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An manchen Orten Afrikas müssen Menschen ums Essen streiten © pinimg

Rekordpreise für Grundnahrungsmittel: Die Not fördert Migration

Susanne Aigner /  Hunger und Fehlernährung nehmen zu. Menschen im globalen Süden sind am meisten betroffen.

Die weltweiten Lebensmittelpreise erreichten im Januar 2021 den höchsten Stand seit 2011. Das geht aus dem aktuellen Bericht der FAO hervor. Damals hatten explodierende Lebensmittelpreise neben Korruption und Vetternwirtschaft zu politischen Aufständen in Ländern Nordafrikas wie Ägypten und Libyen geführt. 

Die Gründe der Preissteigerungen sind vielfältig: klimabedingt vermehrte Dürren, extremer Frost, Kriege, aber auch Transportausfälle und zahlreiche andere Folgen der Coronamassnahmen. 

In Afrika doppelt so viel Menschen gefährdet wie  2018

Den Angaben der Welthungerhilfe zu Folge hungern weltweit 811 Millionen Menschen. Viele andere Menschen sind fehlernährt. Einer der Gründe sind seien die steigenden Preise für Grundnahrungsmittel wie Getreide, Milchprodukte oder Speiseöl, erklärt Rafaël Schneider, stellvertretender Leiter der Politik-Abteilung der Welthungerhilfe. Das führe dazu, dass Familien auf ganze Mahlzeiten verzichten und stattdessen billigeres Essen kaufen, das ungesund ist, erklärt Schneider. Zwingen Eltern ihre Kinder zusätzlich dazu, Geld zu verdienen, nimmt auch die Kinderarbeit wieder zu. Allein in Afrika sind mehr als hundert Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen – doppelt so viele wie seit 2018, schätzt Joseph Siegle, Forschungsdirektor am Africa Center for Strategic Studies der National Defense University. 

Die Folgen der gestiegenen Lebensmittelpreise sind beispielsweise in Ägypten zu spüren: Von rund 100 Millionen Einwohnern etwa lebt ein Drittel der Menschen unterhalb der nationalen Armutsgrenze. In vielen Familien müssen Kinder Geld verdienen, um die Familie mit zu ernähren. Die Arbeitslosigkeit im Land liegt derzeit bei elf Prozent. Bei den 15- bis 24-Jährigen sind mehr als 30 Prozent arbeitslos. 

Je abhängiger von importierten Lebensmitteln, desto schlimmer

Wie die Daten des IWF zeigen, stiegen die Lebensmittelpreise im Dezember 2021 weltweit um durchschnittlich 6,85 Prozent. Das war der höchste Preisanstieg seit 2014. Am meisten bekommen dies Menschen in Ländern zu spüren, die von importierten Lebensmitteln abhängig sind. Diese Abhängigkeit hat sich wegen der Globalisierung stark erhöht. In Afrika, im Nahen Osten und in Lateinamerika müssen die Menschen 50 bis 60 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, erklärt der US-Ökonom Maurice Obstfeld, der als Professor für Ökonomie an der Universität Berkeley unterrichtet. Die Ärmsten unter den Armen brauchen sogar ihr ganzes Einkommen für Nahrungsmittel.

Zum Vergleich: In Industrieländern liegen die Ausgaben für Lebens- und Genussmittel zwischen 10 bis 30 Prozent. 

In Mexiko erreichte die Teuerung der Lebensmittel im November den höchsten Stand seit mehr als 20 Jahren. Einfache Hausangestellte in Mexiko-Stadt müssen wie alle ärmsten Haushalte rund die Hälfte ihres monatlichen Einkommens für Lebensmittel ausgeben. 

In Russland, Brasilien, Türkei und Argentinien verloren die nationalen Währungen gegenüber dem Dollar an Wert, so dass die Importe teurer wurden.

Soja, Mais und Weizen besonders betroffen

Für viele fast unerschwinglich geworden sind ausgerechnet einige Grundnahrungsmittel. Der Preis für Sojabohnen stieg von April 2020 und Dezember 2021 um 52 Prozent, bei Mais und Weizen erreichte die Preissteigerung 80 Prozent. Ursache dafür sind vor allem die letztjährigen schwere Dürren und extremer Frost in Brasilien. Auf den Feldern verwelkte der Mais. Es kam zu massiven Ernteausfällen. Auf der anderen Seite hatte das Chaos in der Logistik höhere Frachtpreise zur Folge.

Mancherorts stiegen die Preise bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. Zum Beispiel in Mosambik: Im Norden des Landes führten bewaffnete Konflikte dazu, dass sich der Preis von Maniokmehl von März bis Mai 2021 um 45 Prozent erhöhte. Darunter hatten vor allem jene Familien zu leiden, deren Einkommen ohnehin durch die Pandemie und deren Massnahmen stark geschwächt wurde.

