Kommentar

Wohnungspreise stiegen allein im letzten Jahr um 7 Prozent

Werner Vontobel © zvg

Werner Vontobel /  Die Rezepte von rechts und von links für finanzierbares Wohnen übersehen, dass Wohnraum ein öffentliches Gut ist.

Die Immobilienpreise steigen und steigen. Gemäss Angaben des Immobilienberatungsunternehmens Iazi sind die Eigenheimpreise im Zeitraum 2000 bis 2020 in der Schweiz real um 70 Prozent gestiegen. Allein im letzten Jahr waren es rund 7 Prozent. Bei den Reallöhnen betrug der Zuwachs seit 2000 hingegen nur knapp 16 Prozent. Da wundert es nicht, dass die Wohnungsnot auch bei den anstehenden Stadtratswahlen in Zürich die zentrale Rolle spielt. 

Dabei läuft die Debatte nach dem bekannten Schema ab. Von links wird in etwa so argumentiert: Pensionskassen und Immobilienfonds kaufen immer mehr Wohnungen auf und verlangen den Maximal- bzw. Marktpreis. Deshalb muss auch der Staat Wohnungen kaufen und günstig bzw. zu kostendeckenden Preisen vermieten. Für die Stadt Zürich etwa fordert die SP den Kauf von jährlich 500 Wohnungen, wozu 250 Millionen Franken zur Verfügung gestellt werden sollen.

Da ist etwas dran, wie folgende Modellrechnung zeigt: Kauft ein privater Investor ein Mietobjekt für eine Million Franken, kann er mit einer Nettocashflow-Rendite (nach Abzug aller Kosten) auf Mietwohnungen von 3,2 Prozent rechnen. Das geht aus dem Immomonitoring 2020 von WuestPartner hervor. Gemäss derselben Quelle haben die Investoren von einer Preissteigerung von 3,7 Prozent profitiert. 

Das bedeutet, dass unser Investor von seinem Mieter einen Reingewinn aus Vermietung in Höhe von 32’000 Franken eintreiben kann (3,2 Prozent). Zudem kann er davon ausgehen, dass er die Miete periodisch im Ausmass der Preissteigerung der Immobilien erhöhen kann.

Der Mieter wird doppelt geschröpft

Kauft der Staat dieselbe Immobilie, kann er sich mit – sagen wir – 1,5 Prozent Nettorendite zufrieden geben und auf jährliche Erhöhungen verzichten. Der Mieter spart also im ersten Jahr monatlich rund 1400 Franken, im zweiten schon 1500 Franken usw. Der «Staatsmieter» ist somit in etwa gleich «privilegiert», wie jemand, der dieselbe Wohnung kaufen und mit günstigen Hypotheken finanzieren kann.  

Die Modellrechnung zeigt auch, dass der private Mieter zweimal geschröpft wird: Erstens durch die Herren des Grundes, beziehungsweise durch die hohen Immobilienpreise. Zweitens durch die Herren des Geldes und deren Renditeansprüche. Wenigstens diese zweite Schröpfung wird durch die Staatsintervention vermieden.

Das Problem mit dieser linken Lösung – und darauf weisen rechte Politiker in Streitgesprächen regelmässig hin – ist ein Zweifaches: Erstens sind die Mittel des Staates beschränkt. Statt auf diese Weise nur wenigen «Privilegierten» zu einer billigeren Miete zu verhelfen, sollte der Staat lieber Zuschüsse an diejenigen zahlen, die es wirklich nötig haben. Zweitens: Steigt mit dem Staat ein weiterer Anbieter in den Ring, steigen die Preise erst recht. Ergo schlägt die Rechte vor, allen zu helfen, indem man «den Markt spielen lässt». Werde das Angebot etwa durch Einzonungen, Aufstockungen und schnellere Baugenehmigungen erhöht, sinken tendenziell auch die Preise. Baue man zudem den Nahverkehr aus, würden auch billigere Wohnungen in Randgebieten attraktiv. 

Lage, Lage, Lage – Bausubstanz ist weniger wichtig

Doch dieser Ansatz leidet unter einer doppelt falschen Auslegung der ökonomischen Theorie. 

  1. Der Preis hängt zumindest langfristig nicht von Angebot und Nachfrage ab, sondern umgekehrt: Der Preis dirigiert. Liegt er über den Kosten, steigt das Angebot und die Nachfrage sinkt, liegt er darunter sinkt das Angebot und die Nachfrage steigt. Letztlich wird der Preis – in diesem Marktmodell – durch die Kosten bestimmt. Darin liegt ja der Charme des Marktes, dass er erstens die Preise in Richtung Kosten drückt und dass diese dank der Konkurrenz tendenziell sinken. Auf diese Weise sorgt der Markt dafür, dass knappe Güter gesamtgesellschaftlich optimal produziert und verteilt werden.
  2. Diese Marktgesetze gelten nur für private Güter. Eine Wohnimmobilie ist aber – in wesentlichen Teilen – ein öffentliches Gut. Fragt man Immobilienfachleute nach den drei wichtigsten Bestimmungsgrössen für den Preis, lautet die Antwort immer: Erstens Lage, zweitens Lage, drittens Lage.  Die Bausubstanz ist weniger wichtig. Auch Abbruchobjekte können Rekordpreise lösen, wichtig ist bloss, dass die Lage stimmt. 

