Kommentar
kontertext: Glanz und Elend der Männlichkeit im Fussball
Ich muss vorausschicken: Ich bin in einer sportlichen Fernsehwelt aufgewachsen, in welcher Fussball wirklich als «Tor zur Welt» funktionierte. Genauso wie Klaus Theweleit die Wirkung von Fussball einst in seinem grossen Essay beschrieben hat, sah ich die Männer meiner familiären Umgebung vor dem Bildschirm glühen und über alle Massen lebendig werden.
Wenn ich mir meine bis zur jetzigen EM gebliebene Faszination für Männerfussball und insbesondere für die grossen internationalen Sommermeisterschaften zu erklären versuche, dann hat sie noch immer die Ursache darin, dass er nicht nur ein Tor zur Welt mit ihren bunten Flaggen und fremden Namen ist. Sondern vor allem, dass er männliche Emotionalität als Spektakel blosslegt. Dass man beim Fussball dem Entstehen wie auch dem Zerbrechen von Männerbildern beiwohnt. Auf dem Rasen wie vor dem Bildschirm.
Die These von Klaus Theweleit, wonach Fussball auch ein Realitätsmodell sei, gibt einen guten Hintergrund ab, um die diesjährigen Aufregungen um Männerbilder, um kollektive Identität und individuelle Extravaganz, wie sie insbesondere in Bezug auf «unsere Nati» aufgetaucht sind, zu beleuchten. Beni Huggel betonte zwar am Studiotisch nach dem epochalen Sieg über Frankreich mehrmals, dass man diese Aufregung nun ganz schnell in die Schublade versorgen solle. Soll man?
Goldkamm und Hybris
Ich blende zurück: Als der Kommentator im Vorrundenspiel der Schweiz gegen Italien mit kaum unterdrückter Aggression auf Granit Xhakas Blondschopf verwies, habe ich aufgehorcht. Natürlich war mir das Wasserstoffblond auch aufgefallen, das ist ja sein Zweck. Aber ich merkte, dass sich hier etwas Peinliches anbahnte, etwas, das sich nicht ohne weiteres integrieren liess. Und das auch die anderen Extravaganzen und Posen und Ornamente (Tatoos!) einiger Spieler übersteigt: eine visuelle Übertreibung, ein Goldkamm, der im Corps der Spieler obenauf schwimmt.
Anders als die Übertretungen im Bereich der Aggression und des Jubels auf dem Platz, die meist sorgfältig geahndet werden, scheint Granit Xhaka und mit ihm Manuel Akanjy mit der Coiffeuraktion zwischen dem ersten und dem zweiten Vorrundenspiel neben dem Platz ein besonderes Tabu gereizt zu haben, das sich nicht einordnen liess. Dem Kommunikationschef des Schweizerischen Fussballverbandes, Adrian Arnold, fiel dazu auch nicht mehr als eine lakonische Phrase ein: «Es ging auch um Psychologie, sie wollten ein Zeichen setzen.»
Solche Sätze sind Treibstoff für die Projektionswut der fussballvernarrten Nation. «Es ging um Psychologie» heisst nämlich einerseits nichts, andrerseits suggerierte Arnold doch: Es gibt ein Rätsel der männlichen Psyche, das sich nicht so einfach sagen lässt. Dass ein Zeichen gesetzt wurde, ist hingegen klar. Nur klafft auch bei diesem Zeichen wieder Leere: Ein Zeichen für wen oder wofür?
