Die erfüllten und die unerfüllten Versprechen der Impfung (1)
Red. – Konstantin Beck ist Titularprofessor für Gesundheitsökonomie an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern. Während 27 Jahren war er Aktuar in der Krankenversicherung und von 2007 bis 2020 Leiter des CSS-Instituts. Er ist Co-Autor des Buchs «Corona in der Schweiz». Gemeinsam mit Andreas Kley, Peter Rohner und Pietro Vernazza hat er kürzlich «Der Corona-Elefant» herausgegeben. Der folgende Beitrag ist eine gekürzte und aktualisierte Fassung des von ihm verfassten Kapitels «Ist die Impfung ein kategorischer Imperativ? – Eine Analyse aus ökonomischer Sicht« aus diesem Buch*.
Der Ruf nach einer Impfpflicht
Die Corona-Pandemie verhielt sich nie so, wie wir es erwartet hätten. Umso erstaunlicher, mit welchem Brustton der Überzeugung der Ruf zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht erschallte, auch und gerade von Experten, deren Fachgebiet (mit Ausnahme von Tanja Krones) nicht unbedingt die Virologie war. So forderte der Wirtschaftsprofessor Urs Müller «ein Impf-Obligatorium für die Freiheit», weil «eine Politik, die Krankheit und Tod in Kauf nimmt, ethisch nicht verantwortbar» sei. Sekundiert wurde der Beitrag von mehreren Leserbriefen ähnlicher Tonalität, so z.B. Thomas Beschorner, Wirtschaftsethiker der Universität St. Gallen: «Impfen ist keine Privatsache, sondern eine moralische Pflicht.» Auch die Medizinethikerin Krones zeigt nicht übermässig Empathie für die Impfverweigerer und weist sie den drei Schubladen «Verschwörungstheoretiker, Freiheitsliebende und die Leute, die dem Staat misstrauen» zu. Der Philosoph Maurizio Ferraris, sieht «die Freiheit» durch den Impfzwang «in keinem ernstzunehmenden Sinn gefährdet».
Im Folgenden nähern wir uns der Frage zuerst auf theoretischer und anschliessend auf statistischer Ebene, beschäftigte sich doch der Schreibende seit über dreissig Jahren mit Gesundheits-Statistik. Dabei stützt sich die Argumentation weitestgehend auf amtliche Daten.
1. Die Impfung – kategorischer Imperativ oder Weichensteller-Problem?
Sind die Impfverweigerer nun tatsächlich alles «Covidioten», die sich trotzig dem offensichtlichen virologischen Imperativ im Sinne Kants verschliessen? Die Entscheidungssituation im Falle einer Impfung ist ein wenig komplexer, als die zitierten Beiträge vermuten lassen. Betrachten wir dazu ein spieltheoretisches Modell der Impfentscheidung.
Stellen Sie sich einen Zug vor, der völlig unkontrolliert auf eine Gruppe ahnungsloser Arbeiter zurast, welche am Geleise arbeiten. Die Kollision mit dem Zug wäre für sie alle tödlich. Neben einer Weiche stehend erkennen Sie die Gefahr im letzten Moment, sind jedoch ausser Stande, die Arbeiter zu warnen. Wenn Sie die Weiche umlegen, retten Sie die Gleisarbeiter vor dem sicheren Tod. Allerdings steht auch auf dem zweiten Geleise eine Person, die durch die Umleitung des Zuges den Tod finden würde. Wie entscheiden Sie sich?
Diese ethische Dilemmasituation beschreibt die Impfzwang-Problematik genauer, und das Dilemma gilt auch dann, wenn die Impfung nachhaltig wirksam und relativ ungefährlich ist. Es ist eben nicht so, dass ein Impferfolg gratis zu haben wäre. Es gilt Nebenwirkungen, die tödlich sein können, in Kauf zu nehmen.
