Kommentar
Der Sudan ist keine «Klick-Granate»
Dass das Schicksal des Sudan nicht mehr öffentliches Interesse hervorruft – Online-«Klick-Granate» ist er keiner, euphemistisch gesagt –, finde ich nicht nur traurig, sondern halte ich auch für einen Beweis dafür, dass es für gewisse Aussenpolitik-Themen sehr wohl eine Art geopolitische Konjunktur gibt. Was ich damit meine: Während des Darfur-Kriegs ab 2003 gehörten der Sudan und sein Langzeitpräsident Omar al-Bashir zu den wichtigsten Objekten der internationalen Berichterstattung. Aber eben, so glaube ich, nicht nur wegen des Mitleids mit den Opfern von Darfur, sondern weil der Sudan ein Schlüsselland im Konflikt zwischen Westen und der sogenannten islamischen Welt war. Heute bewegt kaum jemanden, was aus Darfur, Südsudan, den Millionen Flüchtlingen, den diversen Friedensprozessen und -abschlüssen – wie 2020 das Juba-Abkommen – geworden ist.
Mit einem Artikel über Omar al-Bashir und der Frage, ob er doch noch vor dem Internationalen Strafgerichtshof landen wird, können Sie keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlocken. Und ob es nun wieder eine autoritäre Wende gibt, weg vom demokratischen Prozess, den Demonstranten und Demonstrantinnen 2019 mühsam erkämpft haben, das interessiert schon gar niemanden. Denn der Sudan ist heute trotzdem quasi auf der richtigen Seite, auch mit einer Militärjunta an der Spitze.
Aber: Im Sudan entscheidet sich im Moment nicht nur das Schicksal vieler Sudanesen und Sudanesinnen, sondern das Land war auch eine grosse Hoffnung für die ganze arabische Welt und für Afrika, ein Beispiel dafür, dass ein Übergang von einer dreissigjährigen radikal-islamischen Militärdiktatur in eine Demokratie klappen kann. Es ist auch klar und tröstlich, dass der Prozess des langen arabischen Frühlings, wenn man so will, weitergehen wird, die Gesellschaften haben sich verändert, da gibt es kein Zurück. Aber es ist wieder eine traurige Zäsur.
Der Putschist, der keiner sein will
Ich glaube aber auch, dass noch einiges im Fluss ist. Der Auftritt von Juntachef Abdelfattah al-Burhan am Dienstag, bei dem er sich sehr bemühte, nicht als Putschist zu erscheinen, hatte fast schon skurrile Züge. Haben die Militärs die Reaktion der USA unterschätzt, den US-Gesandten Jeffrey Feltman, der noch am vergangenen Wochenende in Khartum war, irgendwie falsch interpretiert? Dass der verhaftete Regierungschef Abdalla Hamdok mit dem amerikanischen Aussenminister telefonieren kann – und am Tag danach auch die ebenfalls festgesetzte sudanesische Aussenministerin Mariam al-Sadiq al-Mahdi, wie Antony Blinken selbst mitteilte –, ist schon eher ungewöhnlich. Mich würde es nicht wundern, wenn Burhan ziemlich rasch wieder einen Regierungschef bestellt, um die Wogen zu glätten.
Kein Zweifel besteht, dass auch die arabischen Freunde Burhans und Co mitmischen: Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Und von ihrer Unterstützung oder von ihrem Druck wird es unter anderem auch abhängen, welche Richtung die Militärs nun einschlagen. Nur weiss man eben, dass denen Ruhe und «Ordnung» lieber ist als demokratische Umtriebe… Und ich schreibe immer «die Militärs», auch im sudanesischen Sicherheitsapparat gibt es Fraktionen und Partikularinteressen, da kann es noch zu einigen Verschiebungen kommen.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus Gudrun Harrers Nahost-Newsletter «Orient-Express» .
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin des österreichischen «Standard» und unterrichtet Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
«– nur interessiert das hier kaum jemanden.» – Auch wenn sich noch so viele für die internen, intransparenten, sich laufend verschiebenden Verhältnisse im Sudan und den involvierten ausländischen Mächten interessieren, so ändert sich nichts an der Situation. Es bleibt eine sudanesische und arabische Angelegenheit. – In absehbarer Zeit geht uns hier der Strom aus, ein Grund mehr, den Fokus auf unsere hausgemachten Probleme zu richten.
Wenn die Saudis den Putsch unterstützen, wird er auch von den Amis, und damit vom gesamten Wertewesten, gutgeheissen. Kritischer, nicht linientreuer Journalismus wurde bereits vor 20 Jahren abgeschafft.
Der Sudan hat seit Jahrzehnten eng mit China kooperiert in der Ölproduktion, anstatt mit dem Westen. Man hoffte mit der Spaltung neuen Zugriff auf dieses Öl zu erhalten, was komplett scheiterte, und der Südsudan insgesamt ist meines Wissens ein völlig gescheitertes Projekt. Wie immer wo «Freiheit und Demokratie» nur Elend und Leid gebracht haben, schaut der Westen ganz schnell weg und Fokussiert sich auf neue Ziele, die es zu befreien gilt.