Kommentar
kontertext: Polizeilich bewilligte Grundrechte
Gib ein: «polizei.bs.ch». Klicke auf «Was tun, wenn?». Klicke auf «Polizeiliche Bewilligungen». Finde unter der Rubrik «Kundgebungen/Demos» den Kernsatz: «Die Kantonspolizei Basel-Stadt erteilt Bewilligungen für Demonstrationen und Kundgebungen.»
Die Basler Regierungsrätin Stephanie Eymann (LDP), Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements, hat nach hundert Tagen im Amt Programmatisches zu ihrer Amtsführung bekannt gegeben. «Ordnung, Transparenz und Klarheit» seien, laut «bz», ihr «Credo», die Wiedereinführung eines Bettelverbotes in Basel und die Handhabung von Demonstrationen momentan ihre Hauptanliegen. Das von ihrem Departement neu herausgegebene Papier «Die Basler Demo-Praxis. Eine Erläuterung» beruft sich zur Begründung der «Erfordernis einer Bewilligung» auf die Strassenverkehrsordnung, in der es in der Tat in §14 heisst: «Zur Durchführung von öffentlichen Umzügen sowie Versammlungen und zur Abhaltung von Demonstrationen und Kundgebungen auf öffentlichen Strassen und Plätzen bedarf es einer Bewilligung des Justiz- und Sicherheitsdepartements.»
Wie das?
Meinungsäusserungs-, Versammlungs- und damit auch Demonstrationsrecht sind doch Grundrechte, oder? Sind Grundrechte nicht gerade dadurch definiert, dass niemand sie gewähren muss, weder Fürst noch Staat? Natürlich muss der Staat dafür sorgen, dass die Ausübung auch von Grundrechten so erfolgt, dass andere in ihren Rechten nicht unverhältnismässig beeinträchtigt werden. Aber das betrifft die konkrete Form der jeweiligen Demo, gegen die der Staat einschreiten können muss. Keine Einwände zu haben, ist doch nicht dasselbe wie bewilligen!
Juristisch ist (fast) alles klar
Die Rechtsprechung will sicherstellen, dass der öffentliche Raum von allen genutzt werden kann. Sie unterscheidet deswegen, wie Raphaela Cueni, Lehrbeauftragte am Fachbereich öffentliches Recht der Universität Basel, erklärt zwischen zwei Formen öffentlicher Aktivitäten:
- Wenn ich z.B. in der Stadt einen Flyer verteile oder im Park mit ein paar Freunden grilliere, hindere ich niemanden (z.B. Autofahrer oder Spaziergänger) an der gleichzeitigen Nutzung desselben Raumes und brauche keine Bewilligung. Das nennt sich «schlichter Gemeingebrauch», der «gemeinverträglich» ist.
- Schon eine Unterschriftensammlung mit Tisch, erst recht aber eine Demo gelten dagegen als «gesteigerter Gemeingebrauch», der die Nutzung des jeweiligen Ortes für andere beeinträchtigt. Er verunmöglicht, dass andere gleichzeitig am selben Ort ihre Rechte (z.B ebenfalls zu demonstrieren oder im Verkehr voranzukommen, oder einzukaufen) wahrnehmen können. Daher entsteht Regelungsbedarf, aus dem sich die Bewilligungspflicht ableitet.
Das Bundesgericht sagt z.B. in einem Urteil vom 27.11.1974 einfach und klar: «Die Durchführung von Demonstrationen auf öffentlichem Grund darf als gesteigerter Gemeingebrauch bewilligungspflichtig erklärt werden»
Und doch, und doch
Dennoch bleibt ein sprachliches Problem bestehen, und der Sprachgebrauch hat Folgen für das Denken. Gespräche im Freundeskreis zeigen: Selbst bei kritischen Geistern ist nicht klar, dass das Demonstrieren-Können der Normalfall ist, und das Verhängen von Auflagen und Einschränkungen die begründungspflichtige Ausnahme.
