Die grosse Kunst der Pessimisten
Seit langem warnt der britische Investor Jeremy Grantham vor einem Platzen der gigantischen Geldblase, die nach der staatlichen Bekämpfung der Finanzkrise von 2008 herangezüchtet wurde. Der 83-Jährige macht dabei Vergleiche mit dem vielzitierten und folgenreichen Zusammenbruch von 1929. Anfang dieses Jahres sagte er, die Katastrophe könne bereits im späten Frühling eintreten.
Es geschah nichts.
Da Grantham schon zeitig vor der Dot-com-Krise und dem Crash von 2008 gewarnt hat, bleiben die Redaktionen an seinen Lippen hängen. Und Schlagzeilen von Schwarzmalern machen sich ohnehin besser als Meldungen mit rosigen Aussichten. Ein Crash-Prophet ist der Nostradamus der kapitalistischen Moderne, die zwischendurch das Gruseln braucht.
Grantham blieb seiner Rolle treu, als er am 23. September der «Handelszeitung» ein Interview gab. Auf die Frage der Journalistin, wann die Börse platzen werde, sagte er: «Irgendwann zwischen morgen und Weihnachten wird es krachen.»
Inzwischen darf man feststellen: Die Weissagung war erneut falsch. Grund für Häme gibt es deswegen nicht. Denn wer sich vergegenwärtigt, welche gigantischen Mengen an Geld die Staaten und Nationalbanken in die Märkte gepumpt haben, bekommt unweigerlich Schüttelfrost.
Aber warum spekuliert ein Finanzexperte wie ein Sterndeuter und nennt ein konkretes Datum für seine Warnungen? Bliebe er bei einer vagen Voraussage von düsteren Ereignissen, wäre er auf der sichereren Seite. Doch die Prognose wäre weniger schockierend. Im Wettbewerb der Pessimisten um Aufmerksamkeit würde sie weniger auffallen. Und vielleicht animiert die Nennung eines konkreten Datums verängstigte Zeitgenossen zu Panikverkäufen auf den Finanzmärkten, was einem Propheten wiederum neue Spekulationsmöglichkeiten eröffnet. Aber lassen wir diesen bösen Gedanken beiseite.
Jeder Sterndeuter, der einen genauen Zeitpunkt für seine Prognosen nennt, kann mit grosser Sicherheit auf die Gnade der allgemeinen Vergesslichkeit zählen. Wer erinnert sich schon im täglichen Medienlärm an die Schlagzeile von gestern. Falls jedoch die Börsenwelt tatsächlich am prophezeiten Tag untergehen sollte, kann man sich selbst genüsslich zitieren und als Super-Propheten weiterempfehlen. Einen solchen Treffer werden die Redaktionen für immer in den Kurzbiografien des Glückspilzes erwähnen – ein schöner Gewinn auf dem umkämpften Markt der Weissager. So geht die Kunst der Spekulation.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Zur grossen Kunst des REALISTEN gehört es auch, sich abzeichnende Gefahren möglichst «richtig» abzuschätzen mit den geeignten Methoden dazu. Ein Realist wird sich dabei auch des Satzes,
bewusst machen, «Es ist nicht die Frage, OB es passieren wird, sondern WANN».
Der Realist handelt «pragmatisch».
Die untergriffige Unterstellung, dass es Jeremy Grantham auch macht, wie andere Unheils-Propheten ist dochgar nicht bewiesen. Viel eher sind doch die Medien zu rügen, die Unheils-Prophezeiungen verbreiten und nicht OB und WANN unterscheiden.
Das Rezept für Börsenprognosen: Entweder man macht eine klare Aussage aber ist schwammig zum Termin, oder man macht eine schwammige Aussage mit präzisem Termin.
Prognosen sind immer schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. …
Punktprognosen sind nicht möglich und man kann daraus auch keinen persönlichen Nutzen ziehen!
An der Börse hat jeder einmal recht, selbst wenn er von der Börse wenig versteht.
Im Nachhinein sind wir alle klüger, vielleicht auch ärmer!
Was mich irritiert:
Etwa 99% aller Staaten und Regierungen haben zur Zeit kein «eigenes» Geld mehr,
sondern «leben auf Pump».
Weltweit sind «wir», also » unsere Regierungen» mit über 6 Monaten ihres/unseres Bruttosozialprukts verschuldet.
Also steht -meiner Ansicht nach doch wohl die «brennende», grundsätzliche Frage im Raum:
Wer leiht aus welchen Spekulationsgründen
Schuldnern, die sich seit Jahrzehnten immer mehr verschulden
und ohne jegliche Hoffnung auf Besserungs-Chancen sind,
immer wieder «neues Geld», damit diese Langfrist-Versager
sich mit «neuen, gewagten Spekulationen» noch weiter verschulden können und -mit höchster Wahrscheinlichkeit bis Sicherheit- auch werden ?!
Einfacher gefragt:
Läuft hier nicht ein perverses Spielchen mit vorprogrammierten «schrecklichen Ende» -für etwa 50% der Welt-Bevölkerung- ab?
Oder gibt es gar Multi-Milliarden-schwere Wohltäter, die sich nur harmlos daran erfreuen, immer mehr Spannungen aufzubauen- um dann ,kurz vor dem Kollaps,
«gütigst, fröhlichst und verschmitzt lächelnd» Luft rauslassen» – anstatt den Ballon platzen zu lassen ?!
Sicher ist jedenfalls:
Dieses «Spielchen um die Welt» ist an Spannung nicht zu überbieten !
Wolf Gerlach
scheinbar.org
Lieber Rainer Stadler, ich schätze Sie seit Ihrer NZZ-Zeit als Journalist, der sich differenziert zu Medien-Themen äussert. Nun frage ich mich aber zusehends, ob Sie sich einen Gefallen tun, auf einer Plattform wie Infosperber zu publizieren, die bei gewissen Themen – um es zurückhaltendn zu formulieren – eine unsägliche Einseitigkeit an den Tage legt – was dann entsprechend auch gewisse Kommentatoren anzieht (hier übrigens in Ihrem Fall den unvermeidlichen Herrn Gerlach mit seinem scheinbar.org). Ich finde, Sie hätten für Ihre Beiträge ein seriöseres Umfeld verdient, und wünsche Ihnen nun einen guten Start ins Neue Jahr.