in memoriam hpg: Wie aus der Göttin ein Panzer wurde
Vor einiger Zeit sass ich in einem Zürcher Strassencafé. Ich versuchte, mich von den vorbeifahrenden Autos nicht stören zu lassen, als plötzlich ein Auto unsere Aufmerksamkeit erregte: eine Citroën DS. Ich muss zugeben, dass dessen Anblick bei mir ganz leise ein positives Gefühl anklingen liess.
Die DS – ausgesprochen tönt das Kürzel wie «Déesse», Göttin – ist eine Legende des Fahrzeugdesigns. Der französische Zeichentheoretiker Roland Barthes nannte sie einen «Mythos des Alltags», und die kleine Begegnung war mir Anlass, Barthes’ Essay «La nouvelle Citroën» wiederzulesen (in Buchform erschienen in «Mythologies», Paris 1957; deutsch: «Mythen des Alltags», neu aufgelegt Berlin 2010). Barthes betrachtet die DS unter ästhetischen Gesichtspunkten.
Die Fahreigenschaften mögen in den Prospekten beworben werden, doch was ein Auto ausmacht, ist in erster Linie sein Design. Denn die Fahreigenschaften sind nur für die kleine Minderheit derer relevant, die im Auto drin sitzen; für die grosse Mehrheit derer, an denen es vorbeifährt, ist das Design relevant. Und zwar visuell wie akustisch – sogar der Lärm eines Autos ist designt.
Vergeistigt wie eine Seifenblase
Hanspeter Guggenbühl hat einmal geschrieben (ich zitiere aus dem Gedächtnis): «Wäre das Auto ein Verkehrsmittel, man hätte es längst durch etwas Besseres ersetzt.» Ich glaube, Hanspeters Satz trifft einen zentralen Punkt: Solange Verkehrswissenschaften und Verkehrspolitik das Auto als Verkehrsmittel betrachten – und nicht als Prestigeobjekt, Freiheitsversprechen, Wohnungserweiterung, Spielzeug, Waffe … –, werden sie ihm nie gerecht werden.
Beim Lesen von Barthes’ Essay fiel mir auf, dass heutige Autos nicht einfach nicht mehr «schön» sind wie die DS; sie sind ihre genaue Antithese – während Barthes die DS ihrerseits als Antithese noch früherer Automobile beschrieb. Er schwärmte vom «Gefühl der Leichtigkeit in einem magischen Sinne», einer «Vergeistigung»; er verglich die «Déesse» mit einer Seifenblase. Sie sei nicht so massiv und aggressiv geformt wie die frühen Automobile, kein «Bestiarium der Kraft», sondern «humanisierte Kunst». Die heute dominierenden SUVs dagegen sind luxuriös nach innen, aggressiv nach aussen.
Die Kunst des «schönen» Autodesigns brachte in den 1950er- und 1960er-Jahren Fahrzeuge hervor, die sich von ihren Vorgängern auf ähnliche Weise unterschieden wie vor ihren Nachfolgern; sie standen für ein spezifisches Zeitfenster in der Geschichte des Automobilismus.
Schöner statt besser
Die frühen Autos waren Spielzeuge der Eliten. Nur Wohlhabende konnten sie sich leisten. Journalisten und Schriftsteller (und wenige Schriftstellerinnen wie Erika Mann, Annemarie Schwarzenbach oder Eva Maillart) verklärten ihre Autos zu Liebesobjekten. Die breite Bevölkerung hingegen lehnte das Auto lange Zeit ab – entgegen dem Mythos auch in den angeblich autoverrückten USA. Gestaltet wurden die frühen Autos von Ingenieuren und Handwerkern, Autodesigner gab es noch keine. Henry Ford wäre es nicht in den Sinn gekommen, sein Modell T (ab 1908) müsse schön sein; nicht einmal farbige Ts kamen für ihn in Frage. Das Autodesign erfand der General-Motors-CEO Alfred Sloan in den 1920ern. Nachdem es GM nicht gelungen war, ein besseres Auto als Fords T auf den Markt zu bringen, versuchte man es halt mit schöneren. Es gab sogar eine Frauenlinie. Der Ford T wurde plötzlich zum Symbol von Spiessigkeit, vorgeführt von Stan und Ollie in «Big Business» von 1929, einem sehr lustigen Kurzfilm mit sehr primitiver Handlung.
