Neue Beweise: Schweizer Flugzeuge und Gewehre in Kriegsgebieten
Ende Februar veröffentlichte «Lighthouse Reports» eine Recherche, die grösstenteils unterging. Das Investigativmedium hatte in Zusammenarbeit mit Schweizer Partnern die teilweise heikle Nutzung von Schweizer Waffen in den Konfliktgebieten der Welt zusammengetragen.
Zusammen mit RTS und SRF, der «NZZ am Sonntag» sowie der Plattform «Bellingcat» überprüften Journalistinnen und Journalisten monatelang Videoaufnahmen, Fotos, Dokumente und andere öffentlich zugängliche Unterlagen auf Hinweise.
Die beteiligten Medien veröffentlichten ihre Recherchen am 22. und 23. Februar. Am Tag darauf begann die russische Invasion in die Ukraine. Das führte dazu, dass die aktuellen Neuigkeiten eine wichtige Recherche überrollten.
Brasilien: «Spezialeinsätze» gegen die eigene Bevölkerung
In den Favelas von Rio de Janeiro führen schwer bewaffnete Sicherheitskräfte einen regelrechten Krieg. Die Auseinandersetzungen drehen sich vordergründig um Drogenkriminalität. Beide Seiten sind bewaffnet, nicht selten gibt es Tote. Das eingesetzte Militär und die Spezialeinheiten der Polizei gelten als brutal und schnell mit den Waffen.
2016, als die olympischen Spiele kurz bevorstanden, reagierte der Staat schon im Vorfeld repressiv, berichtete «Amnesty International» und beschreibt eine beklemmende Atmosphäre. 2015, ein Jahr zuvor, hatten bewaffnete Sicherheitskräfte in Maré ohne Vorwarnung das Feuer auf ein Auto eröffnet, das frühmorgens den Vorort passierte.
Vitor Borges, einer der Insassen, war mit Freunden auf dem Rückweg von einer Bar und wusste nicht, wie ihm geschah. Eine Kugel brach ihm eine Rippe, durchschlug die Lunge und verletzte seine Wirbelsäule, eine andere beide Beine. Der 29-Jährige überlebte, verlor ein Bein und ist in Folge querschnittsgelähmt. «Glück gehabt», sagt seine Mutter dennoch.
Übergriffe wie dieser sind häufig in Favelas wie Maré. Unschuldige trifft es immer wieder. Eine Untersuchung des Vorfalls gab es nicht. Die Schüsse wurden abgefeuert aus einem Schützenpanzer aus Schweizer Produktion, wie er sei 2014 in den Armenvierteln Rios zum Einsatz kommt. Ein Piranha der Mowag hat bei solchen «Spezialeinsätzen» eigentlich nichts zu suchen.
Das gepanzerte Fahrzeug war nicht auf Umwegen nach Rio gelangt, es wurde ganz direkt nach Brasilien verkauft. Bestimmt war es allerdings für einen UN-Einsatz Brasiliens in Haiti, wo die laut «NZZ» insgesamt dreissig bestellten Piranhas nie ankamen. Stattdessen verwenden Spezialeinheiten der brasilianischen Polizei und das Militär die Schützenpanzer im Inland. Ein Bild der dpa von 2018 zeigt einen Piranha im Einsatz in Rio.
Nach dem Kriegsmaterialgesetz ist es verboten, Waffen und militärisches Gerät in Länder zu liefern, die in innere oder äussere Konflikte verwickelt sind oder die Waffen zur Repression ihrer Bevölkerung einsetzen könnten. Trotzdem stammen ein Teil der Ausrüstung und auch viele Schusswaffen der brasilianischen Polizei aus deutschen und Schweizer Waffenschmieden, berichtete «Terre des Hommes» im vergangenen Jahr.
Zivile Opfer der PC-12 in Afghanistan
Dass Schweizer Waffen im Kampf gegen Drogenbanden in Brasilien eingesetzt werden, war vielleicht nicht voraussehbar. Anders bei Pilatus-Flugzeugen: Es war vorhersehbar, dass sie im Nato-Krieg in Afghanistan zum Einsatz kommen.
Als «fliegende Kommandozentrale» habe das Modell PC-12 eine entscheidende Rolle bei afghanischen Luftangriffen gespielt, sagt ein Fachmann. Aus dem Flugzeug wurde zwar nicht geschossen, für die Zielfreigabe war es aber wichtig.
Bei Einsätzen der afghanischen Armee habe es regelmässig viele zivile Opfer gegeben. Eine Folge von schlechten Informationen und schlechter Ausbildung, sagte der ehemalige Pentagon-Stratege Marc Garlasco zum SRF. Mit Opfern war also zu rechnen.
Aus Videos und öffentlich verfügbaren Daten stellten die Recherchepartner Belege dafür zusammen, wie und wo ein identifizierbares Flugzeug des Typs PC-12 im Afghanistankrieg eingesetzt wurde. Bei einem detailliert untersuchten Angriff der afghanischen Armee 2021 starben 12 Zivilisten.
Jetzt sind die Pilatus-Flieger Eigentum der Taliban
Exportiert worden waren diese und andere PC-12 als ziviles Gut. In den USA wurden die Flugzeuge von einer US-Firma umgebaut und gelangten über die US Air Force nach Afghanistan, wo sie seit 2015 von den afghanischen Streitkräften verwendet wurden. «Dank der PC-12 wurden mehr Einsätze geflogen», sagt ein Experte zum SRF, das die Recherche hier dokumentiert hat.
