konkret nach etwas Bestimmtem wurde nicht gefragt. Danke für den Freipass.
Satzfragen finden sich überall, wo man hinguckt. Überall, wo man hinhört: Satzfragen! Finden Sie auch, dass … Haben Sie auch den Eindruck, dass …? Glauben Sie denn nicht …? Könnte man nicht sagen, dass …? Würden Sie nicht auch sagen, dass …? Nein, wer so anfängt hat keine Frage, wer mit einer Satzfrage ein Gespräch beginnt, beherrscht sein Thema offensichtlich nur so beschränkt, dass er oder sie erst mal sein bescheidenes Wissen absegnen lassen will, denn um ideelles Neuland zu erkunden, um auf das zu Bestimmende, noch Unklare oder Neue zu verweisen, dazu ist seine vorgetäuschte Neugier dann doch zu unfundiert.
Werden aber keine Fragen generiert, sondern nur noch vorgefasste Meinungen in Satzfragen abgefüllt, um Zustimmung zu erheischen, entsteht kein Gespräch, dann gibt es keine Gedanken, die sich im Austausch befruchten.
Satzfragen sind das Ende jeglicher Diskussionskultur. Mittlerweile gibt es in renommierten Medien abgedruckte Gespräche mit Experten und Expertinnen, in welchen nichts anderes passiert, als dass vorgefertigte Meinungen von sogenannten Fachleuten bestätigt und legitimiert werden. Eigentlich unterbindet die Satzfrage schon nach einmaligem Gebrauch jede Dynamik, denn genau genommen sind Satzfragengespräche gar keine Gespräche.
Heutzutage gibt es nicht wenige Medienschaffende, die ihre Arbeit darin sehen, sich eine zum Voraus angefertigte Liste von Sachfragen vor der laufenden Aufnahmefunktion ihres Smartphones abhaken zu lassen, und zwar ohne Wenn und ohne Aber. Anstatt das Gespräch zu suchen oder wenigstens auf geäusserte Meinungen und Sachverhalte einzugehen, lesen sie die nächste vorbereitete Sachfrage ab und lassen dabei sogar Ungeheuerlichkeiten, oft aber auch einfach einen Irrtum oder eine Falschaussage im Raum stehen.
Dass Medienschaffende vielerorts unter gewaltigem Produktionsdruck arbeiten müssen, ist bekannt; dass sich dabei das Gespräch vom kontrollierbaren Aufwand her als Textform anbietet, ist nachvollziehbar.
Aber bitte:
Die Frage, die gibt es.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Beat Sterchi ist freier Autor. Vor «Capricho» (Diogenes 2021) veröffentlichte er die Reisereportage «Going to Pristina» (essais agités 2018) und den Lyrikband «Aber gibt es keins» (Der gesunde Menschenversand, 2018). www.beatsterchi.ch
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Die Gruppe ist dabei, sich neu zu konstituieren. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler und Felix Schneider.
Sehr interessant, bravo!
Dieser Artikel erinnert mich an 1984-Buch von George Orwell. Er schrieb: Die Welt ist in die drei verfeindeten Machtblöcke Ozeanien, Eurasien und Ostasien. Heute sind wir soweit: USA, China und Russland. Europa ist erst einig um Geld zu drücken und Waffen zu liefern, sonst bleibt sie ein Club Staaten mit zu verschiedenen Kulturen. Und gerade in Europa liest und hört man nicht nur Satzfragen, sondern auch tendenziöse, rhetorische und manchmal falsche Fra-gen und Behauptungen!
Giovanni Coda