Waren die Autos zunächst elitär, zielte Ford mit seinem Modell T auf eine Massenmobilisierung, und die Erfindung des Autodesigns war die logische Konsequenz davon. In Europa sollte es noch länger dauern, doch politische Massenbewegungen wie der Faschismus und der Nationalsozialismus versprachen wie ihr Bewunderer Henry Ford das Auto für alle, und «fortschrittliche» Städtebauer und Architekten wie der Schweizer Le Corbusier (aber keine Architektinnen, soweit ich sehe) propagierten die «autogerechte Stadt».
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Massenmobilisierung gegeben: Erst jetzt, mit dem Beginn des «Wirtschaftswunders» wurde das Versprechen glaubwürdig. Das Auto sollte endlich die grosse Bewegungsfreiheit für alle bringen. Dass der Krieg viele Städte zerstört hatte, erleichterte deren «autogerechten» Umbau, wobei gerade in Deutschland sehr viel städtische Bausubstanz erst nach dem Krieg gezielt für die Förderung des Automobils platt gemacht wurde.
Freiheit für alle
Die 1950er und 1960er Jahre waren die goldene Zeit des Freiheitsversprechens des Autos: Schon durften (fast) alle den Traum träumen, noch war er für so wenige Realität, dass genug Platz war auf den Strassen. Man schaute den Autos gerne zu, Wohnlagen mit freier Sicht auf die Autobahn waren begehrt – und die Autos waren «schön». In Filmen jener Zeit, die die Freiheit feiern, spielen Autos oft eine zentrale Rolle. Sie waren Orte, wo man sich begegnete, in denen man gemeinsam aufbrach.
Aber sobald der Traum für viele Realität wird, führt er sich ad absurdum. Es gibt nicht genug Platz, als dass alle sich ungestört in Blechgehäusen fortbewegen könnten. Jacques Tati hat darüber schon 1971 seinen Film «Trafic» mit der schönsten Karambolageszene der Filmgeschichte gedreht; auch eine DS tritt darin auf. Das Fahrzeug, mit dem der Protagonist unterwegs ist – ein handgebauter Camper – hat noch etwas Liebenswürdiges; es geht aber unter in einer Masse gleichförmigen Blechs. In ebendiesem Jahr erreichte der Blutzoll des Strassenverkehrs mit 1773 Toten in der Schweiz seinen Höhepunkt.
Die 1970er Jahre waren die Zeit meiner Kindheit. Mein Vater (die Mutter fuhr nicht) war immer ein ausgesprochen höflicher Mensch, nie hörte ich ihn anderen gegenüber ein böses Wort äussern – ausser am Steuer unseres Familienautos in den Momenten, in denen die Diskrepanz zwischen Freiheitserwartung und Realität am grössten war: auf unseren Ferienfahrten, wir Kinder mit griffbereitem Kotzbeutel auf dem Hintersitz.
SUVs im Design des Kriegs
Die 1980er Jahre waren nicht nur das Jahrzehnt des Waldsterbens, sondern auch der anti-ökologischen Reaktion. Die Autopartei brachte eine Aggressivität in die schweizerische Politik, die neu war. Aber erst ab den 1990er Jahren kamen die fahrenden Festungen auf, die man SUV nennt. Der Philosoph Niklaus Schefer hat in einer Studie zur Ästhetik des Automobils gezeigt, wie diese neue Ästhetik mit dem Golfkrieg 1991 zusammenpasst: Die Strasse wurde immer mehr zum Schlachtfeld. Dass die Zahl der Todesopfer gleichwohl sank, hat einen einfachen Grund: Die zu Fuss Gehenden kapitulierten. Immer mehr Erwachsene hatten die Strasse schon als Kind nur mehr als Fahrbahn für Motorfahrzeuge erlebt. Verbreitet hat sich die neue Ästhetik der Masse und Aggressivität dann im Zeitalter, als der Neoliberalismus, diese Feier des rücksichtslosen Egoismus, als einzige Ideologie triumphierte. Je knapper der Platz im öffentlichen Raum, desto mehr scheint jede Autofahrerin und jeder Autofahrer sich davon nehmen zu wollen.
Ich will hoffen, dass wir eine Zeit der Rückeroberung vor uns haben. In Städten wie Kopenhagen ist sie schon weit gediehen, in Paris ist sie in vollem Gange, in der Schweiz streitet man noch. Es sind die Fürsprecherinnen und Fürsprecher des Autos, die heute sanfte Töne anschlagen: Man müsse eine Verkehrspolitik des Miteinander anstreben, nicht des Gegeneinander.
Eine Rhetorik, die übersieht, dass die, die da miteinander auskommen sollen, höchst ungleich sind – die einen gepanzert, die anderen nicht; die einen motorisiert, die anderen nicht – und dass man ein knappes Gut wie den öffentlichen Raum neu verteilen kann, wenn man denen, die bisher zuviel hatten, etwas wegnimmt.