Der Umzug entwertet soziales Kapital

Die Lage ist aber ein öffentliches Gut. Sie hängt in hohem Masse von öffentlichen Investitionen in Schulen, Krankenhäuser, Verkehrswege usw. ab. Auch tiefe oder hohe Steuersätze treiben die Immobilienpreise nach oben oder unten. Wichtig für die Lage sind auch Verkaufsläden und Kultureinrichtungen. Ökonomen reden von einem Club-Gut, dessen Wert davon abhängt, dass möglichst viele – und die Richtigen – mitmachen. Der Wert eines Ladenlokals etwa hängt entscheidend davon ab, wie viele konsumfreudige und zahlungskräftige Leute in der Nähe wohnen.

Mieter sind beschränkt mobil

Das bringt uns zur sozialen Dimension des Wohnorts. Wir Menschen sind soziale Wesen. Ein dicht gewobenes Beziehungsnetz ist wichtig für unser Wohlbefinden und für die Gesundheit. Mit einem Wohnungswechsel wird ein beträchtlicher Teil dieses sozialen Kapitals vernichtet. Von der Mühsal und den finanziellen Kosten eines Umzugs ganz zu schweigen. Aber auch unsere politischen und sozialen Institutionen, Vereine, Parteien, Parlamente usw. sind darauf angewiesen, dass es genügend sesshafte, lokal und regional verankerte Bürgerinnen und Bürger gibt. Auf Treibsand kann man keine Demokratie bauen. 

Die mobile Oberschicht betreibt Wohnortarbitrage

Diese wenigen Überlegungen sollten klar machen, dass man an den Wohnungsmarkt nicht dadurch optimieren kann, dass man ihn den Gesetzen von Angebot und Nachfrage und dem individuellen Nutzenkalkül überlässt. Genau dies geschieht aber immer mehr. Die Grossbanken veröffentlichen zuhanden ihrer solventen Kundschaft periodisch Studien, die zeigen, an welchen Wohnorten man bei welcher Vermögens- und Einkommensklasse seine Steuern und Wohnkosten minimieren kann. Und weil die guten Steuerzahler immer mobiler werden, richten die Gemeinden und Länder ihre Steuerpolitik zunehmend darauf aus, reiche Steuerzahler anzuziehen.  

Wohnungsmarkt spaltet Gesellschaft

Die dadurch punktuell stark steigenden Immobilienpreise und Mieten wiederum führen dazu, dass die weniger zahlungskräftigen Familien in die Vororte vertrieben werden. Dort sind zwar die Mieten noch einigermassen tragbar, dafür steigt der zeitliche und finanzielle Aufwand für den Arbeitsweg. Und weil es in den Vorortsgemeinden weniger gute Steuerzahler gibt, werden auch öffentlichen Dienstleistungen tendenziell schlechter.  So dividiert der Wohnungsmarkt Gesellschaft immer mehr auseinander.

Die zunehmende Ungleichheit treibt die Immobilienpreise in die Höhe. Aber die Immobilienpreise treiben ihrerseits die Ungleichheit an. Die grösste Nachfrage nach Wohnungen kommt heute nicht von Leuten, die (besser) wohnen wollen, sondern, von den rund 10 Prozent, die deutlich mehr verdienen, als sie selber verkonsumieren und verwohnen können. Sie müssen ihr überflüssiges Geld irgendwie anlegen, und da gibt es kaum etwas Lukrativeres als Mietimmobilien, vor allem, wenn man sie mit billigen Hypotheken finanzieren kann. Siehe oben.  

Diese Oberschicht profitiert als erste davon,

  • wenn sie dank Aufstockung noch mehr Mieter in ihre Immobilien bringt; 
  • wenn abgelegene Lagen dank staatlichen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur aufgewertet werden; 
  • wenn sie dank staatlichen Wohngeldern den einkommensschwachen Mietern monatlich ein paar Hundert Franken mehr abknöpfen kann. 

Die von der Rechten vorgeschlagenen Lösungen führen also – mit hoher Wahrscheinlichkeit – nicht zu tieferen Mieten, sondern bloss dazu, dass die Reichen noch reicher werden. Bei Äpfel und Birnen, Autos, Möbeln und TV-Geräten mag der Marktmechanismus für eine optimale Produktion und Zuteilung sorgen. Bei «Gütern» wie Wohnraum oder Arbeit sollte man schon etwas umfassendere Überlegungen anstellen.

