Baerbocks schäbige Buchkultur
Der deutsche Innenminister Horst Seehofer hat am Mittwoch die wegen Plagiatsvorwürfen in Bedrängnis geratene Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in Schutz genommen. Der «Süddeutschen Zeitung» sagte er: «Wie viele Bücher sind geschrieben worden, bei denen man aus Programmen, aus anderen Konzepten einfach Dinge wiedergibt. Und nachdem es keine wissenschaftliche Arbeit ist, ist man auch nicht verpflichtet, die Quelle anzugeben.» Ähnlich hat sich die Kritisierte geäussert. In der Talkshow «Brigitte live» meinte Baerbock: «Aber da es kein Sachbuch oder wissenschaftliche Arbeit ist, gibt es gar keine Fussnoten in diesem Buch.»
Das Buch der Kanzlerkandidatin befasst sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen, auch mit dem Klimawandel und der Digitalisierung. Sie äussert sich also zur öffentlichen Sache. Ob man einen solchen Text als Sachbuch bezeichnen soll oder nicht, ist Nebensache. Nachdenklich stimmt allerdings die Behauptung, nur in wissenschaftlichen Werken müssten Quellen genannt werden. Dies umso mehr, als sich hier zwei prominente Personen eines Landes äussern, das sich auch als Kulturnation versteht.
Gerade dank dem Internet hat die Quelle in vielerlei Zusammenhängen einen neuen Wert erhalten. Die Qualität eines Textes nimmt zu, je besser ein Autor oder eine Autorin mit Links auf die Herkunft von Gedanken, Informationen und Daten verweist. Links sind nicht nur eine geistige Bereicherung, sondern auch ein Zeichen der Transparenz. Es ist keine Schande zuzugeben, dass nicht alles auf dem eigenen Mist gewachsen ist.
In einem Buch sind die Fussnoten gleichsam die schwerfälligen Vorfahren der digitalen Link-Kultur. Im Gedruckten gibt es aber auch weniger umständliche Formen des Verweises auf einen Urheber. Wer sich ausserhalb von wissenschaftlichen Werken bewegt, kann in einer galanten Bemerkung die Quelle ausweisen. Das gehört zur guten bildungsbürgerlichen Tradition. Es ist ebenso ein Zeichen des Respekts gegenüber dem Publikum. Man muss es ja nicht übertreiben wie jene Angeber, die seitenweise grosse Namen nennen, bloss um die Leserschaft klein zu machen.
Der Plagiatsprüfer Stefan Weber hat das eben erschienene Buch von Baerbock seziert und auf zahlreiche obskure Stellen hingewiesen. Teilweise sind die Verweise auf nicht zitierte Quellen etwas beckmesserisch; das zeigt sich im Vergleich einzelner Passagen. In der Summe gewinnt man aber doch den Eindruck, dass hier jemand allzu oft fremde Textbausteine kopiert oder paraphrasiert hat. Hätte die Autorin kleine Verweise auf die Herkunft platziert, wäre sie nicht in die Bredouille geraten.
Innenminister Seehofer sagt, dass solches Abschreiben gang und gäbe sei. Das stimmt wohl – auch im Journalismus. Im Kodex des Schweizer Presserats heisst es dazu: «Wer Informationen, Präzisierungen, Kommentare, Analysen und sämtliche anderen Informationsformen von einer Berufskollegin, einem Berufskollegen ohne Quellenangabe in identischer oder anlehnender Weise übernimmt, handelt unlauter gegenüber seinesgleichen.» Das gilt ebenso für eine Kanzlerkandidatin. Solches Tun in der öffentlichen Sphäre ist schäbig. Gerade einer grünen Politikerin dürfte man zurufen: Tragen Sie Sorge zu den Quellen.
Nachtrag: Inzwischen betrachtet Baerbock die Angelegenheit etwas selbstkritischer: «Rückblickend wäre es sicherlich besser gewesen, wenn ich doch mit einem Quellenverzeichnis gearbeitet hätte.» Dies sagt die Kanzlerkandidatin in der Donnerstagsausgabe der «Süddeutschen Zeitung».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
«Wer Informationen, Präzisierungen, Kommentare, Analysen und sämtliche anderen Informationsformen von einer Berufskollegin, einem Berufskollegen ohne Quellenangabe in identischer oder anlehnender Weise übernimmt, handelt unlauter gegenüber seinesgleichen.»
Wer Kollegen nach Geschlecht sortiert, handelt unlauter. Ich muss nicht wissen, welches Geschlecht mit mir nicht verwandte Menschen haben und dieses private Merkmal in der öffentlichen Sprache nicht adressieren, denn das ist unhöflich.