Autoverliebte Leitartikler beklagen einen «Krieg» gegen den motorisierten Individualverkehr. Hanspeter war auf einem Velo unterwegs, als ein Motorradfahrer ihn tötete. Der «Krieg» auf der Strasse findet immer noch in die andere Richtung statt.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Marcel Hänggi ist Journalist, Buchautor und Mit-Initiant der Gletscher-Initiative.
www.mhaenggi.ch
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Vielen Dank für diesen wichtigen, leicht geschriebenen Artikel zu einem schweren Thema (erschwert durch den Hinschied von Hanspeter Guggenbühl). Die Coronazeit hat die ganze Autogeschichte noch verstärkt: G-Mercedes (die übrigens zwischen 150-400 Tausend kosten) und Co. überschwemmen die Stadt Zürich. Kommt dazu, dass der «Luxus sozialisiert» ist, also eine unmögliche Situation für Welt und Umwelt (was nicht heisst, dass die Reichen das Recht auf Luxus für sich haben sollen).
Auch ich verneige mich tief vor HP Guggenbühl ! ! !
ABER — die DS, die «Göttin» der Automoblie kommt in diesem Beitrag einfach zu schäbig weg, denn diese fantastisch gute «Sänfte auf 4 Rädern» setzte in sehr vieler Hinsicht neue, und super-gute technische Mass-Stäbe. Ich fuhr SIE. – Erst das «abgespeckte» Schwesterchen, ID 19 , dann die «Göttin» von etwa 1965 bis etwa 1985.
Die technischen «Schmankerln» der DS, der Göttin:
Der Radstand hinten war schmäler als vorne – und das Fahrzeug derart genial ausbalanciert, dass man auch noch mit 3 Guten + 1 plattem Rad problemlos über 100 km/h schnell fahren konnte- und dass man NICHT in «gespurten» Fahr-Rinnen «gefangen» war.
Die hydropneumatische Federung liess das Fahrzeug gleiten wie eine Sänfte –
und war in ?4? Stufen (bei schlechter Fahrbahn und zum Rad-Wechsel) einstellbar.
Eine automatische Kupplung – Du brauchtest nur die Gänge zu wechseln und die DS kuppelte automatisch die Gänge ein und aus. Ganghebel ganz nach links: Anlasser.
UND die DS lief und lief. Schwachstellen waren Wasserpumpe (nach knapp100tsd km «fertig») , Löt-Verbindungen der Hydraulik – und relativ häufiger «Kerzenwechsel». Nachteilig war auch, dass SIE deutlich untersteuerte – bei scharf gefahrenen Kurven «ausbrach». Sofortiges Bremsen half.
Die Nachfolger der «Göttin» waren ok – erreichten aber nie deren Niveau. Leider !
SIE, die «Göttin», war wirklich eine einmalige Vereinigung von Eleganz und bester Technik !
Wolf Gerlach, Ingenieur
Eine sehr richtige und nachfühlende Betrachtung, die mir aus der Seele spricht. Danke.
Marcel Hänggi hofft auf die Rückeroberung der Städte durch die Menschen, für die Fussgänger. Hänggi schreibt: «Ich will hoffen, dass wir eine Zeit der Rückeroberung vor uns haben. In Städten wie Kopenhagen ist sie schon weit gediehen, in Paris ist sie in vollem Gange, in der Schweiz streitet man noch.»
Immerhin fahren auf der Bahnhofstrasse und am Rennweg in Zürich schon lange keine Autos mehr. Mein Onkel, ein Privatchauffeur seit den Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts ärgerte sich seinerzeit, dass man mit dem Auto nicht mehr durch die Bahnhofstrasse fahren konnte. Auch durch das Niederdorf in Zürich kann man längst nicht mehr mit dem Auto kutschieren. Etwa 1964 fuhren wir jeweils mit Gottfried in seinem DS Citroën nachts um zehn Uhr vom Central durch das Niederdorf zum Café Select am Limmatquai herunter. Rund um das Select drehten damals junge Männer mit ihrem MGs oder anderen Sportwagen mit offenem Verdeck ihre Runden und hielten Ausschau nach Frauen.
Da ich alt bin werde ich die Rückeroberung Zürichs durch die Fussgänger nicht mehr erleben und wie es mit unserem liebsten Kind dem Autos so weitergeht. (Ausser es gibt wieder eine Ölkrise, wie 1956 als wir auf der Bernstrasse in Biel Velo fuhren, da ein Sonntagsverbot verfügt wurde.)
