«Die Taiwan-Politik der USA erhöht das Risiko eines Weltkriegs»
Die USA machten bisher im Stillen Schritte, die Beziehungen zu Taiwan zu «normalisieren». Nun ist es mit der Reise von Nancy Pelosi, der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, zum Inselstaat zu einem öffentlichen Eclat gekommen. Bereits im letzten Sommer löschten die Demokraten die Bezeichnung «Ein-China» von ihrer Plattform, im Januar war ein Vertreter Taiwans zum ersten Mal zu einer Inauguration eines US-Präsidenten eingeladen. Im April kündigte die Administration von Joe Biden an, die jahrzehntealten Beschränkungen der Kontakte zwischen der US-Administration und der taiwanesischen Regierung zu lockern.
«Diese Politik erhöht das Risiko eines katastrophalen Krieges», sagt Peter Beinart, Professor der politischen Wissenschaften von der City University in New York. In der «New York Times» forderte er jüngst Biden auf, Taiwan weiterhin militärisch zu unterstützen, jedoch an der jahrzehntelangen «Ein-China-Doktrin» festzuhalten. Diese «Fiktion» habe sich bewährt und den beiden Grossmächten USA und China erlaubt, ihr Gesicht zu wahren. Die «Ein-China-Politik» trage in einer der gefährlichsten Regionen der Welt seit Jahrzehnten dazu bei, Frieden zu bewahren.
Die Ein-China-Fiktion
Die Ein-China-Politik, eine Prämisse und Fiktion, die im Kalten Krieg entstanden ist, geht davon aus, dass es nur ein China gibt. Alle Staaten, die mit der Volksrepublik China diplomatische Beziehungen aufnehmen möchten, müssen dies anerkennen und dürfen deshalb nicht gleichzeitig mit Taiwan diplomatische Beziehungen aufnehmen.
Diese Politik ist deshalb Fiktion, weil es sehr wohl noch die Republik China gibt. Sie umfasst Taiwan und einige Inseln. Doch diese unabhängige Republik wird nur von ganz wenigen Ländern auf der Welt anerkannt. «Indem die USA ihre Beziehungen zu Taiwan nicht offiziell gestalten, kann China daran festhalten, dass eine friedliche Wiedervereinigung möglich ist. Und es gibt China einen Grund, nicht militärisch zu intervenieren», sagt Beinart.
China hat auf Pelosis Besuch mit Manövern im Umkreis von Taiwan reagiert. Eine militärische Intervention ist laut Beinart mehr als eine theoretische Möglichkeit, denn in China besagt seit 2005 ein Gesetz, dass eine Unabhängigkeitserklärung von Taiwan ein Kriegsgrund wäre. Offiziell sagen die USA nicht, wie sie im Fall eines Einmarsches der Volksrepublik in Taiwan reagieren würden. Es gibt Rufe nach formelleren Zusicherungen.
Genau das kritisiert Beinart. Seine Kernaussage:
«Unabhängig davon, ob die USA offiziell versprechen, Taiwan zu verteidigen: Es ist äusserst leichtsinnig zu glauben, dass die USA Beijing provozieren können, indem sie die Ein-China-Politik rückgängig machen und gleichzeitig drohen, ein Eingreifen Chinas militärisch zu verhindern.»
Peter Beinart in der New York Times
Leichtsinniges Abweichen von der Ein-China-Politik
Leichtsinnig wäre das Abweichen von der «Ein-China-Politik» deshalb, weil jede glaubwürde Abschreckung sowohl der Macht wie des Willens bedarf. Und bei beiden gebe es Fragezeichen.
- Das chinesische Festland ist 180 Kilometer von Taiwan entfernt, während Honolulu 8000 Kilomenter entfernt ist. US-Flugzeugträger sind vom nahen Festland aus relativ leicht angreifbar.
- Während die Volksrepublik im Rahmen der sino-amerikanischen Beziehungen Taiwan klar als Problem Nummer eins betrachtet, mag das Washingtoner Establishment zwar einen Kriegseintritt der USA an der Seite Taiwans befürworten, im Land selbst ist aber eine weitverbreitete Skepsis zu spüren.
An der Ein-China-Politik festhalten bedeute nicht, Taiwan fallenzulassen. Das Land ist ein demokratisches Lehrbeispiel und die Beziehungen zum Westen allgemein und zu den USA im Besonderen sind eng. Doch als kleines Land im Schatten einer Supermacht verfüge Taiwan nur über einen geringen aussenpolitischen Spielraum. «Die USA würden Mexiko auch nie erlauben, eine Militärallianz mit Peking einzugehen», illustriert Beinart den Sachverhalt.
Der beste Weg, in Taiwan Frieden zu bewahren, ist, den Status quo nicht zu verändern. Wir hatten 73 Jahre Frieden, in dem beide Seiten gewisse Ambivalenzen zustimmten. Lassen wir diese Ambivalenzen in Ruhe!