Allerdings bemühen sich Medien und Studien der Pharmaindustrie, das Problem des zweiten Geleises schönzureden. Es stehe gar niemand auf dem zweiten Geleise, das Dilemma sei daher fiktiv und irrelevant.
Fiktiv ist jedoch die Annahme, es gäbe gar keine Nebenwirkung. Eine Aussage, die nicht einmal von den Herstellern der Impfstoffe geteilt wird.
Im Folgenden gehen wir daher der Frage nach: Wie viele Personen stehen auf dem zweiten Geleise, respektive, wie hoch ist das Risiko für Nebenwirkungen.
2. Die erwünschten Wirkungen der Impfung
Der Impfung gingen vier Versprechen voraus:
- Die Impfung verhindere die Übertragung voraussichtlich während eines Jahres (gemäss der (ursprünglichen) Gültigkeitsdauer des Impfzertifikats).
- Sie reduziere die Ansteckungshäufigkeit.
- Sie führe zumindest zu einem milderen Krankheitsverlauf.
- Sie sei ungefährlich.
2.1 Wie lange die Impfung schützt
Die Dauer des Impfschutzes von voraussichtlich einem Jahr erwies sich bereits im Spätsommer 2021 als Irrtum und ist mit der Lancierung der Booster-Impfung und der Reduktion der Gültigkeitsdauer der Impfzertifikate auf 270 Tage offiziell falsifiziert worden. In seiner Medienmitteilung vom 21.12.2021 schreibt das BAG, die Auffrischimpfung sei «besonders bei älteren Personen wichtig, um sie vor schweren Erkrankungen und Hospitalisationen zu schützen.»
Das ist insofern erstaunlich, als dass das BAG gleichzeitig auf seiner Homepage regelmässig den Nachweis konstant hoher Wirksamkeit publizierte. Abbildung 1 zeigt die Wirksamkeit in Bezug auf Todesfälle bei über 80-Jährigen. Sie schwankt in den 29 dargestellten Wochen zwischen 0.87 und 0.98. Letzteres bedeutet, dass auf 100 ungeimpfte Covid-19-Todesfälle zwei Todesfälle von Geimpften kommen. Die Resultate für andere Altersgruppen sind sehr ähnlich. Ein markanter Zusammenhang zwischen Booster und Wirksamkeit (beispielsweise ein markanter Einbruch der Wirkung, der durch den Booster wieder aufgefangen würde), kann jedoch aus aus Abbildung 1 nicht abgelesen werden. Motivation für das Boostern könnte demnach nur die Reduktion der Übertragbarkeit sein.
2.2 Reduktion der Ansteckungshäufigkeit
Wenn wir die drei Länder, Schweiz, Deutschland und Dänemark betrachten, so sehen wir, dass bei allen drei die Anzahl Ansteckungen in der dritten Welle (vom 15.7.21 bis 7.4.22), d.h. mit geimpfter Population, grösser waren als zuvor. 80%, 83% respektive 90% der gemeldeten Infektionen fallen in die dritte Welle (Tab. 1).
Das hat allerdings zwei von der Impfrate unabhängige Gründe: Erstens wurde die Infektion während der ersten Welle (bis Mitte Juli 2020) auf Grund fehlender Testkapazitäten nicht richtig gemessen (darum die geringen Anteile von weniger als einem Prozent). Zweitens kam in der dritten Welle eine Mutation auf, die grundsätzlich ansteckender war. Interessant ist darum der relative Vergleich zwischen den drei Ländern. Und da zeigt sich: Je höher die Impfquote, desto höher der Anteil Infizierter in Welle 3. Dänemark liegt sowohl bei der Impfquote als auch beim Anteil Infizierter an der Spitze, was der Erwartung an die Impfung zuwiderläuft.
Auch in den USA konnte das Phänomen hoher Infektionsraten trotz hoher Impfquoten nachgewiesen werden. So identifizieren die US Centers for Disease Control and Prevention (CDC) vier der fünf US-Counties mit höchster Impfrate (99,9% bis 84,3%) als Gebiete mit hohen Übertragungsraten.
