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Mathias Forster ist Geschäftsführer der Bio-Stiftung und Mitherausgeber des Buches «Das Gift und wir». © da

«Das eigentliche Risiko heisst: Weiter, wie bisher»

Daniel Aenishänslin /  Mathias Forster, Geschäftsführer der «Bio-Stiftung Schweiz», warnt vor den Langzeitfolgen des Pestizideinsatzes.

Red. Mathias Forster (48) kämpft für die Pestizidinitiative. Der Geschäftsführer und Stiftungsrat der Bio-Stiftung Schweiz sagt: «Solange wir uns kein grösseres Bild verschaffen können, sind wir nicht wirklich urteilsfähig.» Deshalb hat er das Buch «Das Gift und wir» herausgegeben.

Mathias Forster, die Gegner der Initiative für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide sagen, der Bund erfülle deren Anliegen bereits. Warum also sollten wir zustimmen?
Das Gegenteil ist der Fall. Sämtliche Aktivitäten, die in eine nachhaltigere Richtung gehen, werden regelmässig blockiert. Die mangelnde Bereitschaft, Kritik am agrarpolitischen Ist-Zustand entgegenzunehmen und über Reformen sachlich zu diskutieren, hat in den letzten Jahren den Unmut der Bevölkerung genährt.

Also zählen Sie auf die Unterstützung der Bevölkerung?
Die Bevölkerung ist bereit, die Landwirtschaft mit Steuergeldern grosszügig zu unterstützen. Als Gegenleistung verlangt sie, dass die Bauern ökologischer und marktwirtschaftlicher produzieren. Die Reformen stocken. Zuletzt ist die «Agrarpolitik 22+» im Parlament grandios gescheitert. Es bestehen ökonomische Fehlanreize. Auch auf die Umwelt hat der Reformstau seine Auswirkungen. Die von den Bundesämtern formulierten «Umweltziele Landwirtschaft» werden bis heute allesamt nicht erreicht.

Sie sprechen von Stagnation. Geben Sie den Bauern Schuld?
Nicht ausschliesslich. Primär liegt es an der Politik und dem Bauernverband, der sie wesentlich prägt. All die entstandenen Volksbegehren sind Zeichen eines Unmuts in der Bevölkerung gegenüber einer seit Jahrzehnten verkrusteten Agrarpolitik. Die direkte Demokratie wird zeigen, ob dieser Unmut schon Mitte Juni mehrheitsfähig ist. Wenn nicht jetzt, dann das nächste Mal. Ruhe wird da nicht einkehren, es geht um unsere Lebenssphäre als Menschen und um unsere Gesundheit.

Die Gegner argumentieren, ein Ja zur Initiative verursache höhere Kosten und beinhalte Risiken.
Auch das stimmt so nicht. Die Risiken sind bei einem «Weiter wie bisher» viel grösser, weil der Kollaps der Biodiversität, die Unfruchtbarkeit der Böden und die kontaminierten Gewässer die Grundlage des Lebens auf diesem Planeten gefährden. Das ist das eigentliche Risiko. Und die Kosten werden immer höher, je länger wir warten und einfach weitermachen. Heute haben wir keine Kostenwahrheit und das Verursacherprinzip ist ausgehebelt. Die Gifthersteller behaupten immer: Ohne Pestizide werden Lebensmittel teurer. Das ist falsch.

Wirklich?
Nicht die Bioprodukte sind zu teuer, sondern konventionell erzeugte sind zu billig, weil sie die Folgekosten auf den Staat oder den Einzelnen abwälzen. Es ist das gleiche Spiel wie mit der Atomenergie. Die Lagerungskosten über Jahrtausende, die Risiken und Unfälle sind nicht im Produktpreis eingerechnet, die werden über unsere Steuern finanziert. Deshalb verdienen auch diese Konzerne so gut, weil sie die Risiken ihres Handelns nicht selber tragen. Der wahre Preis eines Produkts zeigt sich erst, wenn die Folgekosten der Produktion mit eingerechnet werden. Würde die industrielle Landwirtschaft selbst für die Schäden aufkommen, die sie anrichtet, wären ihre Produkte viel teurer.

Also wird das Essen doch teurer.
Bio-Preis ist der ehrliche Preis. Wer Bio kauft, zahlt derzeit noch etwas mehr, erhält aber auch viel mehr gute Effekte bei Mensch, Tier und Mitwelt. Die Preise werden sinken, wenn konsequent biologische Produkte gefördert und auch Forschung, Bildung und Beratung stärker auf Bio-Landbau ausgerichtet werden. Der Unterschied im Ertrag lässt sich laut einer globalen Metastudie der University of California durch Mischkulturen und Fruchtfolgen auf neun Prozent reduzieren. Würde mehr Geld in die biologische Forschung gesteckt, würden sich auch diese neun Prozent schnell verringern lassen. Zudem landen zwischen 30 und 40 Prozent der Lebensmittel nicht auf dem Teller, sondern im Müll. Dort liegt das grösste Potenzial, höhere Kosten zu kompensieren.

