Mangroven in Ecuador

Der Autor mit der Gastfamilie Reversides auf der Insel Bolívar in der Provinz Esmeraldas, Ecuador. © Karina Vivanco

Ohne Bewohner verschwinden die CO2-Speicher am Äquator 


Johannes M. Waldmüller /  Crevettenzucht, Drogenkartelle und industrielle Fischerei aus China: Sie alle bedrohen die Mangrovenwälder in Ecuador massiv.

Red. Über die Ursache des Klimawandels – der Mensch mit all seinen Motoren, Heizungen und Kühlsystemen – wird zurzeit viel geschrieben. Über die Natur, die dem zu hohen CO2-Ausstoss entgegen wirken kann, aber noch zu wenig. Infosperber gibt deshalb einem Wissenschaftler das Wort, der mehr diese Seite beleuchtet. Ein Gastbeitrag. (cm)

Über fünf Jahre liegt das Ereignis zurück, doch die Auswirkungen sind bis heute spürbar. Denn als am Abend des 16. April 2016 an Ecuadors Küste die Erde bebte, blieb kein Stein auf dem anderen. Das zweitstärkste je gemessene Beben im Land (7.8 auf der Richterskala) sorgte für über 650 Todesopfer, über 20’000 Personen wurden in wenigen Sekunden obdachlos.

Knapp zwei Jahre später waren in den Küstenprovinzen von Manabí und Esmeraldas noch immer Tausende Menschen in Armeelagern untergebracht, inklusive eines entsprechenden Regimes: Arbeitsverbot, Ausgangssperre ab 19 Uhr sowie ein Verbot von Fotos, Film und Internet, um die Kommunikation zwischen den einzelnen Lagern zu unterbinden. Ausserdem fanden während dieser Zeit zahlreiche Misshandlungen und sexuelle Übergriffe statt; die Mädchen und Frauen erhielten im Gegenzug Lebensmittel und Medizin …

Ab 2019 folgte in der Region dann eine langsame Erholung – obwohl Tausende Familien gezwungen wurden, ihre Grundstücke dem Staat zu überschreiben, um anderswo an Ersatzhäuser zu gelangen. Dies geschah insbesondere in der überwiegend von Afroecuadorianern bewohnten Provinz Esmeraldas an der Grenze zu Kolumbien, eine der historisch ärmsten Regionen Ecuadors. Hier manifestierten sich die geschäftlichen Interessen des Staates, der im Verbund mit Privaten, die «freigewordenen» Ländereien nutzen wollte. Mit anderen Worten: Aus einer Naturkatastrophe wurde eine anhaltende soziale, politische und wirtschaftliche Katastrophe – wie so oft in Lateinamerika.

Dann kam Covid-19, und liess auch noch den Tourismus einbrechen. Eine der Folgen: Die lokale Jugend ist massiv von illegalen Schmuggelökonomien und mächtigen Drogenkartellen Kolumbiens und Mexiko bedroht. Sie erscheinen den jungen Menschen oft als einzige Chance, um irgendwie aus der Krise zu kommen. Und seitdem die Region zwischen Esmeraldas und den tausend Kilometer entfernten Galapagos-Inseln von chinesischen Megaflotten leergefischt wird, ist selbst die lokale Selbstversorgung mittels Kleinfischerei gefährdet.

Wälder, die vor Hochwasser schützen und Meerestieren Schutz für die Reproduktion bieten: Weitgehend intakte Mangrovenlandschaft rund um die Insel Bolívar in Ecuador. – Foto: Johannes M. Waldmüller

Anfang August diesen Jahres präsentierte der Internationale Klimarat IPCC in Genf der Weltöffentlichkeit seinen sechsten Bericht zur Lage des Planeten. Die Aussichten sind düster. Für sämtliche Erdregionen werden menschengemachte Katastrophenszenarien und Wetterextreme prognostiziert. Einmal mehr konnte nachgewiesen werden, dass der beschleunigte Klimawandel ursächlich von Menschen – um präzise zu sein: vom globalisierten Produktions-, Handels- und Konsummodell – verursacht wurde.

Und dennoch ist es nicht zu spät. So ruft der IPPC dringend zur massiven Wiederaufforstung, zur Stärkung der Biodiversität und zum Erhalt gefährdeter Ökosysteme auf. Gemeint sind insbesondere jene Ökosysteme, die den Klimawandel nachweislich verlangsamen, ja möglicherweise sogar umkehren können. Unter diesen gibt es eines, das dazu besonders geeignet ist: die Mangroven. Sie gelten hinter dem begrenzt vorhandenen Torfboden als zweitbeste CO2-Speicher überhaupt. Die mitunter weitreichendsten Mangrovenwälder mit den nachweislich höchsten Mangrovenbäumen der Welt wachsen allerdings ausgerechnet an den schwer vom Erdbeben betroffenen Küsten Ecuadors.

