napoleon-541180_1920

Napoleons Grab im Pariser Dôme des Invalides © Kaffee

Erinnerungen an Napoleons Raubzug in der Schweiz

Rainer Stadler /  Der Berner Staatsschatz, den Napoleon erbeutete, wäre heute 623 Milliarden Franken wert - sagen Historiker. Das weckt Fantasien.

 

Der 200. Todestag von Napoleon ist ein naheliegender Anlass, um diese ausserordentliche historische Person in Erinnerung zu rufen. Schweizer Medien haben dabei reichlich Stoff zur Verfügung, um nationale Akzente zu setzen. Immerhin hat Napoleon hierzulande den Provinzfeudalismus weggefegt und die Fundamente für die moderne Schweiz geschaffen. Die innerschweizerische Kolonialmacht Bern verlor damals ihre Untertanengebiete – aber nicht nur das, sondern auch den grossen Staatsschatz. Daran knüpft ein schön gestaltetes Buch an, das Professor Christoph A. Schaltegger (Universität Luzern) mit seinen Mitarbeitern im August 2020 beim Stämpfli-Verlag herausgebracht hat: «Napoleons reiche Beute. Eine aktuelle Einordnung zur Bedeutung des gestohlenen Berner Staatsschatzes von 1798».

Als Appetitanreger realisierte der Verlag mit den Autoren auch ein gut sechsminütiges Video. Dank Napoleons Todestag am 5. Mai erhielt es wieder mediale Aufmerksamkeit. Im Film bringen die Buchautoren zum Ausdruck, dass Napoleon nicht nur aus militärstrategischen Gründen in die Schweiz einmarschiert sei. Man zeige auf, so sagt es einer der Wissenschafter, dass Napoleon auch finanzielle Interessen verfolgt habe. Klar, der Krieg gegen die Verteidiger der vermeintlich gottgegebenen Königsherrschaften kostete das revolutionäre Frankreich viel Geld. Man brauchte Nachschub.

Innovative Vermögensverwalter

Neu ist dieser finanzielle Aspekt des Napoleonischen Einmarschs keineswegs. Im Geschichtsklassiker von Peter Dürrenmatt aus dem Jahr 1957 – ein Buch, das mich als Primarschüler stundenlang fesselte – ist dies in Wort und Bild festgehalten. Die Franzosen plünderten nicht nur in Bern, sondern auch in anderen Kantonen. Den Staatsschatz von Zürich konfiszierten sie ebenfalls. Die reichste Beute machten sie sicher in Bern – die Luzerner Autoren attestieren den Berner Schatzmeistern eine äusserst innovative Vermögensverwaltung. Sie habe einen «immensen» Schatz angehäuft, der europaweit Aufmerksamkeit erregte. Damit finanzierte Napoleon seinen Feldzug in Ägypten.

Die Franzosen konfiszierten nicht nur den Berner, sondern auch den Zürcher Staatsschatz (Holzschnitt aus dem Zürcher Kalender 1848; Zentralbibliothek Zürich)

Die fünf «Bürger-Direktoren», die nun die Schweiz regierten und eigentlich mit dem Modernismus der Invasoren sympathisierten, beklagten sich bitter in einer Botschaft an den französischen General Schauenburg. So steht es in Dürrenmatts Buch: «Aber warum ist es nötig, dass wir gleichzeitig mit der Äusserung einer so süssen Empfindung Vorstellungen erheben müssen? Warum stossen uns die gleichen Soldaten, die uns die Freiheit gegeben, in Verzweiflung und Ruin? Bürger General, in allen Landesteilen erhebt sich ein einziger Schrei, und das helvetische Direktorium muss ihn ebenfalls erheben.» Sie fanden natürlich kein Gehör.

150 Jahre ohne Steuern

Die Luzerner Wissenschafter stellen die Frage, welchen Wert der gestohlene Berner Staatsschatz heute hätte. Sie wählten für ihr finanzielles Szenario eine – wie es den alten Bernern entsprochen hätte – konservative Anlagestrategie mit einer durchschnittlichen Jahresrendite von 6 Prozent. Demnach wäre das Staatsvermögen heute 623 Milliarden Franken wert. Einer der Autoren rechnet im Video vor: Damit könnten die Berner 150 Jahre lang steuerfrei leben. Was für eine nette Vorstellung. Ein solch stattliches Vermögen würde indessen im zeitgenössischen innerschweizerischen Gerangel um den Finanzausgleich etliche Begehrlichkeiten wecken: Der Kanton müsste unter solchen Umständen zweifellos vom Lager der Nettoempfänger in jenes der Nettozahler umziehen.

Der Stämpfli-Verlag war begeistert von der Arbeit der Luzerner Historiker.

Damit geraten wir bereits in die Zone der Was-wäre-wenn-Spekulationen – eine Disziplin, die auch unter Historikern ihre Anhänger hat. Der Bundeshaus-Korrespondent des «Nebelspalters» bevorzugte einen handfesteren Zugriff aufs Thema. Er fragte die Berner Finanzdirektion, ob sie beim Nachbarstaat eine Rückforderung deponieren wolle. Die Verwaltung wollte sich – wen wundert’s – nicht dazu äussern.

Frankreich soll zahlen

Ein Leser hakte hier ebenfalls ein und fragte, ob man das Geld nicht nur zurückfordern, sondern gar mit der französischen Forderung an die UBS verrechnen sollte. Gute Idee. Frankreich könnte dazu noch ein Dutzend Gratis-Kampfflugzeuge des Typs Rafale liefern – ein Modell, das laut NZZ ein Pilotenliebling ist. Die Schweiz wäre damit in der Lage, ihre militärische Flugflotte spielend zu vergrössern; die Piloten wären glücklich, und die UBS-Manager müssten sich keine Sorgen um ihre Millionen-Boni machen.

