Amtlicher Boulevardjournalismus
Am 31. August hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt über den derzeitigen Trend bei der Kriminalität informiert. In der knappen Mitteilung heisst es, dass die «Gesamtkriminalität» im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum vorangehenden Semester um fast elf Prozent zugenommen habe.
Eine Tabelle führt die behördliche Aussage anschaulich vor Augen. Demnach nahmen die Tötungsdelikte (inklusiv Versuche) um 40 Prozent zu. Auch die Zahl der Vergewaltigungen stieg um 40 Prozent. Der Raub- und Entreissdiebstahl legte um 24 Prozent zu.
Das klingt dramatisch. Entsprechend gerieten die Schlagzeilen der Medienberichte: «40 Prozent mehr Tötungsdelikte und Vergewaltigungen», titelte «Tele Basel». Dieselbe Aussage hebt die lokale Plattform «Primenews» heraus und schreibt: «Die vielen Gewaltmeldungen der letzten Wochen und Monate in Basel sind keine Einzelfälle, sondern zeigen eine eindeutige Entwicklung auf.» Wenig erstaunlich, macht auch der «Blick» die offenbar starke Zunahme der Tötungen und Vergewaltigungen zum Hauptthema.
Liest man das Kleingedruckte der Stadtbasler Staatsanwaltschaft, sieht die Situation weniger dramatisch aus. In einer Fussnote heisst es, dass es sich nicht um gerichtlich geklärte Fälle, sondern um eine Anzeigenstatistik handle. Ferner wird in den Fussnoten auch die Anzahl Fälle genannt. Bei den Tötungen stiegen die Anzeigen innerhalb eines halben Jahres von 5 auf 7, bei den Vergewaltigungen von 10 auf 14 Anzeigen.
Jedes Gewaltdelikt ist eines zu viel, doch diese verhältnismässig tiefen Zahlen und die kurze Vergleichszeit sind eine schwache Basis für harte Behauptungen. Kommissar Zufall spielt hier eine wichtige Rolle. Übersetzt in eine Trendaussage in Prozenten, wird der Sachverhalt völlig überzeichnet.
Es gehört zum journalistischen Alltagsgeschäft, derlei Differenzierungen zu beachten. «Tele Basel» und der «Blick» haben in ihren kurzen Berichten die absoluten Zahlen zu den Tötungen und den Vergewaltigungen zumindest erwähnt und damit den Sachverhalt für das Publikum transparent gemacht. «Primenews» tat dies nicht. Der flüchtige Konsument wird allerdings nur das wahrgenommen haben: 40 Prozent mehr Tötungen und Vergewaltigungen. In der Regel ist sich das Publikum dessen bewusst, dass etliche Medienanbieter die Faktenlage zuspitzen, wenn nicht übertreiben. Von einer amtlichen Stelle erwartet man das allerdings gemeinhin nicht. Insofern darf man festhalten: Basel-Stadt sollte seriöser informieren und darauf verzichten, die Medien auf dem Boulevard zu überholen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ich bin mit dem letzten Satz betr. Information nicht ganz einverstanden. Generell ist die amtliche Information von Basel-Stadt i.O.
In diesem Fall geht es um die Staatsanwaltschaft BS, die leichtfertig mit statistischen Angaben umgeht, was einige Erklärungen für Leser*innen bedarf, welche mit dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft im Kanton BS nicht vertraut sind.
In den letzten Jahren ist das Vorgehen der Staatsanwaltschaft deutlich politisch gefärbt, und speziell
bei Handlungen die aus der Frauenbewegung, Klimabewegung oder Häuserbewegung stammen, wird aus «jeder Mücke ein Elefant gemacht» was in absurd tönenden Anklagen mündet, die dann oft vor Gericht nicht standhalten. Der vorläufig letzte Streich dieses Gremiums ist die Anklage gegen Nationalrätin Sibel Arslan, wo die Staatsanwaltschaft BS die Aufhebung der parlamentarischen Immunität beantragt.
Es gibt offensichtlich einige Herren in diesem Gremium, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Protestbewegungen zu disziplinieren, einerseits mit populistischer Stimmungsmache, anderseits mit Paragraphenreiterei. Aber ihre Bemühungen verkommen immer mehr zur Farce, was dem Ansehen dieser Institution schaden kann. So gesehen, sind die Mitteilungen der Staatsanwaltschaft BS mit mehrfacher Vorsicht zu lesen.
Und wenn ich den Radar in Richtung Amtsdelikte richte (sprich Murks in Amtsstuben – wieso sollte es in Amtsstuben nicht auch Murks geben?), dann fällt mir auf; dass man bei den Staatsanwaltschaften ständig Arbeitsvermeidung betreibt. Ich bin dazu übergegangen Staatsanwälte die z.B. von «Ausnahmen vom Gesetz» labern wegen Begünstigung anzuzeigen. Mit der Begünstigung (und dieses Folgedelikt nun schon wieder in dem mühsamen amtlichen Umfeld, das jeweils nur widerwillig bearbeitet wird) wird es dann doppelt grotesk. Da spielen dann auch noch Befangenheit und Zuständigkeits-Regeln mit hinein, um die man sich in den Staatsanwaltschaften schlicht schert. Worauf es dann die nächste Anzeige hagelt.
An die Adresse all jener Staatsanwälte die im Jus-Studium geschlafen haben: Im Völkerrecht steht schwarz auf weiss drin, dass die Strafverfolgung auch gegen den Staat WIRKSAM sein muss. Und das im ERSTEN Anlauf, bitteschön.
Man brüste sich also nicht allzu sehr in den Medien, mit wenig aussagekräftigen Zahlen.
Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt hatte schon in der Vergangenheit einen schlechten Ruf. Das Vorgehen gegen Alexander Dorin war eine eindeutige Menschenrechtsverletzung:
https://secure.avaaz.org/community_petitions/de/staatsanwaltschaft_baselstadt_beendet_den_terror_gegen_alexander_dorin_in_der_schweiz/
https://parseundparse.wordpress.com/2019/10/22/neue-dokumente-im-skandalfall-alexander-dorin-vs-staatsanwaltschaft-basel-stadt-bezeugen-justizkorruption/
Man vernimmt darüber leider nichts mehr. Vielleicht soll einfach Gras über die Sache wachsen?