Den Grünliberalen winkt ein SP-Sitz im Bundesrat
In der jüngsten Präsidenten-Arena des Schweizer Fernsehens ging es (ab Minute 109) nach Corona und EU-Problemen auch um die Zusammensetzung des Bundesrates, um die «Zauberformel». Derzeit lautet diese: je zwei Mandate für die SVP, für die SP und die FDP und eines für die Mitte (ehemals CVP). Diese Formel habe «ausgezaubert», verkündete der Präsident der Grünliberalen(GLP), Nationalrat Jürg Grossen, in der Diskussion. Und der Chef der «richtigen» Grünen, der Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli flehte die Runde schon fast verzweifelt an, im Bundesrat sollte doch die ganze Bevölkerung möglichst breit vertreten sein. Das sei «die Grundidee der Zauberformel». Aber seine Grünen seien derzeit mit gar keinem Sitz «die am meisten untervertretene Partei» in der Landesregierung.
Fast 22 Prozent für Grüne und Grünliberale – aber kein Bundesrat
Das stimmt wohl – aber nach neusten Umfragen nur knapp: Da hat die SVP als stärkste Partei mit nun wieder 27% Zustimmung klar Anrecht auf ihre zwei Leute in der Regierung. Und die Mitte (CVP) ist mit 13,3% der Wählenden und einer Bundesrätin auch etwa angemessen vertreten (100 durch 7 ergibt ja 14,3% Wähleranteil für ein Mandat). Klar übervertreten ist mit nur 15,4% und einer Bundesrätin und einem Bundesrat hingegen die FDP. Die SP mit nun nur noch 16,2% Zustimmung und immer noch zwei Bundesratssitzen auch zusehends.
Insgesamt sind – unter Einbezug ohnehin chancenloser Kleinparteien – nicht einmal 70% der Wählerschaft in der Landesregierung repräsentiert. Das ärgert vorab die stärksten der Habenichtse. Das sind die Grünen mit derzeit 11,7% Wähleranteil – und die Grünliberalen mit nun auch schon 10,2%. Dass diese zwei mit zusammen 21,9% Wähleranteil einen Bundesrat haben sollten, war in der Arena weitgehend unbestritten. Doch Grossen und Glättli protestierten im Chor gegen diese kombinierte Sichtweise. Und der schlaue Moderator wunderte sich: «Sie tragen doch beide den Namen Grün.»
Der Schlaumeier-Vorschlag der GLP für eine neue Zauberformel
Das schon, räumten die GLP-Leute ein. Jedoch: Nur einfach der FDP als schwächster der Doppelsitz-Parteien ein Bundesratsmandat weg zu nehmen und es den Grünen als stärksten Habenichtsen zu geben (wie es diese vorschlagen), fände im Parlament sicher keine Mehrheit. Da würde die Landesregierung ja mit drei Links-Grünen arg nach links rutschen. Deshalb die Idee der GLP für eine neue Zauberformel: zwei Mandate für die SVP und dann je eines für FDP, Grünliberale(GLP), Die Mitte, die Grünen und die SP.
Den Wähleranteilen würde diese neue Zauberformel (2 und 5 mal 1) sicher am ehesten entsprechen.
Die GLP weiss indes genau, dass dieser ihr Vorschlag eine Schlaumeierei ist. Im Bundesrats-Wahlkörper namens Vereinigte Bundesversammlung gelten nämlich andere Macht- und Mehrheitsverhältnisse: Sie ist deutlicher rechts-bürgerlich, als der Nationalrat, auf den sich die erhobenen Wähleranteile beziehen (Umfrage: Wem würden Sie Ihre Stimme geben, wenn nächsten Sonntag Wahlen wären?). Im Ständerat der auch zur Versammlung dazu gehört, sind die Rechtsparteien SVP, Mitte und FDP noch dominanter als in der Volkskammer.
Gewählt werden die Bundesräte nach dem Majorz- und nicht dem Proporz-System. Parteienstärken nach Wähleranteilen werden dabei nur freiwillig – und oft willkürlich – berücksichtigt, oder auch nicht.
Darum wird dieses Regierungs-Wahlgremium niemals sowohl eine(n) Grüne(n) als auch gleich eine(n) Grünliberale(n) in einen neu ausformulierten Bundesrat wählen – auf Kosten des rechtsbürgerlichen Freisinns schon gar nicht.
Die bürgerlich-grüne GLP passt zur rechten Mehrheit in den Räten
Die FDP ist nach den neusten Erhebungen zudem im Aufwind und liegt nun nicht einmal mehr einen Prozentpunkt hinter den Sozialdemokraten, die ihrerseits eher schwächeln. Dass die Banken- und Wirtschafts-Partei den Aargauer Ständerat Thierry Burkart von ihrem rechten Flügel zum neuen FDP-Präsidenten erkoren hat, gibt ihr zusätzlichen Rückhalt bei der stärksten Partei im Wahlkörper Bundesversammlung, bei der SVP rechts im Saal.
Sollte die SP bei den Wahlen 2023 hinter die FDP zurückfallen, wäre darum einer ihrer zwei Sitze in der Landesregierung sofort akut bedroht – und sicher nicht eines der FDP-Mandate.
