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In der Nähe von Bad Neuenahr-Ahrweiler steht mitten im Wald die Maria-Hilf-Kapelle – derzeit der Standort des improvisierten Radiosenders «Ahrtalradio». © Axel Hindemith

Die Sendung nach der Flut

Daniela Gschweng /  Das Flutprojekt «Ahrtalradio» ist ein gutes Beispiel dafür, was Lokalmedien leisten können.

Sie senden aus einem Pfarrhaus, die Antenne hängt an einem Fahnenmast und die Mikrofone sind aus den 1960er-Jahren. Dennoch ist «Ahrtalradio» der derzeit vermutlich wichtigste Radiosender im Landkreis Ahrweiler. Das ist dort, wo in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli Überschwemmungen halbe Dörfer wegrissen und grosse Verwüstung verursachten.

Der improvisierte Radiosender im Norden von Rheinland-Pfalz sendet seit dem 4. September im Flutgebiet und im Internet. Das Pop-Up-Radio versteht sich als akustische Pinnwand, wo sich Bewohner der Flutgebiete informieren und vernetzen können – und es will nicht zuletzt auch wieder Optimismus verbreiten.

Lokalinfos und akustische Pinnwand

Als ich mich in den Webstream klicke, läuft «Walk like an Egyptian» von den Bangles. Danach folgt ein kurzer Dank an die Landwirte der Region, ohne deren Hilfe es im Ahrtal wohl um einiges schlimmer aussehen würde. Zur halben Stunde laufen Nachrichten aus der Region. Auf der Homepage von «Ahrtalradio» gibt es die wichtigsten Lokalinfos auch in Textform, im Moment steht dort, dass das Wasser in Altenahr jetzt nicht mehr abgekocht werden muss.

Verantwortlich dafür ist der Fachinformatiker Christian Milling, der am 15. Juli schockiert auf die Bilder aus dem Ahrtal starrte. Milling wohnt nicht weit weg in Euskirchen, das ebenfalls überschwemmt wurde, aber vergleichsweise glimpflich davonkam.

Was fehlte, war Information und Vernetzung

Vielerorts gab es kein sauberes Wasser, kein Internet und keinen Strom, Gebäude waren ganz oder teilweise zerstört. Bis alle Orte im Flutgebiet wieder erreichbar waren, dauerte es einen Monat. Der 41-Jährige wollte helfen. Was den Menschen dringend fehlte, war Information und Hilfe dabei, sich zu vernetzen.

Milling arbeitet beim SWR und richtet nebenberuflich Radiostudios ein, seine Frau sei ausgebildete Redakteurin, sagt er in einem Live-Interview mit der «ARD», bevor er sich unterbricht, weil er mitten in der Sendung steckt.

Auf dem Programm stehen Nachrichten, Aktuelles, Stellenanzeigen, aber auch juristische Tipps für Geschädigte, Reportagen aus dem Flutgebiet, der Wetterbericht, ein Gottesdienst am Sonntag und natürlich Musik. Zweimal am Tag sendet Ahrtalradio auf UKW 107,9 Anzeigen von Hilfesuchenden und Hilfebietenden. UKW ist wichtig, weil das Internet noch immer nicht überall richtig funktioniert.

Improvisiertes Studio in einer Kapelle

Menschen bieten ihre Hilfe an, suchen Werkzeug oder Hilfe bei speziellen Problemen. Hilfreich war die Radioverbindung bisher zum Beispiel für Menschen, die einen Arzt brauchen, aber so einfach nicht zu einem kommen konnten. Ein Augenarzt öffnete spontan seine Praxis, weil ein Helfer einen Splitter im Auge hatte. Bewohner des Flutgebietes erfahren, wo etwas wieder aufgeht oder wo Strassen gesperrt sind.

Ausstattung und Know-How waren also vorhanden. Milling beantragte eine temporäre UKW-Frequenz, die in Rekordzeit genehmigt wurde, stellte ein Freiwilligen-Team zusammen und suchte nach einem Standort. Möglichst weit oben sollte er sein, wegen der Reichweite der Antenne. Fündig wurde er auf der Landskrone in der Nähe von Bad Neuenahr-Ahrweiler, wo die Maria-Hilf-Kapelle steht.

Bilder der Maria-Hilf-Kapelle, wo sich das Radiostudio befindet, gingen durch die Medien.

Milling durfte nicht nur die Antenne an deren Fahnenmast anbringen, der Förderverein erlaubte ihm auch, das Pfarrheim als Studio einzurichten. Milling räumte sein Lager aus und fing an. Die Einrichtung des Zehn-Quadratmeter-Studios sei teilweise etwas nostalgisch, aber professionell, beschreibt er. Die Mikrofone etwa stammen aus den 1960er-Jahren.

Werbung für betroffene Unternehmen kostenlos

Das improvisierte Radiostudio im Pfarrhaus hat es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Die «Süddeutsche» berichtete über das Pop-Up-Projekt, die «Zeit» und die «FAZ», nach der «ARD» war das «SWR» da. Bilder der Kapelle gingen durch die Medien.

Das Team von zwanzig ehrenamtlichen Mitstreitern und Mitstreiterinnen kümmert sich um das Programm, macht Reportagen, schreibt Nachrichten, betreut Spendenkonten und die Webpage. Darunter sind freiberufliche Radiomacher, Ruheständler und andere Helfer. Werbeanzeigen waren bis Anfang Oktober für betroffene Unternehmen kostenlos, andere bezahlten drei Euro pro Ausstrahlung, eine Neuregelung steht aus. Der privatrechtliche Sender finanziert sich aus Eigenmitteln, Spenden und Zuschüssen, Überschüsse gehen an die Fluthilfe.  

Wie es weitergeht

Eine grosse Entscheidung hat das Team gerade hinter sich. Am 4. Oktober lief die Lizenz aus, da hat es entschieden, vorerst weiterzumachen, die Lizenz wurde im Eilverfahren bis Ende Jahr verlängert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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