Sperberauge

Warum nur halb so viele Covid-19-Patienten an Wochenenden?

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Eine Statistik bleibt ohne Erklärung: Auf Intensivstationen liegen SA/SO angeblich nur halb so viele Patienten wie an Werktagen.

Die Auslastung von teuren und personalintensiven Intensivstationen lässt sich im Laufe der Woche zwar steuern. Nicht ganz dringende schwere Eingriffe wie Herz- oder Rückenoperationen werden auf Anfang Woche angesetzt, so dass allfällige Kurzaufenthalte auf Intensivstationen spätestens am Freitag Abend beendet sind. An Wochenenden kann deshalb der Betrieb der Intensivstationen um fast zwei Drittel reduziert werden (blaue Balken in der Grafik).

Ausl Intensiv.1.KSD:BAG Kopie
An Samstagen und Sonntagen liegen nur halb so viele Covid-Patienten auf Intensivstationen. Blau = Non-Covid-Patienten; dunkelgrau unten = Covid-Patienten; hellgrau oben = freie Betten. Grössere Auflösung der Grafik hier.

Es fällt jedoch auf, dass nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit BAG im Zeitraum vom 13. Juli bis 9. August auf Intensivstationen auch nur halb so viele Covid-19-Patientinnen und -Patienten behandelt wurden. Das ist erstaunlich, weil bei einer Covid-19-Erkrankung nicht geplant werden kann, an welchen Tagen eine Behandlung auf Intensivstationen nötig sein wird.

Infosperber fragte verschiedene grosse Spitäler an, bekam aber nur zwei Antworten. Im Universitätsspital Zürich sei die Zahl der Covid-19-Patienten auf der Intensivstation gleich wie an Wochentagen, teilte ein Sprecher mit. Daraus lässt sich schliessen, dass der Unterschied in anderen Spitälern statistisch noch grösser sein muss. Es müsse sich «um eine eigenartige Zählung» handeln, meint Nicolas Müller, Infektiologe am Universitätsspital Zürich: «Intensivstationen, die Covid-Patienten betreuen, können diese ja nicht einfach über das Wochenende auslagern.»

Eine Erklärung hatte Professor Hans Pargger, Leiter der Intensivstation des Universitätsspitals Basel: «Das System ‹lebt› von den täglichen Meldungen aller Spitäler und der Datenverarbeitung durch den KSD [Red. KSD = Sanitätsdienst der Schweizer Armee im Auftrag des BAG]. Im Sommer hat der KSD wegen den tiefen Zahlen die Meldungen und Datenverarbeitung durch den KSD an Wochenenden und Feiertagen ausgesetzt, und das ist immer noch so. Das heisst, die Zahlen an Wochenenden sind nicht verwertbar, und sollten nicht benutzt werden.»

NACHTRAG: Es bleibt die Frage, warum die später gemeldeten Zahlen für Samstage und Sonntage nicht auch diesen Tagen nachträglich zugeordnet werden. Weil dies nicht der Fall ist, müssten jeweils an Montagen und Dienstagen statistisch deutlich mehr Covid-Patienten auf Intensivstationen ausgewiesen sein als in den folgenden Wochentagen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie obige Grafik zeigt.

Intensiv.Covid.Wochenende
Weniger Covid-19-Patienten an Wochenenden: Auch vom Mai bis Mitte Juni 2021 lagen weniger auf der Intensivstation, aber der Unterschied zu Werktagen war deutlich geringer.

BAG klärt nicht auf

Das Bundesamt für Gesundheit BAG verbreitete die Zahlen und Grafiken dazu im Sommer unverändert wie die Zahlen vom Frühjahr: Kein Hinweis darauf, weshalb seit Anfang Juli an Wochenenden nur noch halb so viele Covid-19-Patienten auf Intensivstationen liegen sollen wie an Wochentagen. Damit trägt das BAG zu Vermutungen und zur Gerüchteküche bei. Es gilt als unseriös, Grafiken mit veränderten Grundlagen weiterzuführen, ohne dies deutlich zu vermerken.

Eine verbreitete Vermutung ist, dass seit Juli unter den Covid-Patienten der Anteil von unter 65-Jährigen, die zu den Gefährdeten zählen, grösser wird. Diese würden mit planbaren Operationen eingeliefert und dann erst bei Spitaleintritt oder nach einigen Tagen im Spital auf Sars-Cov-2 positiv getestet. Sie lägen also «mit» Corona auf Intensivstationen und nicht «wegen» Corona. Allerdings müsste dann  wohl gleichzeitig der Anteil der unter 65-Jährigen bei den Nicht-Covid-Patienten auf Intensivstationen abnehmen.

Weil keine Statistiken darüber veröffentlicht werden, wie viele Covid-Patienten mit ernsthaften Vorerkrankungen auf Intensivstationen kamen, und wie viele aus anderen Gründen ins Spital kamen und erst im Spital auf Sars-Cov-2 positiv getestet wurden, und wie die Altersgruppen unter Covid- und Nicht-Covid-Patienten verteilt sind, kann nur spekuliert werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

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Coronavirus: Information statt Panik

Covid-19 fordert Behörden und Medien heraus. Infosperber filtert Wichtiges heraus.