Holz für Boote und Häuser

Schon vor Jahrhunderten hatten sich entkommene Sklaven und Sklavinnen in der hiesigen Küstenregion versteckt und sich dort ein Fundament ökologischen Wissens zu den Mangroven angeeignet. Nachhaltigkeit und Wiederaufforstung war für lokale Fischergesellschaften schon lange ein grundlegendes Prinzip des Selbsterhalts – und zwar noch bevor es im Westen in den 1970ern als «neuartige» Idee aufkam. Die Mangroven bieten fantastische Voraussetzungen dafür. Denn in ihrem dichten Geäst aus sauerstoffreichen Wurzeln bieten sie der Fauna nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Schutz für die Reproduktion. Für die lokalen Fischer bedeutet dies jedenfalls einen enormen Reichtum – vorausgesetzt Muscheln, Krebse und Fische werden nicht zu früh gefischt.

Gleichzeitig schützen Mangrovenwälder wie Schwämme vor Hochwasser, stabilisieren die Böden und helfen daher auch bei Erdbeben. Sie liefern Holz für Boote und Häuser und sind gleichzeitig Heimat für zahlreiche Insekten und Vogelarten. Diese wiederum sind für die Bestäubung von Pflanzen und Äckern am Land unerlässlich. So gesehen darf man die Mangroven unter den Klimawandel-Bremsern ruhig als «Superstars» bezeichnen. Als Schnittstelle zwischen Land und Ozean sind sie unersetzlich, genauso wie für die gesunde Reproduktion des Meeres.

Damit dieses Ökosystem funktioniert, braucht es die lokale Bevölkerung. Ohne sie und ihr jahrhundertaltes Wissen zur nachhaltigen Nutzung der Mangroven gibt es keinen effektiven Schutz. Und ohne die lokale Jugend mit ihrem Beitrag zum Umweltschutz, zur Wiederaufforstung und zur ökologischen Bildung, können die Mangroven nicht erhalten werden. Wer also zur Konservierung und zur Stärkung der lokalen Fischergesellschaften beiträgt, trägt direkt zur Bekämpfung des Klimawandels bei. Dringend ist die Sache auf jeden Fall. Denn schon bis 2011 ist ein Drittel aller weltweit vorhandenen Mangroven verloren gegangen. In diesem Jahr hat sich diese Zahl erneut ausgeweitet; inzwischen existiert nur noch die Hälfte des einstigen Mangrovenbestandes. 

In Ecuador gibt es drei wichtige Faktoren, von denen die Mangroven heute bedroht werden: die Überfischung, der Klimawandel, sowie die Garnelenzucht. Immerhin ist das Land am Äquator eines der weltweit grössten Crevettenexporteure; der Export der Meerestiere zählt inzwischen hinter den Bananen gar zum zweitwichtigsten Wirtschaftszweig Ecuadors. Und der Zusammenhang mit dem Erdbeben von 2016 lässt sich nicht schönreden. Denn die bestehenden Crevettenzuchtbecken wurden damals vergrössert und Konzessionen inmitten von Mangrovenwäldern – in vielen Fällen illegal – um weitere zwanzig Jahre verlängert. Auch die Schweiz importiert jede Menge ecuadorianische Crevetten, insbesondere seit dem Abschluss des Freihandelsabkommens, das seit 2017 in Kraft ist. Zwei der Hauptabnehmer in der Schweiz sind die Migros und Coop.

Das hier folgende Video von Johannes M. Waldmüller informiert über die gefährdeten Mangroven in Ecuador und auf Madagaskar und über sein Projekt, wie geholfen werden kann – und geholfen werden sollte!

(Dieser Artikel erschien zuerst auf der Plattform Mutantia.ch.)

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PS: Auch der diensthabende Infosperber-Redaktor CM hat als Journalist vor etlichen Jahren die Mangroven-Regionen in Ecuador besucht und war tief beeindruckt von dieser Naturlandschaft. Unvergesslich geblieben ist ihm dabei auch ein «Restaurante» mit der Aufschrift: «Willkommen auf dem Mangroven-Balkon»:

«Bienvenidos al Balcon del Mandarles» – «Willkommen auf dem Mangroven-Balkon». Foto: Christian Müller

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Johannes M. Waldmüller, PhD, Entwicklungsanthropologie des Genfer Hochschulinstituts für Internationale Studien, langjähriger Professor an den Universitäten UDLA, FLACSO und EPN Ecuador. Derzeit Gastprofessor an der Universität Wien.


Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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2 Meinungen

  • am 16.09.2021 um 15:12 Uhr
    Permalink

    Einmal mehr bin ich einerseits wütend und anderseits beeindruckt. Wütend über die Zerstörung anderer Länder und der Grundlagen für eine gute Welt für alle, die gross Mächtige und schwer Reiche mit ihrer Schlaraffenlandmentalität gierig und rücksichtslos anrichten. Und beeindruckt über die Haltung und die Stärke der Menschen dort, wie sie damit umgehen. Sie werden eine Zukunft haben. Die Schlaraffenländer nicht!

  • am 17.09.2021 um 08:29 Uhr
    Permalink

    ‹industrielle Fischerei aus China›
    Nur aus China?

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