Sie sagen, es geht ohne synthetische Pestizide. Warum setzt sie die Landwirtschaft denn seit Jahren ein?
Weil sie in der Ausbildung ein System gelernt haben, das auf diese Stoffe angewiesen ist und nur mit diesen funktioniert. Sich selbst einzugestehen, dass man nochmals zum Lernenden werden muss, wenn man sein Anbausystem auf Bio umstellen will, ist nicht einfach. Die Gifthersteller machen ihnen Angst und behaupten: Ohne Pestizide könne in der Schweiz kein Obst und Gemüse mehr hergestellt werden. Doch das ist falsch. Biobäuerinnen und Biobauern beweisen seit langem, dass es geht. Auf etwa einem Sechstel der Schweizer Landwirtschafts-Fläche wird biologisch produziert. Und das erfolgreich. Auch anspruchsvolle Kulturen wie Gemüse, Äpfel oder Trauben gedeihen ohne synthetische Pestizide wunderbar. Alles dank resistenter, dem Standort angepasster Sorten und viel Know-how.

Was kann eine Landwirtschaft ohne synthetische Pestizide?
Sie kann etwas, was eine industrielle Landwirtschaft nicht kann. Nämlich dauerhaft gesunde und aromatische Lebensmittel bei stabilen Ernteerträgen liefern – gleichzeitig eine ganze Reihe von positiven Auswirkungen haben auf das Bodenleben, die Artenvielfalt, den Wasserhaushalt, das Klima und die Gesundheit. Dabei kann sie auf synthetische Pestizide und künstlichen Stickstoffdünger verzichten. Nur eine biologische Landwirtschaft wird die Menschen längerfristig ernähren können.

Sie gehen also davon aus, dass die Landwirtschaft Schädlinge auch ohne synthetische Pestizide in den Griff bekommt?
Ja. Aber man kann nicht einfach nur diese Stoffe weglassen. Man muss das System umstellen Das ist eine durchaus komplexe Aufgabe. Es geht darum, mit den Ökosystemen und den Rhythmen und Gesetzmässigkeiten der Natur zusammenzuarbeiten. Dazu braucht es auch genetische Vielfalt. Heute liegt die Pflanzenzucht in den Händen von einigen Grosskonzernen. Diese züchten Hochleistungssorten, die nur in Kombination mit hohem Einsatz von synthetischen Pestiziden und Düngemitteln überleben. Dies Konzerne bieten auch gleich alles an. Pflanze, Pestizid, Dünger. Die Regionen sollten sich darum bemühen, ihre Souveränität zurückzuerobern. Das tun sie mit samenfesten Sorten. Wenn immer möglich sollen sie regional gezüchtet und dem ökologischen Anbausysteme angepasst sein sowie regional verkauft werden.

Sind die synthetischen Pestizide in Ihren Augen denn eine direkte Gefahr für den Menschen?
Bei den Zulassungen werden nur einzelne Stoffe unter Laborbedingungen untersucht. Zur Anwendung kommen sie dann aber in Kombinationen mit vielen anderen Stoffen. Wie diese Chemiecocktails wirken, weiss niemand. Die Gifthersteller behaupten immer: Pestizide sind streng geprüft und absolut sicher. Das ist falsch. In Wirklichkeit ist die Sicherheit der Pestizide eine Illusion. Viele Risiken werden erst nach der Zulassung bekannt. Regelmässig verlieren bewilligte Pestizide ihre Zulassung deshalb wieder. Alleine zwischen 2005 und 2011 betraf das rund 100 Wirkstoffe. Ihre Spuren werden teils noch jahrzehntelang auffindbar sein. Mit unabsehbaren Folgen für Gesundheit, Umwelt und Biodiversität.

Versuchen Sie sich persönlich vor synthetischen Pestiziden zu schützen?
Das ist leider sehr schwierig. Synthetische Pestizide finden sich heutzutage überall. Im Himalaya, in der Antarktis, auf den Gletschern, in der Muttermilch, im Trinkwasser, einfach überall. Leider auch in der Luft, sodass wir diese Stoffe über die Lunge direkt ins Blut bringen. Deshalb setze ich mich auch sehr stark für die Pestizidinitiative ein. Wir können damit den Ausstieg aus dem Pestizidzeitalter einleiten.