Kommt hinzu, dass die Rechtsprechung von den zuständigen Polizeibehörden eine distanzierte Neutralität verlangt, die in der Wirklichkeit kaum zu haben ist. Sie sollen ja, so die Rechtstheorie, nur die Rechtsausübung aller sicherstellen und keine Meinung oder keine politische Tendenz bevorzugen oder benachteiligen. In der Wirklichkeit aber signalisieren Polizei und Justiz den Demonstrierenden, die ja in aller Regel nicht eben Mitglieder der Liberalen Partei von Frau Eymann sind, immer wieder, wie unerwünscht sie sind. Um bei Basler Beispielen zu bleiben:
- Wenn dreissig Polizisten in Kampfmontur vierzehn sehr junge Frauen umzingeln und eine davon in Handschellen abführen, weil diese – so die Begründung der Polizei – nach der Frauen-Demo übermütig den Spalenberg runtergerannt sind –
- wenn eine Frau wegen blosser Teilnahme an einer unbewilligten Demo gegen Nazis (ohne Gewaltanwendung von Seiten der Angeklagten) zu vier Monaten unbedingt verurteilt wird –
- wenn es Frau Eymann, wie die «bz» berichtet, Sorgen bereitet, dass die Anzahl der Demos in den letzten 5 Jahren zugenommen hat –
so ist es denn auch tatsächlich schwer, das Bewusstsein zu pflegen, dass Demonstrieren nicht nur ein Recht ist, sondern auch eine erfreuliche Erscheinung lebendigen politischen Lebens: gesteigertes gemeingebrauchtes Gemeinwesen, sozusagen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Felix Schneider, geboren 1948 in Basel. Studium (Deutsch, Französisch, Geschichte). Von Beruf Lehrer im Zweiten Bildungsweg und Journalist, zuletzt Redaktor bei SRF 2 Kultur. Hat die längste Zeit in Frankfurt am Main gelebt, ist ein halber «Schwob».
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder. Die Redaktion betreuen wechselnd Mitglieder der Gruppe.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Danke, sehr interessant. Basel ist ein spezieller Ort. 3 Nationen treffen sich hier. Ich erlebte unbewilligte Demos, völlig überraschend (Bin Jahrgang 59) bisher etwa 3 mal. Ich gehe nicht an Demos. Obwohl ich ansonsten gute Erfahrungen mit der Basler Exekutive und Stawa machen konnte, erlebte ich einmal, wie Polizisten aus der französischen Schweiz, (hierher abkommandiert) welche nicht mal deutsch konnten, 3 harmlose Zuschauer am Rande einer Demo bei der Messe im Alter von 25 bis 45 Jahren, überfallartig mit Kabelbindern gefesselt hatten. (Abschreckungsverhalten) Nach 40 Minuten auf dem kalten Boden sitzend, die Hände auf dem Rücken, wurden die Röschtigraben Polizei Rowdys von einer Basler Polizistin gemässigt, die 3 durften geschockt gehen. Der eine hatte Schmerzen, er war Rheumapatient. ( Ich hatte sie angesprochen nach dem Vorfall) Die Gewalt in Basel bringt neue Gewalt. Es gibt leider viel Gewalt in Basel, viel Gewalt ist importiert. Basel ist eine Grenzstadt. Das macht viel anders. Ich lehne jede Form von Gewalt welche jenseits von angemessener Notwehr liegt, ab. Demos sollten Grundrecht bleiben, man sollte Gewalttäter die sich unter Demos mischen, nicht mit der Demo identifizieren, sie wollen oft nur Gewalt oder haben den Auftrag, eine Demo in ein schlechtes Licht zu rücken. Auch dies sollte beachtet werden. Wenn dann etwas passiert, erwischt es oft Unschuldige auf beiden Seiten.
Grundsätzlich geht es bei dieser Angelegenheit um die Nutzung des öffentlichen Raums. Der darf wirklich nicht exklusiv Aktivist*innen (oder Sportanlässen) zur freien Verfügung stehen – es gibt auch andere Leute mit Alltagsbedürfnissen, die ein Anrecht auf ihn haben. Sie wollen sich nicht immer häufiger verdrängen lassen. Nach meinem Empfinden hat die Quantität der Demonstrationen (und Sportanlässen) in den letzten Jahren zugenommen. Ältere Leute in meiner Bekanntschaft stellen fest, dass wegen ihnen vermehrt Tramlinien umgeleitet werden und man nach einer Routinebesorgung unverhofft längere Fussmärsche antreten muss. Die Grundrechte der einen können jene der anderen empfindlich stören – da braucht es zur Erhaltung des gesellschaftlichen Friedens eine Balance.
Die Frage scheint mir doch vielmehr, wer bewilligt was?
Frei nach Orwells 2+2=5 ist doch der der definiert was bewilligt wird derjenige der die Wahrheit bestimmt? 4 sollte keine Bewilligung benötigen.