Corona-Pandemie: Wer Medienkarriere machte
Wenn politische Aktionen erfolgreich sein wollen, brauchen sie Aushängeschilder, welche die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich ziehen. Wer die Diskussionen um die Massnahmen gegen die Corona-Pandemie verfolgt hat, konnte folgende Gruppe unmöglich übersehen haben: die Freiheitstrychler. Die Demonstranten mit ihren weissen Hemden und den schweren Kuhglocken auf den Schultern, die einen alten Brauch für politische Zwecke usurpierten, prägten lange die Nachrichten des vergangenen Jahres. Unter den Massnahmenkritikern waren sie die auffälligsten Akteure und lösten entsprechend das grösste Medienecho aus.
Das zeigt eine Auswertung des Unternehmens «Blue Ocean-SWS», das computergestützte Analysen der digitalen Kommunikation erstellt. Geschäftsführer Leo Keller hat für «Infosperber» Daten im Hinblick auf die Corona-Pandemie ausgewertet. Er berücksichtigte dabei die entsprechenden Beiträge und Publikumskommentare der digitalen Medien wie auch die Interaktionen auf sozialen Netzwerken, sei dies in Form von Kommentaren, Weiterverbreitungen (Shares), Likes oder Tweets.
Wie die folgende Grafik zeigt, verstärkten die Massnahmenkritiker vor allem im vergangenen Herbst die kommunikativen Aktivitäten. Damals fanden zahlreiche Kundgebungen statt, nicht zuletzt im Hinblick auf die Volksabstimmung über die Corona-Gesetzgebung. Im Vergleich zu zwei anderen Protagonisten der Kritiker, Michael Bubendorf und Nicolas Rimoldi, überstrahlten die Freiheitstrychler die Kommunikationsereignisse. Auch Andreas Benz, Initiant der Freiheitstrychler, blieb völlig im Hintergrund. Einen Höhepunkt erreichten die Aktionen im September. Die Zustimmung des Volks zum Covid-Gesetz am 28. November versetzte den Gegnern indessen einen schweren Dämpfer. Die mediale Aufmerksamkeit brach ein. Erst im Februar 2022 flackerte sie wieder auf.
Wenn man das Brennglas etwas schärfer einstellt und die Medienkarriere der drei genannten Personen in den Blick nimmt, fällt auf, dass Nicolas Rimoldi als Präsident von «Mass-Voll» im Zweijahresvergleich eine bessere Performance gelang als Michael Bubendorf. Letzterer erzielte zwar kurzfristig relativ hohe Aufmerksamkeit, verschwand aber schnell wieder von der Medienbühne. Den grössten Widerhall erwirkte er am 3. August 2021 mit seinem Auftritt im «Club» des Schweizer Fernsehens, wo er sich mit einer libertären Haltung positionierte. Seine Aussage, er sei selbst dann gegen staatliche Massnahmen, wenn 80 Prozent der Bevölkerung am Virus sterben würden, mobilisierte kritische Stimmen. Bubendorf wurde erst wieder mehr wahrgenommen, als im Dezember die Konflikte innerhalb der Freunde der Verfassung thematisiert wurden und sein Abgang bei dieser Vereinigung publik wurde.
Auffällig ist im Weiteren, dass Twitter eine starke Rolle bei den Diskussionen und Wortgefechten um die Corona-Epidemie spielte. Grosse Reichweiten erzielten die Freiheitstrychler aber vor allem mit den Massenmedien. Dabei spielte insbesondere der «Blick» eine wichtige Rolle. Er publizierte dazu doppelt bis dreimal so viele Beiträge wie die anderen grossen Medienkanäle (msn, srf, 20min.ch, bluewin, nzz, tagesanzeiger). Überdurchschnittlich intensiv war auch die Beteiligung des Publikums; sie war beim «Blick» zudem deutlich stärker als auf den ebenfalls populären Plattformen von «20 Minuten». Ohnehin waren die Freiheitstrychler ein ausgeprägtes Deutschschweizer Medienphänomen.
Berücksichtigt man allerdings die Medienresonanz der staatlichen Akteure, relativiert sich die mediale Kraft der Massnahmenkritiker. Dann zeigt sich, dass Gesundheitsminister Alain Berset die Medienbühnen klar prägte. Er bekam am meisten Aufmerksamkeit. Nur die Freiheitstrychler konnten ihm im August und September 2021 ein bisschen die Show stehlen, wie die folgende Grafik zeigt.
Im Verlauf der Pandemie hat das mediale Übergewicht von Berset sogar zugenommen. Das illustriert die Grafik mit der Anzahl Beiträge über Berset, dies im Vergleich mit den Beiträgen über seine führenden Fachleute. Auffällig ist die starke Präsenz von Daniel Koch, der als Chef der Abteilung für übertragbare Krankheiten zu Beginn das prägende Gesicht der Krise war. So viel Aufmerksamkeit fand keiner der anderen Fachleute mehr.
Die Medienkarriere der Corona-Akteure fand vor einem Monat ein jähes Ende. Der Überfall Russlands auf die Ukraine verdrängte das Gesundheitsthema fast völlig aus den Schlagzeilen. Das macht die folgende Grafik augenfällig. Der geopolitische Konflikt um die Ukraine, der im vergangenen Herbst in medialer Hinsicht nur leicht vor sich hin köchelte, absorbierte mit dem Beginn der militärischen Aggression die medial vermittelte Öffentlichkeit.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Moin!
Als deutscher Leser des infosperber (und also in ständiger Nabelschau befangen 😉 ) habe ich hier zum ersten Mal von den «Freiheitstrychlern» gelesen. Interessanter Artikel!
Was mir aber aufgefallen ist und ein wenig Stirnrunzeln verursacht, ist die gnadenlose Personalisierung der Bewegung. Wird hier etwa ein Herr Bubendorf zum «Putin der Maßnahmenkritiker» aufgebaut? 😉 SCNR
Was für eine «kurzsichtig, eingeschränkte» Betrachtung. Als ob z.B. Bubendorfer sich jemals bemüht hätte Medienpräsenz zu erlagen. Wer in kennt weiss, dass es ihm immer um die Sache ging.
Zudem habe sich längst schon alternative Medien etabliert, wo Berset höchsten etwas auf die Schippe genommen wird, aber sicher messbare Relevanz hatte.
Der Artikel ist schlicht falsch betittelt ! Richtig wäre «Wer Mainstream-Lügen-Medienkarriere machte»
sollte heissen KEINE messbare Relevanz
Der Artikel befasst sich nicht mit den Motiven der Akteure. Zudem sind in der Datenerfassung nicht nur die sogenannten Mainstream-Medien erfasst.
Die „Freiheitstrychler“ haben einen halben Mitglöckner im Bundesrat. Das erhöhte ihre Medienresonanz zusätzlich.
Die Analyse zeigt vor allem, dass die Medien dem Bundesrat sehr viel Plazt einräumten.
Die Trychler befriedigten wohl auch das Bedürfnis der Medienschaffenden, die Andersdenkenden als Hinterwäldler darzustellen.