Die These, die Impfungen trügen in irgendeiner Form zur Reduktion der Ansteckungen bei, muss deutlich verworfen werden. Und da die Spitalüberlastung ebenfalls ausblieb, entfällt die argumentative Grundlage für eine staatliche Nötigung zur Impfung.
2.3 Milderer Krankheitsverlauf
Auch die Aussage, die Impfung führe zu einem milderen Krankheitsverlauf, lässt sich mit nationalen Statistiken nicht stützen. In Tabelle 1 fällt auf, dass die Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 in Dänemark trotz hoher Impfquote von 83% in der dritten Welle stark anstiegen, während sie in Deutschland und der Schweiz zurück gingen. Noch nie starben in Dänemark so viele Person an oder mit Covid-19, wie während der dritten Welle (55% aller Covid-10 Todesfälle), als die Bevölkerung also geimpft war.
Anhand der Werte in Tabelle 1 können die Todesfälle pro Infizierte (die sogenannte case fatality rate) berechnet werden. Diese betragen für die dritte Welle 1,1 Promille für die Schweiz, 1,2 für Dänemark und 2,1 für Deutschland. Am besten schneidet der «Impfmuffel» Schweiz ab und Dänemark weist keinen relevanten Vorteil auf. Erstaunlich ist zudem, dass Dänemark vor Einführung der Impfung diesbezüglich markant besser abschnitt. Die case fatality rate der zweiten Welle lautet: 6,8 für Dänemark, 13,4 für die Schweiz und 23,4 für Deutschland.
Drei Einwände sind hier wichtig: Es zeigt sich deutlich, dass die case fatality rate in allen drei Ländern von der ersten zur zweiten Welle sinkt. Das könnte die Folge der Virus-Mutation oder aber der Impfung sein. Die beiden Effekte lassen sich anhand der präsentierten Werte nicht auseinanderhalten. Zwar ändert sich die Rangliste unabhängig von der Impfrate. Aber hier kann entgegnet werden, dass die Impfquoten der unter 55-Jährigen für Todesfälle, die vorwiegend ältere Personen betreffen, sowieso irrelevant sind. Dazu kommt, dass die Resultate auch stark davon abhängig sind, wie häufig getestet worden ist und das ist in den drei Ländern auch unterschiedlich.
Aber auch wenn die relative Sterblichkeit in der dritten Welle abgenommen hat, gilt dennoch für Dänemark: In absoluten Zahlen war die dritte Welle für dieses Land die tödlichste der drei Wellen, und das, obwohl Dänemark, was die Impfung angeht, zu den internationalen Spitzenreitern gehört.
Die gross angelegten Impfkampagnen im Herbst 2021 und die restriktiven Zertifikatsauflagen für Ungeimpfte konnten die Sicherheit der Bevölkerung nicht steigern, ja nicht einmal eine Reduktion der Ansteckungen bewirken. Schuld daran ist möglicherweise eine Zertifikatspolitik, die vor allem die Ungeimpften schützt, während gleichzeitig die Impfung die Übertragung unter den freier zirkulierenden Geimpften nicht wirklich eindämmen kann. Daher ist es nicht erstaunlich, dass sich die Pandemie wieder stärker unter den Geimpften ausbreitet. Und wenn gleichzeitig der Impfschutz früher als erwartet nachlässt, muss dies fast zwingend zu einer Zunahme des Anteils doppelt Geimpfter unter den Spitaleintritten führen.
Wenn wir den Fokus ausweiten und die Häufigkeit der Covid-Todesfälle in der gesamten Bevölkerung anschauen ( Tab. 2), dann zeigt sich ein ernüchterndes Bild. Obwohl im Jahr 2021 ein grosser Teil der Bevölkerung durchgeimpft worden ist, sinkt die Mortalität (Anzahl Todesfälle pro Einwohner) hauptsächlich in den hohen Altersgruppen, was einer positiven Wirkung der Impfung entspricht. Aber in 11 von 18 Einträgen (grau markiert) nimmt die Mortalität nicht ab.