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6 Meinungen

  • am 19.08.2021 um 15:05 Uhr
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    Herr Gasche
    Es wird immer über die prozentuelle Auslastung der Spitäler informiert. Es wird aber nicht oder nur schwammig berichtet, wie viele Betten in der Pandemiezeit abgebaut wurden und noch werden. St.Gallen bspw. ist im Begriff fünf Kantonsspitäler aus kommerziellen Gründen zu schliessen. Flawil ist in diesem Jahr geschlossen worden, weitere werden folgen. St.Gallen weist aktuell eine 75%-ige Auslastung aus. Nun sind diese 75% ja nicht mehr dasselbe, wie noch vor einem Jahr.
    Haben Sie da auch schon mal Zahlen zusammengetragen oder planen dies?

    • Portrait_Josef_Hunkeler
      am 21.08.2021 um 18:24 Uhr
      Permalink

      Diese Zahlen werden vom BAG täglich aktualisiert. SG hatte Anfang Dez. 2020 1370 Betten, davon 70 für Intensivbehandlung. Davon wurden maximal 28 für Covid-Fälle verwendet.
      Mitte August gibt es insgesamt 1247 Betten, davon 55 für Intensivpflege. Am 15.8.2021 waren von insgesamt 25 Covid-Patienten nur gerade 4 in Intensivpflege.

      Die Daten sind im File «COVID19HospCapacity_geoRegion.csv» unter
      https://www.covid19.admin.ch/api/data/20210820-cd5ucvap/downloads/sources-csv.zip
      zu finden.

  • am 19.08.2021 um 21:07 Uhr
    Permalink

    Auch das Virus hat ein Recht auf Wochenende, damit es frisch gestärkt seine todbringende Aufgaben am Montag wieder wahrnehmen kann. Wer diesen Zusammenhang nicht verstehen will, ich weiss nicht so recht …

    Mal ohne Ironie:
    Bis auf die ganz frühe Epoche und auch nur in Bellinzona, hat sich die Anzahl der Hospitalisierten nach den verfügbaren Spitalbetten gerichtet. Ein Schelm wer dabei an böses denkt.

    Die einzige Zahl die wirklich zählt ist wieviele tagtäglich mit oder an der Infektion sterben. Diese Anzahl ist zur Zeit statistisch kaum fassbar.

  • am 20.08.2021 um 10:56 Uhr
    Permalink

    Kreative Buchhaltung …
    Ausgerichtet auf Personal, Betten, Patienten, Eingriffe.
    Ziel: möglichst viel Gewinn mit möglichst wenig Personal und eingesetzten Mitteln.
    Ein bisschen wie bei einer Pizzeria.

  • am 20.08.2021 um 15:11 Uhr
    Permalink

    Danke Herr Gasche für den Artikel.

    Für mich wäre der erste Erklärungsansatz (Fehler in der Datenaggregation) der weniger tragische Fall. Die Daten am Wochenende wären dann zwar falsch/zu tief, dann sollten aber wenigstens die Daten unter der Woche stimmen. Fehlerhaft, aber an sich schnell korrigierbar.

    Im schlechteren Fall (geplante Operationen mit Nicht-Covid Patienten wandeln sich in angeblich durch Covid verursachte Intensivbettenbelegung um) wäre das allerdings tatsächlich sehr unschön. Die Daten unter der Woche wären im Vergleich zu den ‹richtigen Covid-ICU-Patienten› klar zu hoch. Die Panikmache wegen drohender ICU-Überlastung wäre noch weniger begründet als sonst schon.

  • am 21.08.2021 um 12:08 Uhr
    Permalink

    Lange vor Corona und bei anderen Krankheiten ist dieses Phänomen aufgef. Mir bekannte Ärzte und vor allem Krankenpflegekräfte haben mir das so erklärt, Am Freitag werden noch möglichst viele aus dem Intensivbereich in den Normalbereich entlassen, die nur noch Regeneration nötig haben.
    SA/SO werden nur die dringendsten Notfälle aufgenommen u. Einweisungen von Hausärzten gibt es auch kaum. Aber ab Montog kommt es wieder zu einer verstärkten Anzahl von Einweisungen mit entsprechenden tiefen Voruntersuchungen. Auch das was am DO noch nicht gar nicht so akut war und sich bis MO gravierend verschlimmert hat.

    Im Übrigen sollte ja der Unterschied zwischen
    Corona-A (relativ geringere Ansteckungsgefahr u.relativ höherer Bedarf an Intensiv-Kapizitäten) und Corona-D (relativ höhere Ansteckungsgefahr u. wenn im Normalbereich gut behandelt wird, seltener Intensiv-Behandlungen nötig sind.

    In einigen Ländern (England, Süden der USA) sind inzwischen die Kapazitäten im Normalbereich und im gesamten Personalbereich erschöpft, wegen Corona-D.

    Insgesamt sind mehrere jeweils geeignete Indikatoren für eine zutreffende Beurteilung eines Sachverhalts herangezogen werden, damit sich Vorurteile u. Pauschalierungen nicht seuchenartig verbreiten u. für mehr Macht instrumentalisiert u. bewirtschaftet werden können.

    Der konstruktive Umgang mit den zunehmenden u. immer komplexeren Sachverhalten sollte viel mehr zur Allgemein-Bildung gehören, damit Menschen nicht so leicht verführt werden können.

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