Falls Angestellte und Entlassene die Konsumeffizienz steigern..
Red. Für sein Gesamtwerk bekam Hanspeter Guggenbühl am 30. August den Zürcher Journalistenpreis. Noch vor seinem Tod wählte er zuhanden der Jury drei seiner Tausenden von Artikeln aus, die ihm wichtig erschienen. Als Teil unserer Serie im Gedenken an Hanspeter Guggenbühl veröffentlichen wir sie an dieser Stelle. Der folgende Artikel erschien am 29. Juli 1996 im Tages-Anzeiger und in anderen Zeitungen.
«Wir müssen die Effizienz steigern», erklärte der Chef den Angestellten, bevor er ihnen ein Rationalisierungsprogramm und Lohnkürzungen ankündigte. «Die Fabrikanlage ist nicht mehr produktiv», konstatierte der Verwaltungsrat, als er sie stilllegte und die Belegschaft entliess. Angestellte und Entlassene haben die Lehre gelernt: «Wir müssen effizienter und produktiver werden», sagen sie sich nun auch als Konsumentinnen und Konsumenten.
«Der Index der Konsumentenstimmung verschlechterte sich erneut», schreibt die Kommission für Konjunkturfragen in ihrem jüngsten Bericht «zur Lage der schweizerischen Wirtschaft». In den Medien wird seit Monaten «anhaltende Konsumflaute», «fehlende Kauflust» oder – weil Wachstum das Mass aller Dinge ist – «wachsende Konsum-Unlust» beklagt.
Doch die Jammerei von Konjunkturbeobachtern und Medienleuten entspringen einem grundlegenden Irrtum: Die Konsumentinnen und Konsumenten sind weder unlustig noch schlecht gestimmt. Sie sind bloss effizienter geworden und haben ihre Produktivität gesteigert.
Gelernt haben sie das vom produzierenden Teil der Wirtschaft. So hat die Schweizer Volkswirtschaft ihre Produktivität, also das reale Bruttoinlandprodukt gemessen an der Zahl der im Inland geleisteten Arbeitsstunden, seit 1970 um rund 30 Prozent erhöht. Das heisst: Immer mehr Güter und Dienstleistungen wurden immer effizienter produziert. Dieses Mehr liess sich nur absetzen, weil die Kundschaft unproduktiver konsumierte; sie nutzte also die gekauften Waren und Dienste weniger gut aus und frönte zuweilen gar der Verschwendung. Doch damit, wie erwähnt, ist es nun vorbei. Das zeigen Beispiele aus allen Kaufkraftklassen.
Tauschen und Teilen
Da gibt es etwa die Unternehmensberaterin in Zollikon, die in der Ferienzeit ihre Villa am Zürichsee mit der Attikawohnung eines in Rom wohnhaften Architekten tauscht und ihre nur selten benutzte Zweitwohnung in der Toscana verkauft. Gleichzeitig verbringt der Römer Architekt seinen Urlaub im Haus eines Brokers in St.Moritz, während dieser ferienhalber in der Zolliker Villa der Unternehmensberaterin haust. Solcher Tausch steigert die Produktivität gleich mehrfach: Erstens liegt weniger Wohnraum brach. Zweitens können alle drei Personen auch in den Ferien standesgemäss wohnen. Drittens ersparen sie sich Hotelzimmer oder Zweitwohnung und obendrein die Alarmanlagen samt Securitaswächter für die sonst ferienhalber leerstehenden Gebäude.
Auf die Idee mit dem Wohnungstausch und Zweitwohnungs-Verkauf ist die Unternehmensberaterin gekommen, nachdem sie für ihren Kunden aus der Textilindustrie eine Rationalisierungsstudie erstellt hatte. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, so lautete ihr Rezept, müsse der Textilunternehmer seinen überdimensionierten Maschinenpark redimensionieren und die Betriebszeit für die verbleibenden Webstühle mittels Dreischicht-Betrieb erhöhen.
Was den wohlhabenden Immobilienbesitzern billig ist, das kann dem mobilen Mittelstand nur recht sein. Dies erkannte auch ein Beamter aus Wetzikon. Deshalb pendelt er neuerdings mit der schnellen S-Bahn in die Zürcher City. Er gewinnt damit täglich eine halbe Stunde Zeit, die er früher im stockenden Kolonnenverkehr verbrachte. Weil sein Auto seither noch öfter auf einem öffentlichen Parkplatz brach lag, beteiligt er sich in Wetzikon an einer Autoteilet-Organisation und brachte seinen Mittelklassewagen als Kapital gleich mit ein. Damit erhöhte er nicht nur die Produktivität seiner eigenen Mobilität – und spart nebenbei Geld –, sondern verdreifacht auch die Nutzungsdauer seines früheren Autos.
Den Anstoss zum Bahnfahren und Autoteilen bekam der Beamte, als in der Staatsverwaltung allgemeine Lohnkürzungen angekündigt und das «New Public Management» eingeführt wurde. Seit das Produktivitätsdenken alle Amtsstuben durchdringt, findet es der auf Effizienz getrimmte Beamte höchst komisch, wenn Leute in ihrer Freizeit ein eigenes Vehikel betreiben, das in 23 von 24 Stunden stillsteht, dabei einen Stehplatz von der Fläche eines halben Kinderzimmers beansprucht und obendrein noch mehr als zehn Prozent eines Durchschnittslohns verschlingt.