In Äthiopien, wo die Lebensmittelpreise in den letzten 13 Jahren um bis zu 70 Prozent anstiegen, führten neben pandemiebedingten fragilen Lieferketten Missernten und Krieg zu wirtschaftlichen Einbrüchen. Hier rechnet die Welthungerhilfe mit einer Jahresinflationsrate von mehr als 35 Prozent. Gleichzeitig stehen rund 80 Prozent der Bevölkerung weniger als zwei US-Dollar pro Tag zur VerfügungVerschärft wird die Armut durch den Konflikt in der äthiopischen Region Tigray. Der Krieg und die Vertreibung von fast zwei Millionen Menschen beeinträchtigt  nicht nur den Handel, sondern  auch den Zugang zu humanitärer Hilfe.

Westafrika – Hungern wegen Dürren, Inflation und Gewalt

Ähnlich haben in ganz Westafrika höhere Preise das Elend rasch vergrössert. In manchen Regionen geben die Menschen 70 Prozent ihres Einkommens für Nahrung aus. Die Gefahr von Hunger und Unterernährung ist im urbanen Raum am grössten, weil Menschen in der Stadt weniger eigenes Gemüse angebauten oder eigene Tiere für die Selbstversorgung gehalten werden.

Im Norden und Osten von Burkina Faso kam es kürzlich zu Angriffen durch Terrorgruppen. Felder und Lebensmittellager brannten, Nahrungsmittel wurden vernichtet. Die Bauernfamilien flohen aus den Dörfern  in die Städte. Vielerorts fehlt es an Nahrung, aber auch an Düngemitteln. Auch in Folge der Pandemie steigen in den Städten die Preise von Reis und Hirse.  Importe aus den Nachbarländern blieben aus. Eine Dürre im Norden des Landes verschlimmerte die Lage zusätzlich. Laut Prognosen der FAO werden im Juni und August 2022 voraussichtlich 2,6 Millionen Menschen von «schwerer Ernährungsunsicherheit» betroffen sein.

Simbabwe: Einseitiges, ungesundes Essen 

Die allgemeinen Corona-Beschränkungen und Lockdowns haben die Lage vielerorts massiv verschärft: In Simbabwe mussten viele Unternehmen in den Städten ihre Produktion herunterfahren. Vor allem die Tagelöhner traf es hart, verloren sie doch von einem Tag auf den andern ihre Einkommen. Wegen hoher Arbeitslosigkeit und mangelnden Jobs geht vielen Familien das Geld aus. Im Durchschnitt geben Haushalte im ganzen Land  bereits mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. Deshalb wurden im letzten Jahr meist billigere und ungesunde, statt abwechslungs- und nährstoffreiche Nahrung gekauft. So besteht das Nationalgericht Sadza aus purem Maismehl. Nur wer es sich leisten kann, serviert es mit Gemüse oder Fleisch. Der Preis für ein Kilo Maismehl jedoch war im Dezember 2021 auf den Märkten um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Bohnen und Speiseöl sind noch teurer geworden. Obwohl die letztjährige Ernte nach zwei Dürrejahren zufriedenstellend war, reichte sie nicht aus, um die leeren Lager wieder aufzufüllen. Hinzu kommen erhöhte Benzin- und Transportpreise

Unter dem Strich erhöhen die stark gestiegenen Nahrungsmittelpreise die Kluft zwischen wohlhabenden Industrienationen und Hunderten von Millionen in Armut lebenden Menschen auf der Südhalbkugel. Oft leiden ausgerechnet jene Länder unter der grössten Armut, aus denen Palmöl, Kaffee, Kakao, exotische Früchte, seltene Erden und all jene Rohstoffe stammen, auf denen sich unser westlicher Wohlstand gründet. Experten fürchten, dass Nahrungsunsicherheit und ungerechte Verteilung zunehmen, was in den betreffenden Ländern vermehrt soziale Unruhen auslösen und die Auswanderung nach Europa erhöhen könnte.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Hunger

Hunger und Fehlernährung weltweit

Alle Menschen auf der Erde können sich nicht so ernähren wie wir. Der Kampf um fruchtbare Böden ist im Gang.

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Eine Meinung zu

  • am 28.02.2022 um 15:05 Uhr
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    Der Hungerwinter 2022/23 liegt vor uns….
    Hunger wird in diesem Winter verschärft um die Welt gehen und viele Opfer fordern. Eine globale Hungersnot steht uns bevor. Bereits zu Beginn des Lockdowns im Frühjahr 2020 wurde von vielen Internationalen Organisationen davor gewarnt. Denn die Handelsströme wurden durch die Maßnahmen massiv behindert, versiegten an manchen Orten sogar ganz, und die Preise für Waren und Lebensmittel sind folglich global angestiegen. Eine Folge der Pandemie, aber auch der Fokussierung auf die Pandemie und der Politik, die damit einherging.
    Natürlich schlagen solche Entwicklungen in Krisenregionen, in denen die lokale Versorgung wegen Krieg, aber auch Dürre und vor bestehender Armut, besonders schlecht ist, als erstes durch. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Hunger in diesem Winter nicht nur in Afrika herrschen wird. Wir hören von Nordkorea, von Afghanistan und erwarten sogar in Syrien Hungersnöte. Der Rest der Welt wird die höheren Preise für Lebensmittel wohl tragen können, wenn auch mancherorts mit knapper Not.

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