Politologie-Professor Kishore Mahbubani, National University of Singapur. Ehemaliger singapurischer Botschafter in den USA und bei der Uno. Quelle: NZZ am Sonntag, 29.5.2022
Taiwan diente mit Hilfe der USA als Rückzugsort
Die «Ein-China-Politik» hat eine Geschichte. Im Jahr 1682 hatte die von den Mandschuren gegründete Qing-Dynastie die Insel Taiwan zum ersten Mal unter die Kontrolle des Festlandes gebracht. 1912 wurde in China eine Republik ausgerufen. Nachdem 1949 die Kommunisten unter der Führung von Mao Zedong nach der japanischen Besetzung China einigten und unter ihre Gewalt brachten, zog sich Chiang Kai-Shek mit seinen Anhängern und der Hilfe der USA nach Taiwan zurück.
Seither stellte sich die Volksrepublik stets auf den Standpunkt, dass Taiwan als abtrünnige Provinz zu China gehöre, und versucht, die Ein-China-Politik international durchzusetzen.
Immer mehr Staaten – die Schweiz schon 1950 – brachen die offiziellen Beziehungen zu Taiwan ab und anerkannten die Volksrepublik. 1971 ging die chinesische UNO-Mitgliedschaft von der Republik China (Taiwan) an die Volksrepublik über. 1979 brachen die USA ihre diplomatischen Beziehungen mit Taiwan ab und nahmen offizielle Beziehungen zur Volksrepublik auf.
Doch in der Praxis wird der taiwanesische Pass allgemein anerkannt, Wirtschafts- und Kulturbüros von Taiwan arbeiten in aller Welt wie Botschaften und stellen die internationale Vernetzung sicher. Die militärische Zusammenarbeit mit den USA ist eng.
Die Ein-China-Politik ist somit eine Fiktion, ein diplomatisches «So-tun-als-ob». Aber diese Fiktion sei sehr wirkungsvoll, sagt Beinart. Sie habe Taiwan Frieden, individuelle Freiheit und Prosperität gebracht. China andererseits könne an der Vorstellung festhalten, dass Taiwan ein Teil Chinas sei. Würde der Westen Taiwan offiziell als unabhängiges Land anerkennen, wäre dies für Beijing ein Kriegsgrund.
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Anmerkung: Das ist die aktualisierte Version eines Beitrags vom 3.7.21
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Mitarbeit: Daniel Funk
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Mexiko ist kein gutes Beispiel. Viel besser wäre ein Vergleich mit Kuba. Da zeigt es sich, dass China mit Formosa/Taiwan meilenweit «netter» umgeht, als die rabiaten USA mit Kuba: Es gibt gegen Taiwan jedenfalls kein brutales Wirtschafts-Boykott, das Peking erst noch auch anderen Länderen weltweit aufnötigt. Hilfsgelder können nach Taiwan (im Unterschied zu Kuba) jederzeit überwiesen werden. Dabei war Kuba nie eine «Provinz» oder ein Staat der USA (bis zu Castros erfolgreicher Revolution aber faktisch ein durch Diktatoren und die US-Mafia arg ausgebeutetes Bordell!). Man stelle sich zudem vor, China würde Kuba ebenso aufrüsten, wie die USA Taiwan. Und chinesische Fluzeugträger würden permanent zwischen Florida und Kuba kreuzen. Dass die US-Propaganda krampfhaft nach neuen Namen für das «Südchinesische Meer» sucht, zeigt auch einiges auf: Die arrogante, massive Präsenz der US-Navy (Tausende Seemeilen von Kalifornien entfernt) vor Chinas Küste ist halt schon eher peinlich.
Die USA – um bei der Vergleicherei zu bleiben – beanspruchen Mexiko nicht als Teil ihres Landes.
Das bedeutet, die USA provozieren China mit Taten (der Reise von Pelosi) und beschwichtigen gleichzeitig mit Worten (dem Festhalten an der „Ein-China-Politik“). Westliche Medien spielen das Spiel mit, anstatt ihre Leser davor zu warnen, wie gefährlich dieses amerikanische Spiel mit dem Feuer ist.
Vor allem bringt es keinerlei Nutzen, denn die USA pumpen Taiwan ohnehin mit Waffen voll, und Pelosis Besuch wird keine praktischen Folgen haben, die den USA einen Nutzen bringen. Das einzige, was der Besuch erreicht, ist eine Eskalation und eine Erhöhung der Kriegsgefahr, was absolut vermeidbar gewesen wäre.
Was wäre wenn die Pelosi nach Barcelona oder Ajaccio fliegen würde ? In Moutier gibst leider keinen passenden Flugplatz.
Irgendwie erscheint das ganze pathetisch, abgehoben. Haben diese Leute die ganze Bodenhaftung verloren ?
Professor Peter Beinart scheint das etwas westfreundlich, jedoch rational zu sehen; hingegen die ganze US-Historie betrachte ich als das Gegenteil. Zumal die USA nicht seit mindestens 150 Jahren einzig auf das eine Endziel hinarbeiten, seit x-Dekaden ein Rüstungsbudget durchziehen, das per se als krank bezeichnet werden dürfte (was dank Weltleitwährungs-Bretton-Woods-Trick der USA inklusive Petrodollar quasi noch von der Welt selbst finanziert wird), um jetzt Frieden zu praktizieren. Das wäre diametral widersinnig. USA «Full-spectrum dominance» («New World Order»), nur um der Welt zu diktieren, wo die Kochrezepte publiziert werden?