Anderseits gelten Regeln für Journalisten nicht für andere Berufe, also auch nicht für Politiker. Wenn ein Buch nicht explizit als Sach- oder Fachbuch gekennzeichnet ist, sollte man auf Quellenangaben verzichten. Der Autor äussert seine Meinung und das Meinungen ganz überwiegend immer nur abgeschrieben sind, sollte zur Allgemeinbildung gehören. Die eigene Meinung entsteht, wenn man vergisst, wo man die gehört oder gelesen hat. Ein eigene Meinung ist so selten wie ein Sechser mit Zusatzzahl im Lotto. Ich z.B. vertrete überwiegend seltene Meinungen, bin aber dennoch meist nicht deren Autor. Die Quellen des Gros meiner Meinungen habe ich vergessen.
Politiker*innen, die «unlauter» konkurrieren, scheinen mir gut zu einer Gesellschaft von mehrheitlich Wohlstandsverwahrlosten zu passen. Kollektiv organisiert herrschen Verantwortungslosigkeit und Wertefreiheit: wo vor allem gross Mächtige und schwer Reiche tun oder lassen können, was und wie sie es wollen. Hauptsache: es bringt ihnen noch mehr Macht und noch mehr Geld. Und läuft es schief, kann niemand etwas dafür: Jede*r ist sich selbst der*die Nächste!
Akademische Ehrlichkeit ist das wenigste, das man erwarten darf, selbst/insbesonders wenn es sich um politisch inspirierte Pamphlete handelt
Ob die famose Kandidatin bzw. ihr(e) Ghostwriter sich an Brechts Keunergeschichte über Originalität beim Verfassen orientiert haben? Das wäre doch – ohne die handwerklichen Fehler – lobenswert, WENN auch die Qualität des Ergebnisses stimmte:
»Heute«, beklagte sich Herr K., »gibt es Unzählige, die sich öffentlich rühmen, ganz allein große Bücher verfassen zu können, und dies wird allgemein gebilligt. Der chinesische Philosoph Dschuang Dsi verfaßte noch im Mannesalter ein Buch von hunderttausend Wörtern, das zu neun Zehnteln aus Zitaten bestand. Solche Bücher können bei uns nicht mehr geschrieben werden, da der Geist fehlt. Infolgedessen werden Gedanken nur in eigner Werkstatt hergestellt, indem sich der faul vorkommt, der nicht genug davon fertig bringt. Freilich gibt es dann auch keinen Gedanken, der übernommen werden, und auch keine Formulierung eines Gedankens, die zitiert werden könnte. Wie wenig brauchen diese alle zu ihrer Tätigkeit! Ein Federhalter und etwas Papier ist das einzige, was sie vorzeigen können! Und ohne jede Hilfe, nur mit dem kümmerlichen Material, das ein einzelner auf seinen Armen herbeischaffen kann, errichten sie ihre Hütten! Größere Gebäude kennen sie nicht als solche, die ein einziger zu bauen imstande ist!«
Die grünen Parteien stehen für das Recycling. Es spricht nichts dagegen Textbausteine in leicht «verbesserter» Formulierung ein weiteres Mal zu verwenden. Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Hahaha!
Die Frau hat nicht nur keine Ahnung. was sich beim Verfassuen eines Buches gehhört, sie hat auch keinen Hohschein, was effektiv grüne Politik sein sollte: Friedenspolitik und nicht fanatische NATO-Aufrüstungsbefürworterin. Deutschland, halte dich solche Pseudogrüne vom Leib!
Bei Spitzenpolitikerinnen und -politikern in Deutschland müssen halt ein akademischer Titel und ein Buch her (in der Schweiz sind wir noch nicht ganz so weit und werden es hoffentlich auch nie ganz sein). Niemand erwartet von diesen Leuten, dass sie «die Welt neu erfinden»! Es hat noch niemandem geschadet, sich öffentlich zu der Meinung oder Erkenntnissen anderer zu bekennen. Politik ist in der Regel das Geschäft der Vermittlung nicht das der Erfindung. Umso wichtiger wäre es, bei der Verkündung von Standpunkten und Meinungen Quellentransparenz zu schaffen, damit man diese Bewerberinnen und Bewerber richtig verorten kann.
Lieber Herr Stadler
Ihre Beiträge habe ich immer sehr geschätzt. Aber diesen weniger.