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* Konstantin Beck, Andreas Kley, Peter Rohner, Pietro Vernazza (Hrsg.): «Der Corona-Elefant». Versus Verlag Zürich 2022, 36 CHF, Bestellung hier.
Im Buch finden sich auch die vollständigen Quellenangaben zu diesem Beitrag. Eine Kurzfassung, die von YouTube gesperrt, aber nach sachlich begründeter Intervention wieder freigegeben wurde, findet sich hier (ab Minute 1:22).
➞ Lesen Sie demnächst Teil 2.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
- Infosperber: «Rat an die Politik: In der Krise braucht es auch Hofnarren»
Besten Dank für diese klare Zusammenstellung.
Danke, ein sehr gut recherchierter informativer Beitrag. Vor 1 Jahr wären wohl die Autoren wegen diesem Text mit Steinen beworfen worden. Die verbale und zum Teil justiziale Gewalt welche gegen nicht Impfbare (Allergiker, usw.) angewendet wurde, und ebenso gegen Fachpersonen mit viel Fronterfahrung welche einen moderaten Umgang mit dem Impfen während den Mutations und Wellenphasen (Immunflucht) verlangten, war entsetzlich. Die Macht eines Konzernes im Prügelstock von sinnvollen und sinnlosen Einschränkungen, etabliert durch eine Ja-Sager Task-Force ohne einen einzigen autarken fronterfahrenen Virologen hat Schaden angerichtet, welcher heute noch nicht ausgeleuchtet ist. Die Reichen wurden dabei 25% reicher in der Schweiz. Ich bin bisher nahezu voll durchgeimpft, doch jetzt ist mein Vertrauen in unser Gesundheitssystem tief erschüttert. Wer mehr als das 5fache Kapital für sein ganzes Leben, ungenutzt für die Volkswirtschaft, besitzt, ist außerhalb jeder Ethik.
Ist halt so mit dem menschlichen Grössenwahn und der Realität – letztere gewinnt immer.
Bei der Impfung besteht m.E. ein Denkfehler und ist eine Hybris / Grössenwahn.
In den Pandemieübungen der WHO, Pharma, Gesundheitsämter, Medien & Co. war jeweils der Plan, dass die Pandemie mit einer Impfung (einer echte Immunisierung) beendet werden würde.
Als Corona ausbrach schauten sie in deren Handbücher nach und da stand drin: Pandemie wird mit Impfung beendet, also wurde die Imfpung zu einer totalitären, absolutistischen Doktrin.
Dass die Leute ein Imunsystem haben und man dieses z.B. mit Vitamin D stärken kann, stand nicht im Handbuch, also wurde dieser Lösungsansatz radikal bekämpft.
Ein interessanter Beitrag den ich ergänzen möchte.
Eine Begründung für die höhere Mortalität bei jüngeren Altersgruppen könne sein, das sich diese nach der Impfung weniger gut schützten, weil sie nicht bedachten, das eine Impfung kein absoluter Schutz vor einer Ansteckung mit tödlicher Erkrankung ist.
Die Reaktion der Medien bestätigt den Buchtitel. Ausser einer recht kurzen Notiz in der NZZ am 11.3. sah ich keine Reaktion der Medien auf dieses Buch von renommierten Autoren, die moderat wichtige Überlegungen zu den Corona-Massnahmen anstellen.
Schön, dass Infosperber Auszüge aus dem Buch in Etappen veröffentlicht.
Es ist nämlich zu befürchten, dass die bisherige eigenartige Dramaturgie im Herbst weitergeht.
Ganz zentral ist für mich Abschnitt 2.2 mit folgender abschliessenden Bemerkung:
«… , entfällt die argumentative Grundlage für eine staatliche Nötigung zur Impfung.»
Es ist bedenklich, wie breite Kreise unserer Gesellschaft sich dieser grundlegenden Erkenntnis immer noch verschliessen.