Als Beobachter der Bauerei in Zürich habe ich schon mehrmals festgestellt, dass bei Neubauten zwar Platz geschaffen wird für Autos, ohne Kinderspieplätze .
ifor-mir.ch/zollhaus-statt-wiese-cocktail-von-giftigen-autoabgasen-und-laerm/
Während die Regierungen und die Autoindustrie mit E-Mobilität den Klimaschutz beschwören, dominieren zunehmend diese von der gleichen Autoindustrie beworbenen SUV-Panzerfahrzeuge unser Verkehrsnetz. Das ökologische und ökonomische Optimum liegt wohl irgendwo zwischen diesen Extremen. Die SUV’s könnten zu einem Dominoeffekt führen, denn wer von Panzern umgeben ist, möchte sich zum eigenen Schutz nicht in einem Leichtfahrzeug ins Kampfgebiet begeben.
Danke für den Artikel – habe ich gerne gelesen! Zum Ford kommt mir ein Stummfilm von Buster Keaton (sicher deutlich früher als 1929) in den Sinn. Ein Mann mit einem Arm im Gips erscheint – what happended to you? – I bought a Ford! Offenbar hoffte man, damit das Publikum zum Lachen zu bringen. Beim DS (bis heute Liebling – naja, Lieblingin – der Architektinnen und Architekten, wie der «Schneewittchensarg» von Volvo) war ich mir als Kind immer sicher, dass es mir als Passagier übel würde – diese Federung, wie beim Deuxchevaux, ein schwabbelndes Schiff für den Asphalt. Die Botschaft des Designs kann also sehr vielseitig sein. Andere Buben machten sich gelegentlich einen Spass daraus, einmal kräftig auf die hintere Stossstange zu treten, irgendwie konnte sich dadurch im Fahrzeug etwas verklemmen (oder lösen?), hiess es. Das Gefährt galt als überaus bürgerlich (General de Gaulle liess sich damit durch Paris chauffieren). Zum SUV-Foto: Gute Wahl! Die martialischen Dinger passen nicht in normale Parkfelder. Autos sind eben kleine Häuser, die schon beim Herumstehen (sei es auf dem Parkplatz, sei es im Stau) etwas hergeben und viel über ihre Halterinnen und Halter erzählen.
Christopher Alexander’s «Mustersprache» aus den 1970er-Jahren ist seit langem sozusagen meine «Bibel» als Lebensraumkünstler. Beispielsweise zum Auto hat er schon damals geschrieben, dass es jede Menge schwieriger und grosser sozialer Probleme verursachen kann; es aber eine solche Macht hat, dass eine Zukunft ohne Auto nicht vorstellbar scheint. Beim Muster «Lokalverkehrszonen» steht unter anderem zum Platzbedarf: «Stellen wir das Problem in seiner ganzen Schärfe dar. Der Mensch braucht etwa 1/2 m2 Platz, wenn er stillsteht, und vielleicht 1 m2, wenn er geht. Ein Auto braucht etwa 30 m2, wenn es stillsteht (einschliesslich Zufahrt), und bei 50 km/h und einem Abstand von drei Längen braucht es etwa 100 m2. Wie wir wissen, werden Autos die meiste Zeit nur von einer Person benützt. Der Gebrauch von Autos bedeutet also, dass jede Person fast hundertmal soviel Platz braucht wie als Fussgänger.» Städte wie Kopenhagen, die sich bei ihrer Entwicklung an Christopher Alexander’s «Mustersprache» orientiert haben, sind lebensfreundlich: schade, dass das in den letzten 50 Jahren so wenige getan haben!
Schöne Autos (schön nicht in Anführungszeichen) sind vielleicht weniger Verkehrsmittel als Mythos, gerade Kulturleute spielen gerne mit: Max Frisch und sein Jag, Karajan und sein Neunelfer, hinreissend die zarte Joan Didion neben und in ihrem raubtierhaften Stingray. Autos beleben so manchen Film. Und der Author hat recht: der Mythos eines Autos lässt beim Schauen das Herz höher schlagen und befeuert Projektionen des Selbst, hebt zusätzlich des Fahrers Ego — guter Ersatz für Antidepressiva und ungute Lebensfährnisse, so what? Autos wurden leider massiger: Sicherheitsbestrebungen oder -wahn, und evolutives Wachstums-Prinzip (=Überlegenheit). Darunter leidet Schönheit und Vernunft. Hoffentlich ändert sich das ein bisschen in Zukunft. Übrigens, Militär-Jeeps waren schon in den 70ern beliebt nicht nur bei Militärköpfen.