Würde die Schweiz mit einem Ja zur Initiative international ein Zeichen setzen?
Mit Sicherheit. Wir haben die Direkte Demokratie bei uns. Sie ist noch nicht in ihrem Idealzustand und immer noch werdend. Denn wer viel Kapital hat, kann den Bewusstseinsbildungsprozess stark beeinflussen. Da brauchen wir noch bessere und transparentere Elemente in der Zukunft. Ein Ja zur Pestizidinitiative würde die Antipestizidbewegungen weltweit stärken. Das weiss auch die Industrie und deshalb investieren sie so viel Geld in den Kampf gegen diese. Ein Ja wäre der Beginn eines von der unabhängigen Wissenschaft und der «grossen Politik» schon lange geforderten Systemwechsels, die Einleitung des Ausstiegs aus dem Pestizidzeitalter, der grossflächigen Vergiftung der Welt. Die Zeit der kleinen Schritte und des Glaubens an das gute Gift ist vorbei.

Weiterführende Informationen

  • Das Gift und wir. Wie der Tod über die Äcker kam und wie wir das Leben zurückbringen können. Hrsg. Mathias Forster, Christopher Schümann, Verlag Westend.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Mathias Forster kämpft für die Pestizidinitiative. Er ist Geschäftsführer und Stiftungsrat der Bio-Stiftung Schweiz.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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3 Meinungen

  • am 4.06.2021 um 12:28 Uhr
    Permalink

    Ich wünsche der schweizerischen Pestizidinitiative viel Erfolg, es wäre ein dringend benötigter Meilenstein in Europa.

    Auch in Deutschland mehren sich die Nachweise (nicht nur Hinweise) einer massiven Belastung des Grundwassers.

    Allein in meinem Heimatbundesland Niedersachsen konnte 2015 ein Zusammenhang zwischen Intensivagrarzone und Grundwasserbelastung nachgewiesen werden:

    «Auch viele Trinkwasserversorger in Norddeutschland stellen an ihren Grundwasserquellen Rückstände von Pflanzenschutzmitteln fest. «Unsere Sorge ist, dass die heutige Qualität des Grundwassers in Zukunft nicht mehr sicherzustellen sein wird», sagt Olaf Schröder, Geschäftsführer des Wasserverbands Peine. Er kritisiert die aktuelle Zulassungspraxis für Pflanzenschutzmittel, nach der Rückstände von 0,1 Mikrogramm Pflanzenschutzmittel pro Liter Wasser zulässig sind. «Es muss eine Null im Grundwasser erreichbar sein und so müssen Zulassungen auch aufgestellt werden.»»

    https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Pestizidgefahr-im-Grundwasser,pestizide136.html

    Der folgende Link stammt aus 2017 und enthält eine Europa-Karte der Grundwasserverschmutzung mit Pestiziden, die den geografischen Schwerpunkt in den Zonen der Hochleistungslandwirtschaft aufzeigt:

    https://www.wassermanufaktur.com/blog/pestizide-im-trinkwasser

  • am 4.06.2021 um 12:56 Uhr
    Permalink

    «Synthetische Pestizide finden sich heutzutage überall. Im Himalaya, in der Antarktis, auf den Gletschern, in der Muttermilch, im Trinkwasser, einfach überall. Leider auch in der Luft, sodass wir diese Stoffe über die Lunge direkt ins Blut bringen.» – Ich würde meinen Salat auch nicht gerade mit synthetischen Pestiziden anrichten. Die Initiative erinnert an Corona und Klima: Durch den Tunnelblick auf ein Virus und ein Spurengas wird ein halber Weltuntergang inszeniert. Die Realität ist anders, trotz allgegenwärtigen Chemierückständen haben wir eine gute Volksgesundheit und eine hohe Lebenserwartung die wir nicht zuletzt den hochwertigen, meist mit Schutzmitteln behandelten Lebensmitteln verdanken. Wenn die Biobauern ihre synthetischen Kollegen überzeugen können, braucht es keinen Zwang und kein Gesetz. Während sich die Menschen geradezu darum reissen, sich ein neuartiges synthetisches Gen-Präpaparat direkt in den Körper injizieren zu lassen, steht diese Pestizid Initiative doch etwas quer in der Landschaft.

  • am 7.06.2021 um 13:14 Uhr
    Permalink

    @ Herr Brandt

    Sollen dann auch Hormone, Waschmittel, Reinigungsmittel, Medikamente, Schmerzmittel, Öle und Fette, Rückstände von der Industrie, etc. auch verboten werden? Diese findet man auch überall im Grundwasser! Es ist ein Hohn nur eine Branche in die Pflicht zu nehmen während 99% der Bevölkerung etwas anderes macht! Wir müssten uns alle an der Nase nehmen und nicht mit dem Finger auf andere zeigen! Die Antibabypille z.B. sollte möglichst schnell verboten werden da sie nachweislich Fische und Menschen unfruchtbar macht! Diese ist für den Menschen nicht notwendig zum Leben! Da schreit kein Hahn danach!

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