«Bild» – aus gutem Grund genau beobachtet
Die «Bildzeitung», sangen «Die Ärzte» bereits 2008, bestünde, «wer wüsste das nicht», aus «Angst, Hass, Titten und dem Wetterbericht». Wer 2008 nicht mehr ganz im «Ärzte»-Alter war, erinnerte sich an Günter Wallraffs kritisches Buch «Der Aufmacher», das 1977 erschienen war. Geändert hat sich eher wenig.
Seit Mai 2021 gibt es ein neues Buch über die «Bild». Geschrieben haben es Mats Schönauer und Moritz Tschermak, ehemaliger und derzeitiger Leiter des «Bildblog», der sich neben einer täglichen Link-Liste bemerkenswerter Artikel vor allem mit den Verfehlungen der «Bild» beschäftigt.
Mit Recherche gegen Halbwahrheiten
«Ohne Rücksicht auf Verluste. Wie Bild mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet» ist eine detaillierte Aufstellung darüber, was am publizistischen Output der «Bild» kritikwürdig ist. Genau recherchiert zeigen Schönauer und Tschermak an etlichen Fällen auf, was ethisch, presserechtlich und mit den Fakten schiefläuft auf dem «Bild»-Boulevard.
Sei es die gelegentlich schwierige Nähe zu Politikern, das problematische Verhältnis der «Bild» zu Frauen, die Missachtung von Persönlichkeitsrechten, die abwertende Sprache, die Unterstützung oder Verdammung von Politikern, Richterinnen oder auch Wissenschaftlern, Halbwahrheiten oder schlicht die Publikation von Fakten, die nicht stimmen.
Drosten, «Pleite-Griechen» und «Hartz-4-Schmarotzer»
Wer sich ordentlich gruseln will, nicht ohnehin regelmässig BILDblog liest, ein «Nachschlagewerk Bildzeitung» braucht oder wie die Autorin dieses Artikels vieles vergessen hat, bei dem «Bild» eine unrühmliche Rolle spielte, kann sein Gedächtnis auffrischen.
Nicht allzu lange her ist beispielsweise der Angriff auf den Virologen Christian Drosten, der laut «Bild» mit «fragwürdigen Methoden» eine «grob falsche» Studie über ansteckende Kinder erstellt habe. Wissenschaftler, die das Medium als Beleg anführte, distanzierten sich umgehend.
Man kann beim Lesen nachvollziehen, wie gut es den Autoren tut, ihre Recherchen in einem ausführlicheren Rahmen darzulegen. So verdienstvoll das ist, fragt sich doch, ob ausgerechnet ein Buch die richtige Form ist, die Inhalte des «Bildblogs» zusammenzufassen. Auf 300 Seiten reihen die Autoren Beispiel an Beispiel. Die Liste ist im wahrsten Sinne erschöpfend.
Seit Reichelt hat sich die Lage verschärft
Zu sagen gibt es viel. Es sei über die Jahre, sagen die Schönauer und Tschermak, mal mehr, mal weniger schlimm gewesen mit der «Bild». Mit Julian Reichelt, der seit 2018 Chefredaktor ist, machen sie sowohl eine Verschärfung des Tons wie auch eine Hinwendung zu politischeren Themen aus.
Wahrscheinlich deshalb, weil das die «Bild» günstiger komme. Prominente wehren sich öfters gerichtlich oder auch durch Öffentlichkeit, wie zum Beispiel Günter Jauch gegen die Berichterstattung über den Tod seines Schwiegervaters oder die Schauspielerin und Autorin Charlotte Roche, die von Erpressung durch «Bild» berichtete.
Bild dir deine Meinung
Problematisch war und bleibt auch das Verhältnis der «Bild» zu Frauen. Die Schönheit von Seite 3 ist zwar seit 2018 nicht mehr barbusig, «Bild» überschüttet Frauen in jeder Position aber noch immer mit giftigem Lob, indem sie ausführlich ihr Äusseres kommentiert, während ihre fachlichen und sportlichen Leistungen eine untergeordnete Rolle einnehmen.