Eine Politikerin, gibt – wie viele andere auch – ihren Namen für ein Politikerbuch her (was schon enthält, dass man es nicht lesen muss). Dieses wird dann an Massstäben gemessen, wie sie für Dissertationen am Platze wären.
Vernünftigere wenden ein, dass die Politikerin doch keine Dissertation geschrieben habe und deshalb die Regeln für Dissertationen nicht anwendbar seien. Die Empörten machen es noch schlimmer, indem sie nun die Regeln des schweizerischen Presserates, welche für schweizerische Journalisten gelten, nicht auf eine Journalistin, sondern auf eine Politikerin anwenden, die ihren Wirkungskreis nicht in der Schweiz hat, sondern in Deutschland.
Intelligenz kommt von intellegere, das inter legere enthält, wahrnehmen, merken, erkennen und: Unterschiede erkennen. Ohne Unterscheidungsvermögen geht es nicht. Wer deutsche Politikerinnen mit schweizerischen Journalisten in den gleichen Topf schmeisst, hat entweder ein unterentwickeltes Unterscheidungsvermögen oder Freude daran, mit der Meute zu heulen.
Mich würde noch interessieren, bei wie vielen anderen Politikern solche Bücher einer (sinnlosen) Plagiatsprüfung unterzogen wurden. Bei einem? Keinem?
Ein politisches Sachbuch muss bestimmt nicht die Anforderungen einer Dissertation erfüllen. Aber das Kopieren und Paraphrasieren von Texten anderer Autoren sowie das Verschweigen der Quellen ist unlauter – das gilt für jeden Verfasser von Schriften. Die Regeln des Schweizer Presserats gelten natürlich nicht für deutsche Politiker. Aber der Schweizer Presserat forumliert die Norm so, wie sie für jeden Sachbuchautor gelten müsste. Übrigens: Vor zehn Jahren wurde dem damaligen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg eine plagiierte Dissertation nachgewiesen. Er trat darauf zurück und zog sich aus dem politischen Leben zurück.
Grundsätzlich kann ich mich den Ausführungen von Herrn Stadler anschiessen. Selber handhabte ich die Nutzung von Quellen in meinen Publikationen in der diskutierten Art und Weise. Was mir am Beitrag nicht behagt, ist, dass er so tut, wie wenn nur der richtige Umgang mit Quellen zur Diskussion stünde. Tatsächlich scheint mir aber eine Kampagne vom ersten Moment von Baerbocks Designierung in Gang gekommen zu sein. Zuerst bezogen auf Einzelheiten ihrer Vita und Einkommensmeldungen. Ganzseitige Anzeigen in den wichtigsten Zeitungen wurden geschaltet. Zu den besonders aktiven Anti-Baerbock-Zeitschriften gehört Focus. Die Quellendebatte ist nur ein Element in der ganzen Kampagne. Der Effekt hat sich längst eingestellt: die Grünen sind abgestürzt, ohne dass auch nur ansatzweise über politische Inhalte diskutiert worden wäre. Man braucht nicht Sympathisant von Baerbock oder der Grünen zu sein, um nicht nur russische Kobolde als Demokratie-Gefährdung anzusehen. Mir scheint, dass hier eine durchaus hausgemachte Gefährdung vorliegt. Dabei erweist sich wieder einmal jene Kritik als am wirkungsvollsten, der ein Körnchen Wahrheit zugrundliegt. Dass solche Körnchen nun auch bei Info Sperber aufgeblasen werden, ist ziemlich überflüssig. Heute diskutieren wir über Zitierregeln, um deutsche Politiker abzuschiessen. Vor 50 Jahren tummelten sich Nationalsozialisten in öffentlichen Ämtern. Kein Hahn krähte danach.
Lieber Herr Stadler
Danke für die Antwort. Ich muss nachhaken: Natürlich kenne auch ich die Geschichte von Herrn zu Guttenbergs Dissertation. Aber mir ist auch bekannt, dass ein Doktorand mit seiner Dissertation den Nachweis erbringt, dass er zu wissenschaftlichem Arbeiten und Schreiben fähig ist. Das ist etwas ganz Anderes als ein PR-Buch. Darum finde ich es unrichtig, – hier wieder – das PR-Buch von Frau Baerbock mit dem erschlichenen Nachweis der Fähigkeit zu wissenschaftlichem Arbeiten bei Herrn zu Guttenberg gleichzusetzen. Und dass sich Herr zu Guttenberg aus der Politik zurückgezogen hätte… Er ist nach wie vor sehr aktiv, als Lobbyist, ganz besonders für die betrügerische Wirecard.