Jedenfalls ist der Hinweis auf «die Psychologie» des kleinen Dramas, das sich hier neben und auf dem Platz ereignete, wertvoll als Leerstelle, die sowohl in kultur- wie in geschlechterkritischer Hinsicht durchaus interessant ist. Man kommt dabei nicht um die Bedeutung von Haar, Haarfarbe und gefälschtem Blond herum. Blond ist ja nicht von ungefähr ein besonderer Fetisch im Schönheitsbild: Den alten Griechen galt es als göttliche Haarfarbe, die Römer schnitten auf ihren Feldzügen im Norden Europas blonde Zöpfe ab und liessen daraus Perücken anfertigen. Blond ist ein Zeichen von Überlegenheit, Rarität, Reinheit, Glanz, es entspricht der «claritas», im Mittelalter das oberste Schönheitsprinzip. Und weil Blond biologisch ans Kindlich-Helle geknüpft ist und später durch die Melaninproduktion zurückgeht, ist es auch Zeichen von Unschuld und Naivität. Die Blondinenwitze formulieren dies genüsslich aus. Und nun sind seit einigen Jahren, auf dem Fussballplatz mit Beckham, die männlichen Stars darauf gekommen, Platin- oder Wasserstoffblond einzusetzen. Aber wofür?
In Bezug auf die «Schweizer Nati» kommt man nicht darum herum, zu konstatieren: Hätten Sommer und Freuler ihre Haare blondiert, wäre es doch ein anderes Zeichen gewesen. Man hätte wohl auch gestaunt, aber man hätte es nicht als Hybris und Dummheit interpretiert – wie dies nach dem 0:3 gegen Italien die meisten Medien besonders in Bezug auf Xhaka taten. Andere reihten die Aktion ein in die im internationalen Fussball übliche Form von Selbstinszenierung. Aber auch das greift wohl zu kurz. Dass Granit Xhaka im Taumel und Jubel nach dem Penaltyschiessen am letzten Montag vor die Kamera geht und ostentativ seine Blondsträhnen zur Schau stellt, zeigt zumindest, dass die mediale Aufregung um die «Coiffeuraktion» bei ihm noch nicht vergessen ist. Immerhin hat sie dazu beigetragen, dass Vladimir Petkovic am letzten Samstag in einem offenen Brief an die Nation Besserung versprechen und um Akzeptanz für sich und seine Mannschaft betteln musste. Alles vergessen?
Fussballer mit Migrationsgeschichte?
Einen wichtigen Kommentar gab Sarah Akanji, SP-Politikerin, Fussballerin und Schwester des einen Coiffeurgängers, in der «Schweiz am Wochenende» und in der BZ ab: Sie verweist darauf, dass Fussballer mit Migrationsgeschichte in den Medien anders beurteilt werden als Fussballer mit Schweizer Namen.
Man könnte oder muss wohl ergänzen: Sie werden nicht nur anders beurteilt, sie wählen selber auch andere Zeichen. Der Doppeladler an der Fussball WM 2018 war ein anderes irritierendes Zeichen: Es war provokant, politisch und kämpferisch. Und wie das Blondfärben enthielt es einen bestimmten Trotz. Aber anders als der Doppeladler hat der Goldkamm die Aufmerksamkeit für die Haarfarbe und damit für einen individuellen männlichen Schönheitskult auf den Platz gebracht.
Nun ist der Fussball, auch darauf hat Theweleit schon länger hingewiesen, in den letzten zwei Jahrzehnten femininer, verspielter, ja sogar schwuler geworden – was ihm durchaus guttut. Woran Männer kaum denken, was Frau aber fasziniert wahrnimmt, ist die visuelle Homoerotik der Spiele, die durch den exzessiven Haarkult verstärkt akzentuiert wird. Für wen wollen die Männer eigentlich schön sein? Nützt ihnen das? Werden Männer, die «zuviel» auf ihre Schönheit achten, nicht noch immer mit Eitelkeit und Schwäche assoziiert – wie bei den alten Griechen, die ihre allzu schönen Götter nicht nur verehrt, sondern auch verlacht und ins Verderben geschickt haben? Hier jedenfalls hat sich im Laufe meiner Faszination für Fussball etwas verschoben. Die Männer auf dem Platz stehen nicht mehr nur für emotional aufgeladene, zusammengeschweisste und domestizierte Männlichkeit. Im Realitätsmodell Fussball verkörpern sie auch das, was die schweizerische Gesellschaft genau so umtreibt wie andere: den schwierigen Zusammenhang von kultureller, geschlechtlicher, nationaler und individueller Identität. Und dem entsprechenden Lifestyle. Die Identitätsdebatten machen nicht halt an der Seitenlinie.