Dass selbst in der Unterklasse bei der Konsumproduktivität ein beträchtliches Potential brach liegt, erkannte eine Verkäuferin in Dietikon, nachdem sie wegrationalisiert und arbeitslos geworden war. Statt Fleisch von den Schweinen aus der Tierfabrik, die mit Getreide gemästet werden, isst sie nun das Getreide direkt in Form von Teigwaren und Birchermüesli. Damit senkt sie nicht nur die riesigen Umwandlungsverluste in der Nahrungskette, sondern vermindert auch die Krankheitskosten, die durch übermässigen Fleischkonsum entstehen, und leistet damit einen Beitrag zur finanziellen Gesundung des Gesundheitssystems.
Mut zum Faktor vier
Die Liste der Beispiele lässt sich beliebig verlängern. Aufgehetzt vom Weissbuch «Mut zum Aufbruch», verunsichert durch das Rotbuch über «Das Geschwätz von der freien Marktwirtschaft» und kreativ stimuliert vom Grünbuch «Faktor vier – Doppelter Wohlstand, halbierter Naturverbrauch» entdecken Konsumentinnen und Konsumenten stets neue Wege, um ihre persönliche Konsumproduktivität zu erhöhen: Wohngenossenschaften propagieren den Etagenstaubsauger, sie verdoppeln damit die durchschnittliche Saugzeit pro Gerät von täglich 10 auf 20 Minuten. Einfamilienhaus-Besitzer gründen Rasenmäher-Pools und erzielen damit einen Mähproduktivitätsfaktor vier. Modebewusste organisieren Kleiderbörsen nach dem Motto «halber Textilbesitz, doppelter Konfektionswechsel».
Wenn das so weiter geht, jubelte kürzlich die Geschäftsführerin des Schweizerischen Konsumentenverbandes (SKV), können wir bis zum Jahr 2005 den Detailhandels-Umsatz halbieren und die Wettbewerbsfähigkeit des Konsumstandortes Schweiz auf das Niveau der ostasiatischen Schwellenländer anheben. Grüne Ökonomen fördern die Effizienzrevolution im Konsum zusätzlich: Unter dem Slogan «Effizienterer Konsum ist billiger als zusätzliche Produktion» haben sie das für die Energiewirtschaft propagierte Konzept der Minimalkostenplanung (neudeutsch: «Least Cost Planning») auf den gesamten Warenverbrauch erweitert.
Auch Public-Relations-Fachleute klopfen sich stolz auf die Schultern: Haben sie uns nicht jahrelang eingehämmert, dass Begriffe wie «Verzicht» oder «Sparen» negative Assoziationen wecken und deshalb das Konsumverhalten kaum beeinflussen können? Stattdessen empfahlen sie den Einsatz von positiv besetzten Begriffen wie «effizient» oder «produktiv» – und sie haben uns nun endlich auch als Konsumierende positiv beeinflusst.
Produzenten reiben sich die Augen
Nur die Bauunternehmer, Fremdenbettvermieter, Automobilfabrikanten, Fleischproduzenten, Rasenmäherhersteller, Staubsaugervertreter und Textilverkäufer reiben sich die Augen, seit sie auf ihren Wohnungen, Blechkisten, Filets, Kleidern, Mäh- und Sauggeräten sitzen bleiben. Nein, so haben sie das nicht gemeint, als sie uns die Steigerung von Effizienz und Produktivität predigten.
PS: Alle Personen und ihre Handlungen in diesem Artikel sind erfunden. Aber was nicht ist, das kann noch werden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
in memoriam hpg: Serie im Gedenken an Hanspeter Guggenbühl
Hanspeter Guggenbühl (2. Februar 1949 – 26. Mai 2021) gehörte zu den profiliertesten Schweizer Journalisten und Buchautoren für die Themen Energie, Umwelt, Klima und Verkehr. Hanspeter Guggenbühl engagierte sich seit den Gründerjahren mit viel Leidenschaft für Infosperber – er schrieb mehr als 600 Artikel und prägte die Online-Zeitung ganz wesentlich. Sein unerwarteter Tod ist ein grosser Verlust für den Journalismus, für Infosperber und für alle, die ihm nahestanden.
Um einen Beitrag an das Andenken von Hanspeter Guggenbühl zu leisten, haben sich mehrere Schweizer Autorinnen und Autoren bereit erklärt, einen Text mit der Vorgabe zu schreiben, dass Hanspeter ihn gerne gelesen hätte. «Gerne gelesen» heisst nicht, dass er nicht widersprochen hätte – war ihm die argumentative Auseinandersetzung doch ebenso wichtig wie das Schreiben. Alle Beiträge werden als Serie «in memoriam hpg» zusammengefasst und im hier verlinkten Dossier vereint.
Diese Woche ergänzen wir die Serie «in memoriam hpg» mit einem der vielen Artikel von Hanspeter Guggenbühl, die auch noch nach Jahren von ihrer Aktualität nichts verloren haben.