Berücksichtigt man all dies, dann verliert die Variante «den-Markt-noch-mehr-spielen-lassen» viel von ihrem falsch verstandenen marktwirtschaftlichen Charme. Statt die Mieten zu senken, dürfte sie die Umverteilung von unten nach oben weiter beschleunigen und damit das Problem verschärfen.

Doch was ist die Alternative? 

Die Alternative fängt mit der Einsicht an, dass Wohnimmobilien ein öffentliches Club-Gut sind. 

Das wiederum würde den ketzerischen Gedanken erträglicher machen, dass der Staat den vom ihm und den anderen Clubmitgliedern geschaffenen Mehrwert abschöpfen und rückverteilen sollte. Zwar werden Grundstückgewinne in der Regel heute schon besteuert, aber die entsprechenden Sätze sind erstens meist deutlich tiefer als die auf Arbeitseinkommen. Zweitens können sie auch relativ leicht umgangen werden.

Etwa im Erbfall, oder wenn man die Liegenschaft vermietet, statt sie zu verkaufen. 

150 Milliarden Mehrwert

Jedenfalls reicht die steuerliche Belastung offensichtlich weder aus, um den Anstieg der Immobilienpreise zu dämpfen, noch um mit dem Ertrag die Mieten zu verbilligen und/oder genügend Grundbesitz in Staatsbesitz zu bringen. Gemäss den Recherchen des Wirtschaftsmagazin Eco des Schweizer Fernsehens SRF läppern sich die Einnahmen aller Kantone aus der Grundstückgewinnsteuer jährlich bloss auf etwa zwei Milliarden Franken zusammen. Gemäss dem Immobilienberater WuestPartner ist aber der Marktwert allein der Wohnimmobilien im Jahr 2020 um 3,7 Prozent auf 3’538 Milliarden Franken gestiegen. Das entspricht einem Mehrwert von rund 130 Milliarden Franken. Das ist etwa dreimal so viel, wie die Schweiz jährlich für den Bau von Wohnungen ausgibt.

Der Vorteil dabei: Dieses riesige Steuerpotential ist nicht mobil. Das Lage-Kapital ist ortsgebunden. Es kann sich der Besteuerung nicht entziehen, oder nur dadurch, dass weniger in Immobilien investiert wird. Doch auch so würde die riesige Umverteilungsmaschine des Immobilienmarktes zumindest gebremst. Zweck erreicht. Der Nachteil: Mit dem Immobilienkapital kann man auch Einfluss kaufen, Mehrheiten schaffen, Meinungen bilden, soziale Probleme verharmlosen, Parteien finanzieren, etc.

Ist deshalb eine deutliche höhere steuerliche Abschöpfung der Immobiliengewinne kein Thema? Begnügt sich deshalb selbst die politische Linke mit der zahmen Forderung, dass der Staat vermehrt Immobilien – zu Marktpreisen – kaufen soll? 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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3 Meinungen

  • am 13.01.2022 um 11:59 Uhr
    Permalink

    Das Rezept der Bürgerlichen lautet ja höhere Zinsen, damit die Nachfrage gesenkt werden kann. Mag sein, doch werden höhere Zinsen wiederum zu noch höheren Mieten führen.
    Die meisten Vermieter würden die Gelegenheit sofort nutzen, während es bei Zinssenkungen nur Ausreden hagelt, um diese nicht den Mietern weiterzugeben.
    Ein Teil staatlicher Subvention fand bereits mit der Reform der Ergänzungsleistungen statt wo zwar Betroffene mehr EL für die teuren Wohnungen bekommen können aber das bedeutet gleichzeitig eine Subvention von Staat an Immobilienbesitzer.
    Gespannt darf man sein, wie sich die Reform der EL auswirkt, wenn diese nun ab 40’000 Erbe dazu führt, dass die Immobilie verstorbener Rentner verhökert werden muss.

    «Werden die EL-Stellen zu Immobilienmaklern?» wird in diesem Artikel gefragt:

    https://www.bernerzeitung.ch/viel-aerger-um-wenig-geld-173393600374

  • am 13.01.2022 um 13:18 Uhr
    Permalink

    1. Eine Wohnimmobilie ist ein öffentliches Gut, weil Land ein öffentliches Gut ist, das noch in Restbeständen als Allmenden, Staatswald oder Alpkooperativen weiterlebt. Ich denke der Tag ist nicht mehr fern, an welchem Immobilien resp. das Land verstaatlicht werden.
    2. Immobilienfonds weisen Eigenkapitalrenditen aus, die deutlich höher liegen als jene, die dem Privateigentümer im Mietrecht zugestanden werden, nämlich Refenzzinssatz + 0.5. Zur Zeit sind das also 1.75%. Ich verstehe nicht, weshalb die Mieterverbände die gesetzwidrigen Renditen der juristischen Immobilienbesitzer nicht einklagen.

  • am 13.01.2022 um 15:00 Uhr
    Permalink

    Das wird die Obdachlosigkeit, neudeutsch Wohnungslose, auch in der Schweiz in die höhe treiben.

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