Details im Aufbau lassen darauf schliessen, dass Pilatus schon beim Bau wusste, dass das Flugzeug für kriegerische Überwachungsaufgaben verwendet werden würde. Pilatus nahm zu diesem Vorwurf nicht Stellung. Das betreffende Flugzeug sowie eine weitere PC-12, die das SRF auf Videoaufnahmen identifiziert hat, befindet sich jetzt im Besitz der Taliban.
Saudi-Arabien schiesst in Jemen mit Schweizer Gewehren
2015 blockierte das saudi-arabische Militär eine strategisch wichtig jemenitische Insel im Roten Meer. UN-Experten schätzen die Blockade als Verletzung des Völkerrechts und mögliches Kriegsverbrechen ein, weil sie humanitäre Hilfe für die Hanisch-Inseln blockierte. Auf Seiten der Saudis bei der Blockade mit dabei waren Gewehre des Schweizer Herstellers SIG Sauer.
Auf einem Video der saudischen Armee ist das Gewehr aus Schweizer Herstellung gut erkennbar. Welche Rolle eine dem Standard-Sturmgewehr sehr ähnliche Waffe bei der «Befreiung und vollständigen Säuberung der jemenitischen Hanisch-Inseln» spielte, die gegen das Völkerrecht verstösst, wollte SIG Sauer nicht kommentieren. Der Waffenhersteller in Schaffhausen befindet sich mittlerweile im Besitz einer deutschen Holding.
Die Journalistinnen und Journalisten haben noch weitere Videos gefunden, die nahelegen, dass die saudischen Streitkräfte das Sturmgewehr von SIG Sauer häufig benutzen. «Bellingcat» fand mindestens drei Fälle, in denen Gewehre von SIG Sauer aus der Schweiz im Jemenkrieg eingesetzt wurden. 2018 hatte bereits der «Blick» über Gewehre des Schweizer Herstellers in den Händen saudi-arabischer Militärs berichtet.
Waffen aus Europa in Konfliktgebieten
Waffen und militärisches Gerät aus Europa geraten immer wieder in Konfliktgebiete. Teilweise ist das absehbar, teilweise geplant, manchmal nicht vorhersehbar (Infosperber: «Europäische Waffen mischen in vielen Konflikten der Welt mit»).
Seit 2008 müssen Schweizer Behörden auch bei Maschinengewehren prüfen, ob die Käufer in externe und interne Konflikte verwickelt sind. 2006 hatte die Schweiz noch mehr als hundert Sturmgewehre für Saudi-Arabien bewilligt, schreibt die «NZZ».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
All die strengen Bestimmungen des Kriegsmaterialgesetzes, unter anderem das Verbot an kriegführende Staaten Waffen zu liefern, wird durch den folgende Passus relativiert: „In der Schweiz solle eine an die Bedürfnisse der Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität auch in Zukunft sichergestellt werden. Deshalb soll es in Zukunft möglich sein, unter gewissen Umständen Kriegsmaterialausfuhren nach Ländern, die in einen internen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, zu bewilligen.» Damit können eigentlich alle Exporte der grossen Rüstungskonzerne in der Schweiz, Rheinmetall, General Dynamics (Mowag), der bundeseigenen Rüstungsbetriebe und anderen Firmen bewilligt werden. Zum Beispiel wurde nach Saudiarabien, während dem dieses Regime im Jemen Krieg führte, von 2015 bis 2021 für 89,4 Mio. Fr. Kriegsmaterial geliefert. Bahrain das sich auch an diesem Krieg sich beteiligte kaufte für 20,9 Mio. Fr. Kriegsmaterial aus der Schweiz und die Arabischen Emirate 34,2 Millionen Franken.
Schweiz pflegt hohes Mass an Doppelmoral!
Die Schweiz ist neutral. Das heisst, sie hält sich aus bewaffneten Konflikten heraus und unterstützt keine Kriegspartei. Söldnertum – bis ins 18. Jahrhundert ein wichtiger Wirtschaftszweig der Schweiz – ist tabu. Doch schon seit Jahren kooperiert sie mit der NATO und der EU im Sicherheitsbereich. Wie passt das mit der Neutralität zusammen? Und überhaupt: Warum tut sie das?
Zahlreiche bisher neutrale europäische Staaten wie Belgien, Luxemburg, Dänemark oder Norwegen schlossen sich der Nato an, einem militärischen Verteidigungsbündnis. Gemäss traditionellem Neutralitätsrecht eigentlich ein No Go.
Seit Jahren kommt solches aus, seit Jahren bewilligt das Seco Waffenausfuhren.Ich frage mich tatsächlich wie unabhängig oder eben abhängig dieses Seco ist .
Das SECO führt aus was der Bundesrat und das Parlament beschliesst in Sachen Waffenausfuhr. Sie bewilligen Kriegsmaterialexporte an Nato-Staaten, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder Kriege führten. Im SECO arbeiten ausführende Beamte denen gesagt wird was sie machen müssen, so wir Angestellten in einer Firma.
International: 1.981 Milliarden US-Dollar investierten Länder weltweit 2020 in ihre Armeen. Das ist 132-mal mehr als die 15 Milliarden, die das Welternährungsprogramm in diesem Jahr benötigen würde. Laut der ICAN gaben die neun Nuklearwaffenstaaten im vergangenen Jahr 72,6 Milliarden US-Dollar für den Ausbau ihrer Arsenale aus. Das ist knapp 5-mal mehr als die 15 Milliarden, die das Welternährungsprogramm in diesem Jahr benötigen würde. Inflationsbereinigt haben die Ausgaben für die Nuklearrüstung der neun Atomwaffenstaaten 1,4 Milliarden US-Dollar mehr als 2019 betragen. Schweizer Geldinstitute investierten Stand November 2021 4,883 Milliarden in Firmen, die Atombomben produzieren.