Dabei haben Männer mit Migrationsgeschichte ein schwieriges Spiel, sie können es noch so gut machen, es wird immer ein «Aber» bleiben – sobald sie verlieren. Wenn sie sich schön machen, dann sind sie verdächtiger als Männer mit einheimischen Namen, die sich ja auch stylen. Ein Zusammenhang ist hier unentrinnbar: Blondieren ist auch ein kulturelles Zeichen von Whitening. Es ist ein gestohlener Fetisch, ein falscher Goldkamm jener Männer, die der Mehrheitsgesellschaft immer wieder beweisen müssen, dass sie dazugehören wollen und glänzen können. Und denen man zuletzt genau diese Zugehörigkeit doch nie ganz abnimmt. Insofern sind Doppeladler und Goldkamm auch ein wenig ähnliche Zeichen. Der Trotz darin ist nicht nur pubertär, er drückt den Vorbehalt der nur halb geliebten «Fussballer mit Migrationsgeschichte» aus, und es ist ein Vorbehalt, der von der schweizerischen Mehrheitsgesellschaft gemacht wird.
Ja, könnte man Herrn Arnold zustimmen: Es ging bei dem kleinen Coiffeurdrama um Psychologie. Und die Psyche ist eben ein vielschichtiges Terrain: Der Zusammenhang von Geschlecht, Ethnie, Nationalität und Lifestyle lässt sich aus ihm nicht wegdenken. Und manchmal verdichtet sich das alles haargenau in einem Zeichen. Man kann es jetzt in die Schublade verschwinden lassen und so tun, als habe man Granit Xhaka und Manuel Akanj nie gescholten und verhöhnt. Aber wenn der schweizerische Triumph jetzt schon «Sommer-Märchen» heisst, dann wären «die Blonden» mehr als eine wichtige Fussnote dazu.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Silvia Henke ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und Publizistin. Sie unterrichtet an der Hochschule Luzern Design & Kunst u.a. Kunst und Politik und visuelle Kultur. Forschungsschwerpunkte sind Kunst & Religion, künstlerisches Denken, transkulturelle Kunstpädagogik. Sie interessiert sich grundsätzlich für die Widersprüche der Gegenwart, wie sie auch in der Medienlandschaft auftauchen, und veröffentlicht regelmässig Texte und Kolumnen in Magazinen und Anthologien.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder. Die Redaktion betreuen wechselnd Mitglieder der Gruppe.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Heiner Bremer – Sat1-Moderator – sagte in Bezug auf Männer: «Den Dicken glaubt man, die Dünnen müssen es beweisen, aber wenn sie gut aussehen, dann hilft es»!
Gut gemeint aber neben dem eigentlichen Thema vorbei. Der Hintergrund der blondierten Aktion ist eine Machtdemonstration gegen den Trainer und seinem Vorgesetzten Tami. Der offene mea culpa Brief des Trainers vor dem Match gegen Frankreich ist ein Kniefall vor Xhaka & Co. Tami blieb in Deckung und zeigte einmal mehr Führungsschwäche.
Die Selbstherrlichkeit und Arroganz der Spieler ist an dieser EM auch in anderen Nationalteams zu sehen.
Verband, Coach, Direktor, Staff: alles Marionetten.
Soviel Text wegen ein bisschen Frisur… glücklich, wer keine anderen Sorgen hat!
Das einzige was mich extrem störte: 60% der Nati-Spieler und gleichfalls der Trainer haben beim Singen der Hymne nicht mal ihre Mundwinkel verzogen.
Wenn man schon die Schweiz vertritt, und alle haben ja den Schweizer Pass, sollen sie wenigsten so tun, als würden sie mitsingen – das sehe ich als absolute Minimalanforderung.