Wenn ich es nicht überlesen habe, schreiben Sie wieder nicht, dass Politiker bzw. ihre Ghostwriter etc. etc. sonst immer Quellen nennen, wenn sie etwas zitieren oder abschreiben. Sie tun es zumeist nicht.
Ja, Guttenbergs Buch war eine Dissertation, wo unbestritten strengere Massstäbe gelten. Das Buch von Baerbock würde ich nicht als PR-Buch bezeichnen, sondern als politisches Sachbuch. Aber wie auch immer. Wenn in der Praxis oft gegen Regeln verstossen wird, heisst das nicht, dass man die schlechte Praxis gutheissen soll.
Ja, Herr Wittmann, vielen Medien ist die Bedeutung eines Themas herzlich gleichgültig, wenn es nur Aufmerksamkeit und damit Auflage oder Quote generiert. «Hosianna» und «Kreuziget ihn!» folten nicht nur vor 2000 Jahren dicht aufeinander. Baerbocks Fall (im doppelten Sinne des Wortes) ist ein weiteres Beispiel a) für das zunächst starrköpfige Verteidigen eines nachgewiesenen Fehlers und b) die Selbstinszenierung der Täterin/des Täters als Opfer einer böswilligen Kampagne.
Hätte sie gleich die Kritik akzeptiert und die vergessenen Anführungszeichen und Quellenangaben bedauert, wäre rasch die Luft aus der «Sensation» gewesen. Stattdessen leugnet ihr Parlamentskollege Krischer, ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN, auch noch am 6. Juli bei Markus Lanz hartnäckig, was den Zuschauern auf dem Bildschirm dokumentiert wird. Ist das nur dumm oder Konsequenz eines Politiker-Grundsatzes: Gib niemals einen Fehler zu!
Herrn Goldinger stimme ich zu, wenn er auf etwas viel Wichtigeres hinweist: auf die friedensgefährdenden Positionen dieser unkritischen NATO-Befürworterin warnt. Da der Menschrechts-Bellizismus von der Mehrheit der einst pazifistischen grünen Partei geteilt wird, ist die für mich längst nicht mehr wählbar. Was nützt uns eine (halbherzige) Umweltpolitik, wenn die NATO den Showdown mit China und Russland vorbereitet! Aber welche deutschen Medien wollen das diskutieren?
@Ochsenbein
Ich habe nicht das Gefühl, dass die Twitter-Kultur des Herrn Trump zum Standard der aktuellen Internet-Kultur werden soll, wie Sie das anzudeuten scheinen.
Selbst in Blogs sollten minimale Datenstandards eingehalten werden und politische Motivationen sollten nicht als Berechtigung zu «fake news» herhalten.
Im Unterschied zu vielen Grünen im Bundestag und anderswo urteilt Robert Habeck mit Vernunft und Ratio. Laut NZZ sagte er in der Süddeutschen Zeitung: «Unsere Gegner dürfen uns kritisieren» und dass die Grünen sich ihre Fehler selber ankreiden müssten. Es sei nicht die Aufgabe anderer, die Partei davor zu bewahren. Wenn Annalena Baerbock ihre Kompetenzen im Vergleich zu Habeck besser eingeschätzt hätte und dem Mann den Vorrang gelassen hätte, wären die Grünen wahrscheinlich jetzt besser für die Wahl des Bundeskanzlers positioniert. Annalena Baerbock liess sich mitreissen vom Hype ohne selbstkritische Analyse und begann das politische Parkett mit dem Sprung auf dem Trampolin zu verwechseln.
Der erste Skandal beim Buch von Baerbock sind nicht die abgeschriebenen Stellen.
Es geht darum, dass sie das Buch gar nicht selber geschrieben hat.
Es ist das Werk eines Ghostwriter. Sie hat den Co-Autor bei der Buchvorstellung nicht erwähnt und das Werk als eigene Leistung vermarktet.
Der Ghostwriter hat natürlich alles zusammengeklaut was er finden konnte.
Das sich Politiker mit inhaltsleeren Büchern zu profilieren versuchen ist leider eine neue Mode geworden. Auch Alain Berset hätte bessser daran getan seine Zeit für eine Verbesserung unseres Gesundheitssystem aufzewenden, als noch während der Corona-Pandemie ein eigenes Buch schreiben (zu lassen).
Der zweite Skandal ist die gähnende Inhaltsleere des Buches.
Es gibt dem Leser keinen Erkenntnissgewinn zum Thema und zeigt daher das schwarze Loch dieser Politik auf, die sich mit Narrativen der Realität verweigert.