Bilder spielen überhaupt eine wichtige Rolle in Deutschlands bekanntester Boulevardzeitung. Egal, was Presserat, Journalistenverbände, Anwälte, Richter, Psychologinnen und Seelsorger sagen, das prominent platzierte Opferfoto ist ein fester Bestandteil der Berichterstattung. «Ohne Rücksicht auf Verluste» beschreibt einmal mehr, zu welchen Mitteln die Journalistinnen und Journalisten der Bildzeitung greifen, um möglichst schnell dazu zu kommen.
Sabine Rückert, die ihr Volontariat bei «Bild» absolvierte, und andere sprechen von «Blutrausch» oder «Jagdfieber», um den Zustand zu beschreiben, in dem Bild-Reporter rücksichtslos Foto-Jagd auf Hinterbliebenen machen. Nach dem Volontariat ging Rückert zur «taz», heute ist sie stellvertretende Chefredaktorin der «Zeit».
Schönauer und Tschermak haben mit Menschen gesprochen, die von der Berichterstattung der «Bild» direkt betroffen waren oder noch sind. Viele leiden jahrelang darunter, wie «Bild» sich in ihr Privatleben eingemischt oder falsch berichtet hat.
Fehler räumt «Bild» nur im Notfall ein
Dass Familienangehörigen kondoliert wird, während sie selbst gerade erfahren haben, dass ein grosses Medium sie für tot erklärte, ist dabei noch harmlos. Journalistinnen und Journalisten der «Bild» erwischten auf der Suche in Social-Media-Profilen öfter das falsche Opfer oder den falschen Täter. Zuletzt präsentierte die Zeitung einen Mann fälschlicherweise als Attentäter von Würzburg – natürlich unverpixelt.
«Bild» entschuldigte sich für den Fehler, was selten geschieht. Fehler räumt die Zeitung sonst nur im Notfall ein, Rügen behandelt sie eher wie Auszeichnungen. Angeordnete Richtigstellungen unterschreibt die Chefredaktion so gut wie nie, haben die «Bildblog»-Autoren beobachtet.
Ob der Siegeszug «gefühlter Wahrheit» durch die Bildzeitung befeuert oder gar angestossen wurde? Beigetragen hat sie sicher, denn «Bild» steht für vieles, was man sonst den Sozialen Medien zuschreibt, wie Fake News, Verkürzungen und Hassbotschaften. «Emotion vor Fakten» ist jedoch kein neues Konzept. «Bild» weiss dazu seit mindestens 1968 zuverlässig, was Gut und Böse ist, was eine akzeptable Meinung ist und wo und bei wem «wir» in Zukunft ganz besonders aufpassen müssen – bei «Pleite-Griechen» oder «Hartz-4-Schmarotzern» zum Beispiel.
Gleichzeitig «Lügenpresse» und glaubhafte Quelle
Vor allem mit antimuslimischen Artikeln habe die Zeitung es geschafft, gleichzeitig als «Lügenpresse» und glaubhafte Quelle zu gelten, stellen die «Bildblogger» fest. Die Zeitung sehe sich nicht als Brandstifter, sondern als Ventil, zitieren sie den Chefredaktor.
Bei der Frage, ob das irgendwann aufhört, sind Schönauer und Tschermak pessimistisch. Einen gewissen Einfluss habe «Bildblog» schon, sagt Moritz Tschermak in einem Gespräch mit dem «Deutschlandfunk», grundsätzlich ändern werde sich durch Fakten und Recherche eher wenig.
Auf das «Warum», das gegen Ende des Buches auftaucht, gibt es denn auch keine befriedigende Antwort. Am ehesten, weil der kalkulierte Rechtsbruch sich lohnt. Selbst wenn sich einer der Angegriffenen wehrt, sind die Strafen nicht hoch genug, um den Gewinn einzuschränken. Einer Polizistin, die gegen eine vorverurteilende Schlagzeile geklagt hatte, wurden beispielsweise 6000 Euro zugesprochen – für einen grossen Verlag ein Klacks.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
…genau beobachtet! Schön wird die «Bild» nicht vom Verfassungsschutz «beobachtet», so wie die JUNGE WELT… https://www.jungewelt.de/bibliothek/dossier/223