Bedroht nicht aber durch die Grünen, sondern durch die Grünliberalen. Sie haben sich mit ihrer Quadratur des Kreises einer liberalen Wachstumspolitik im grünen Mäntelchen bei der bürgerlichen Versammlungsmehrheit seit Jahren kontinuierlich angedient. Und diese Mehrheit würde «das grüne Element» auch dann vorzugsweise aus den Reihen der GLP in die Landesregierung delegieren, wenn die richtigen Grünen (die sie ohnehin als Linke betrachtet) am Wahlsonntag noch ähnlich knapp vor diesen Bürgerlich-Grünen abschneiden würden, wie derzeit in den Umfragen.
Ereilt der Fluch der bösen Tat bald Linke und Grüne?
Nicht aber auf Kosten der Freisinnigen, die nach kurzen Ausflügen ins Grüne unter Präsidentin Petra Gössi nun wieder stärker nach rechts driften – sondern auf Kosten der SP. Deren Vorsprung auf die FDP liegt mit 0,8 Prozentpunkten jetzt nur noch im Streubereich der Umfragen. Und einen der SP-Sitze den Grünliberalen zuzuschanzen könnte für SVP und FDP mit Hilfe einiger Rechter aus der «Mitte» ein geradezu verlockendes Szenario darstellen.
Dies umso mehr, als sich vorab die SVP ob einem solchen Manöver, mit dem Linke und Grüne gleichermassen auf einen Schlag ausgeluvt würden, kaum zu genieren bräuchte. SVP-Parteichef Marco Chiesa lachte in der Arena jedenfalls süffisant, als der Grüne Glättli plötzlich auf eine Bundesrats-Zauberformel nach Massgabe der Wähleranteile pochte.
Der Tessiner erinnerte den Zürcher daran, dass auch die Grünen während Jahrzehnten immer wieder mitgeholfen hätten, seiner SVP einen zweiten Sitz in der Landesregierung zu verweigern, als sie schon lange weit über 20 Prozent Wähleranteil hatte. Die Grünen hatten auch sofort mitgezogen, als die SP die Abwahl des SVP-Bundesrates Christoph Blocher vorbereitete und durchzog.
SP-Co-Chef Cedric Wermuth mochte in der Arena darum schon gar nicht mehr über die Sitzverteilung im Bundesrat nach Wähleranteilen diskutieren: «Das interessiert mich nicht.» Er redete lieber wenig konkret darüber, dass es gelte «das Land zu verändern».
Grünliberale haben bessere Karten als die Grünen
Aber Wermuth ist besorgt. Dem SonntagsBlick klagte er am 9. Januar: «Ich bin überzeugt, dass die Bürgerlichen ernsthaft überlegen, den Grünen einen SP-Sitz im Bundesrat zu geben.» Das stimmt wohl genau – bis auf ein Wort jedoch, das die Lage für Wermuth und für Glättli gleichermassen viel gefährlicher macht: nicht «den Grünen», sondern wenn schon «den Grünliberalen».
Oder es bleibt dann doch alles beim Alten. Mitte-Präsident Gerhard Pfister warnte in der Arena: «Man sollte amtierende Bundesräte nicht abwählen, wenn sie wieder antreten wollen.» Es gehe ja auch um Kontinuität.
Zumindest für Wermuth und seine SP war das ein kleiner Hoffnungsschimmer. Die SP stellt mit Simonetta Sommaruga (BE) und Alain Berset (FR) derzeit zwei Mitglieder der Landesregierung, die profiliert und kaum bestritten sind – und Ende 2023 wohl nochmals kandidieren werden.
Wermuth wird sich mit diesen zwei SP-Leuten im Bundesrat so eventuell in eine vierjährige Verlängerung der momentanen Zauberformel retten können. Glättli hingegen sieht für seine Grünen die Felle bundesrätlicher Machtteilhabe zusehends in Richtung GLP davonschwimmen. In der TV-Präsidentenrunde auf den hinteren Bänken platziert, war der Chef der Grünen darum der Nervöseste – und irgendwie auch der Bedauernswerteste.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Warum nicht auf Kosten der serbelnden FDP. Die GLP ist ja selbst eine bürgerliche Partei bzw. ein greenwashter Klon der FDP.
Früher hätte mich, als Grüner, der hier formulierte Gedanke empört, eine(n) SP-BR abzuwählen statt eine(r) FDP-BR. Seitdem die «Republik» vermeldet hat, dass BR Cassis sich für den französischen Kampfjet stark machte, und beide SP-BR für den amerikanischen, bin ich nicht mehr so sicher ob der Bedeutung des Parteibuchs. Aber wenn schon, ist ein(e) BR der GP und nicht der GLP angezeigt.
Guter Vorschlag der GLP – sollte man umsetzten.
Da kleine Parteien kaum Chancen auf Sitze im Ständerat haben, stellt die Sitzverteilung im Nationalrat sicherlich die bessere Referenz zur Bestimmung der Zusammensetzung des Bundesrates dar, als die Zusammensetzung der Bundesversammlung.