Mit elf Wagen und 44 Pferden schleppten die Invasoren den Berner Reichtum nach Paris (Kupferstich von B. A. Dunker, Kunstmuseum Bern)

Ein Berner Besucher des Online-«Nebelspalters» sieht die Idee jedoch kritischer. Er schrieb: «Man sollte nicht vergessen, dass die Bernische Geschichte immer wieder Volksaufstände aus wirtschaftlichen Gründen kannte, der bekannteste Aufstand war der Bauernkrieg 1653. Und dieser Krieg ist nicht zuletzt auf die masslosen Abgaben, die sich die Berner Obrigkeit zuschanzte, zurückzuführen.» Angesichts dieser Tatsache könnte sich der Kanton Waadt, einst Berner Untertanengebiet, legitimiert sehen, eine Wiedergutmachungsforderung gegenüber den ehemaligen ausbeutenden Besatzern geltend zu machen.

Solche Rekurse auf historische Ungerechtigkeiten liessen sich beliebig lange bis in die Steinzeit zurück fortsetzen. Das ergäbe viel Stoff für Historikerkommissionen – und für endlose Debatten um einen neuen Finanzausgleich unter den Kantonen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

5 Meinungen

  • am 10.05.2021 um 12:48 Uhr
    Permalink

    Warum müsste, schon wieder, die UBS gerettet werden? 🙂 . Besser wäre wohl, sich zu Fragen ob nicht die Nachkommen der Patriziergeschlechter Bern’s zur Kasse gebeten werden sollten….. (es gab diese Patrizier ja nicht nur in Bern, ganz klar).

  • am 10.05.2021 um 14:06 Uhr
    Permalink

    200 Jahre nach dem Tod von Napoleon Bonaparte werden diesem Taten zugeschrieben, die einfach nicht stimmen, so «Napoleon konfiszierte nicht nur den Berner, … Staatsschatz». Und wenn der Tagesanzeiger Napoleon in die Nähe des Massakers von Nidwalden (September 1798) bringt, ist dies, gelinde gesagt schlecht recherchiert.
    Es war nicht Napoleon, der die Schweiz 1798 vom Ancien Régime befreite. Auf Befehl der damaligen französischen Regierung, dem Direktorium, führte General von Schauenburg den Einmarsch der französischer Revolutionstruppen in die Schweiz an. Diese konfiszierten dann den Berner Staatsschatz (interessant wäre zu wissen, wie der geäufnet worden ist).
    Als Bürger eines ehemaligen Untertanengebiets bin ich, wie die Waadtländer froh, dass die Franzosen uns damals befreit haben.
    Hier ein paar Daten:
    Februar 1798 Napoleon an der Kanalküste, um einen Feldzug gegen England auszuloten. Ein solcher Plan ist unmöglich somit Planung des Ägyptenfeldzugs, welcher im Mai 1798 beginnt.
    März 1798 Schauenburg besiegt Bern etc.
    Herbst 1799 Napoleon zurück in Frankreich
    November 1799 Staatstreich, Ende des Direktoriums, Napoleon wird erster Konsul und kommt so an die Macht.
    Napoleon war bis im November 1799 ein sehr erfolgreicher und somit einflussreicher General doch durchregieren konnte er erst nach der Jahrhundertwende.
    Der Historiker Thomas Maissen beschreibt die Rolle Napoleons richtig, wenn er formuliert «Napoleon-Erfinder der Schweiz». Die «Erfindung» ist aber erst 1803 erfolg

  • am 10.05.2021 um 18:17 Uhr
    Permalink

    Sie schreiben: «die Luzerner Autoren attestieren den Berner Schatzmeistern eine äusserst innovative Vermögensverwaltung».

    Woher kam bloss dieses Vermögen. Vielleicht von Geschäften mit Übersee, Sklaven, Raubgold?
    Dann könnte man das Geld aus Frankreich, so es denn flösse, gleich als Wiedergutmachung weiterleiten, oder?

  • am 11.05.2021 um 07:55 Uhr
    Permalink

    Also genau so interessant wäre es, zu recherchieren, wie die Berner diesen Staatsschatz erbeutet haben. Wer musste bluten. Wem hätte er nutzen sollen? Gab es Ausgaben, die von den Bernern vorgesehen waren? Wer genau hatte ein Interesse daran, dass der Schatz grösser wurde – welche Patrizier? Waren das private Interessen? Gehörte es zu einer Bank? Hätten sie Ländereien kaufen wollen? Ausserdem ganz simpel: in welcher Form existierte der Schatz wirklich? Golddukaten, Silberbaren, Wertpapieren – real? – nicht in aufgerechneter Form mit Zins und Zinseszinsen, welche sowieso auf Betrug im Geldsystem basieren ? Begehrlichkeiten zu wecken, das erinnert mich daran, wie bei der Vereinigung von BRD und DDR Unrecht entstand und nie richtig aufgearbeitet wurde. Oder auch bei der Entschuldung von Griechenland, wohin da das Geld floss aus dem Volksvermögen, nur weil jemand sagte, die Zinsen für solche aus der Luft geschaffenen Euro-Darlehen hätten nicht bezahlt werden können – von mir aus gesehen, muss Geld – geschaffen aus dem Nichts – auch nicht zurück bezahlt werden!

  • am 14.05.2021 um 13:33 Uhr
    Permalink

    Warum eigentlich hat die Regierung Berns es nicht gewagt der französischen Nation eine Rechnung zu stellen??

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...